Erneute Chancen? Warum Airbus & Co (wieder) auf Nigeria fliegen
Nigeria ist von Korruption, Gewalt und Armut – aber auch Ölreichtum geprägt. AERO INTERNATIONAL analysiert, wie man als Flugzeughersteller dort Erfolg haben kann.
Die Nachrichten über den westafrikanischen Küstenstaat Nigeria sind in den europäischen Medien selten positiv. Korruption, soziale, ethnische und religiöse Konflikte, bürgerkriegsähnliche Proteste und Gewaltorgien durch einen Mob, der das Recht selbst in die Hand nimmt: Die Negativliste ist lang – und oft von erschreckender Menschenverachtung geprägt.
Dabei ist das bevölkerungsreichste Land Afrikas zumindest auf dem Papier gut aufgestellt. So ist Nigeria eine der größten Volkswirtschaften des Kontinents und einer der wichtigsten Erdölproduzenten weltweit. Bola Ahmed Tinubu übernahm im Mai 2023 das Amt des Staatspräsidenten. Von ihm erhoffen sich die nigerianische Bevölkerung und die internationale Gemeinschaft entscheidende Reformschritte und eine neue Entwicklungsdynamik.
Bislang ist es der Regierung des westafrikanischen Landes jedoch nicht gelungen, den Rohstoffreichtum Nigerias für eine wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu nutzen, die der breiten Bevölkerung zugutekommt. Im aktuellen Index der menschlichen Entwicklung belegt Nigeria Platz 161 von 193 Staaten. Zu den Herausforderungen des Vielvölkerstaats gehören auch eine schwache und intransparente Verwaltung und die mangelnde Diversifizierung der Wirtschaft außerhalb der Ballungszentren. Extrem niedrige Steuereinnahmen und eine hohe Staatsverschuldung lassen der Regierung kaum Spielraum für eine breitenwirksame Armutsbekämpfung.
Schwieriger Luftverkehrsmarkt in Nigeria
Kürzlich kündigte der US-amerikanische Flugzeughersteller Boeing an, das nigerianische „Luftfahrt-Ökosystem“ gemeinsam mit lokaler Politik und Wirtschaft weiterentwickeln zu wollen. Grund genug für AERO INTERNATIONAL sich näher mit diesem lukrativen, jedoch schwierigen Luftverkehrsmarkt zu befassen.
Schaut man sich die Verkaufsankündigungen der westlichen Hersteller von Passagierjets aus den vergangenen Jahren an, so müsste Nigeria heute über eine der größten und modernsten Flotten Afrikas verfügen – wenn nicht weltweit. Arik Air würde zwei Boeing 747-8 auf Langstrecken einsetzen, und Green Africa entweder eine der weltweit größten 737-MAX– oder A220-Flotten betreiben. Doch sind diese Aufträge mittlerweile wieder aus den Bestellbüchern der Hersteller gelöscht worden.
Embraer bietet mehr als Flugzeugverkäufe an
Stephan Hannemann, Marketing & Verkaufsleiter für die Region Naher Osten und Afrika des brasilianischen Flugzeugherstellers Embraer erklärt, dass der nigerianische Airlinemarkt weit anspruchsvoller ist als der in Europa oder Nordamerika. „Zum eigentlichen Flugzeugverkauf bieten wir eine Reihe von Zusatzleistungen an, die auf anderen Kontinenten nicht unbedingt gefragt sind. Das reicht von der Finanzierung über Wartung und Flottenplanung bis hin zur Netzwerkstrategie rund um ein Flugzeugmuster“, erklärt der Embraer-Manager.
Der brasilianische Hersteller beschäftigt ein Analystenteam für genau diese Fälle. Dessen Experten erstellen Flotten- und Netzwerkstudien, die speziell von afrikanischen Airlines zur Unterstützung ihrer eigenen Planungen nachgefragt werden. „Die einzige Konstante auf dem afrikanischen Markt ist Veränderung“, weiß Hannemann und ergänzt: „Auf diesem riesigen Kontinent befinden sich 54 Staaten. Die Flugzeit von Nord nach Süd beträgt rund zehn Stunden, von Ost nach West acht Stunden.“ Genauso groß wie der Kontinent ist das Interesse an der Luftfahrt. Ein Zeichen dafür ist, dass so gut wie jeder der Staaten seine eigene Fluglinie besitzt.
Geplatzte Airbus- und Boeing-Großaufträge
Nach der Phase der geplatzten Airbus- und Boeing-Großaufträge wurde Embraer in Bezug auf die Flottengröße der primär genutzte Flugzeughersteller – übrigens nicht nur in Nigeria, sondern auch in Südafrika. In dem westafrikanischen Staat fliegen aktuell 30 Embraer-Jets. Dabei handelt es sich um einen Mix aus ERJ, E1 und E2, die gebraucht und fabrikneu an neun nigerianische Fluglinien geliefert wurden. Xejet, so Hannemann, wird ihre ERJ-145 durch E190 ergänzen. Air Peace hat fünf E175 und acht E195-E2 in den Orderbüchern stehen, Overland eine E175.
„Wir glauben an Ökosysteme im Bereich der Flugzeugflotten und unterstützen den Mix aus Neu- und Gebrauchtflugzeugen gemäß der Wünsche und finanziellen Möglichkeiten der Kunden. Gebrauchtflugzeuge können auch Türöffner für fabrikneue Jets sein, wenn sich der Markt entsprechend entwickelt“, erläutert Stephan Hannemann.
Embraer in Nigeria führend
Doch wie unterscheidet Embraer die „guten“ von den weniger lukrativen Kunden in einem herausfordernden Marktumfeld. Auch hier hat der Embraer-Manager eine klare Antwort. „Zunächst werden die Kennzahlen eines Unternehmens untersucht“, beschreibt er das Verfahren. Diese „Key Performance Indicators“ (KPI), zu deutsch Schlüsselkennzahlen, geben Auskunft über die Erfolgschancen, die Leistung und die Auslastung des Betriebs – beziehungsweise einer ganzen Nation. So werden von Embraer auch die Zahlen des Witschaftswachstum oder die Bevölkerungsentwicklung unter die Lupe genommen. „Wir haben ein hervorragendes Analystenteam, das fortlaufend Märkte untersucht und vielversprechende Länder als Zielobjekte für Verkaufsaktivitäten definiert“, weiß Hannemann.
Wie eingangs beschrieben ist Nigeria nicht ohne Herausforderungen, besonders, was die Finanzierung von Flugzeugkäufen in Fremdwährungen wie dem US-Dollar betrifft. Liquide Mittel auf US-Dollarbasis standen den Fluglinien lange Zeit wenn überhaupt nur eingeschränkt zur Verfügung. Doch diese Situation ist aktuell dabei, sich zu entspannen. „Das macht die Finanzierung gemeinsam mit Leasinggebern und Banken aktuell etwas einfacher“, berichtet der regionale Embraer-Verkaufschef.
Die Herausforderungen an einen Flugzeughersteller, der in Nigeria Geschäfte machen möchte, enden damit jedoch noch lange nicht. In einem Land, in dem weite Teile der Bevölkerung sich selbst der Nächste sein müssen, um im täglichen Überlebenskampf bestehen zu können, gelten Recht und Ordnung nur eingeschränkt. Das Ergebnis sind kriminelle Strukturen, Stichwort „Nigeria Connection“, die versuchen, auf betrügerische Weise zu Reichtum zu kommen. Das kann auch in die Luftfahrt reichen.
Ökosystem Luftverkehr
Embraer ist an der Börse von New York notiert und somit verpflichtet, extrem hohe Sicherheitsstandards in Bezug auf Betrug, Korruption und Geldwäsche zu beachten. „Dieser Prozess, bei dem Personen und Unternehmen einer Hintergrundüberprüfung unterzogen werden, ist bei allen unseren Aktivitäten vorgeschrieben – das gilt weltweit“, stellt Hannemann klar, und ergänzt: „Wir schauen uns an, welche Person mit uns Handel treiben möchte. Wir analysieren, ob sie unter Umständen für Hintermänner handelt. Und diese Analysen finden wiederholt statt. Wir machen nur mit Personen Geschäfte, die unseren hohen ethischen Maßstäben genügen.“
Nigeria hat einen Luftfahrtminister
Die Mehrheit der Nigerianer ist vom Reichtum des Lands ausgeschlossen. Embraer-Manager Hannemann ist sich bewusst, dass der Verkauf von Flugzeugen keinen großen Einfluss auf die Lebensumstände der Massen hat. Doch tragen die Brasilianer unter anderem durch die Schaffung von lokalen Jobs mit dazu bei, dass sich die prekäre Situation zumindest ein klein wenig entspannt.
Positiv stimmt ihn auch, dass das Wachstum des Luftverkehrs eine stimulierende Auswirkung auf die Ökonomie des Landes hat. „Nigeria hat als eines der wenigen Länder der Welt einen Luftfahrtminister“, unterstreicht Hannemann. Luftverkehr ist eine der Säulen, auf der Nigerias Regierung die wirtschaftliche Fortentwicklung des Staats aufbauen möchte. „In Europa ist die Luftfahrt für viele Jugendliche nicht mehr ‚sexy‘. Genau das Gegenteil ist in Nigeria der Fall. Und das macht mir persönlich große Hoffnung“, blickt Stephan Hannemann optimistisch in die Zukunft.
Inspektionen für Flugsicherheit
Rasheeda Yusuf ist eine Vertreterin jener jungen Generation, die sich für die Luftfahrt begeistert. Die Kabineninspektorin der nigerianischen Luftfahrtbehörde NCAA sorgt in Rahmen ihrer Tätigkeit für einen hohen Sicherheitsstandard der nigerianischen Airlines. Sie wuchs in der Nähe eines Airports auf und bewunderte schon in ihrer Kindheit die Piloten – und alles was mit der Luftfahrt zu tun hat. So reifte in ihr schon früh der Wunsch, ebenfalls in dieser Branche zu arbeiten. Zunächst flog sie als Kabinenbesatzung bei Aero Contractors in Lagos sowie bei Azman Air Services mit Sitz in Kano. Dieses war ihre Voraussetzung, um sich bei der nigerianischen Luftfahrtbehörde als Inspektorin zu bewerben.
Strenge Kontrollen
Aktuell hält sie eine Prüfberechtigung für vier Flugzeugmuster: Boeing 737 Classic, Embraer 135/145, Dash 8 Q300/400 und Hawker Siddeley HS.125. Im Januar 2025 kommt die Musterberechtigung für den Airbus A220 hinzu. Ihre Ausbildung erhielt sie bei der NCAA in Form diverser Schulungen. Am Ende stand die Ernennung zum staatlichen Sicherheitsinspektor. Seit dieser Grundausbildung nimmt sie regelmäßig an mindestens fünf Tage dauernden Fortbildungskursen teil, um ihr Fachwissen auf dem neuesten Stand zu halten.
Neben Routine- und Stichprobeninspektionen der Flugzeugkabinen auf dem Vorfeld prüft sie, ob die Crews über ausreichende Kenntnisse der Notfallausrüstung und der Notausgänge des Luftfahrzeugs verfügen und die Verfahren der Airline mit den genehmigten Sicherheitsstandards in Einklang stehen.
Strenge Schulungsprogramme für die Kabinenbesatzung
Zudem überwacht sie die Airline-Schulungsprogramme für die Kabinenbesatzung. Hier steht im Fokus, sicherzustellen, dass die Schulungen im Einklang mit den Vorschriften durchgeführt werden. Die Teilnahme an Sicherheitsaudits, die Änderung und Überprüfung staatlicher Vorschriften in Übereinstimmung mit den ICAO-Änderungen ist ein weiterer Baustein ihres Jobs.
Zudem wirkt sie am Zulassungsverfahren für Luftfahrtunternehmen mit. Dabei geht es um die Umsetzung der nationalen Forderungen und Bedürfnisse in Übereinstimmung mit den globalen ICAO-Vorschriften der Zivilluftfahrt.
Die Tätigkeit von Rasheeda Yusuf zeigt, dass in Punkto Flugsicherheit auch in Nigeria nichts dem Zufall überlassen wird.