Die P2012 STOL des italienischen Herstellers Tecnam wird jetzt von der FLN Frisia-Luftverkehr im Bedarfsflugverkehr zu den Ostfriesischen Inseln und nach Helgoland eingesetzt. AERO INTERNATIONAL ist mitgeflogen.

Sie ist ein ungewohnter Anblick im rauen und kühlen Klima der Nordsee: die schöne und elegante Italienerin aus Capua. Dem italienischen Hause Tecnam entstammend, trägt die Maschine die Typenbezeichnung P2012 STOL Traveller. Seit Mai 2025 verrichtet sie ihre Dienste bei der FLN Frisia-Luftverkehr Norddeich. Die Bedarfsfluggesellschaft vermarktet sich unter dem griffigen Namen „Inselflieger“. Die P2012 STOL dringt erstmals in ein Gebiet vor, das bisher der Britten-Norman BN-2 Islander vorbehalten war, die seit über 50 Jahren die Ostfriesischen Inseln mit dem Festland verbindet und damit regelrecht zum Synonym der Inselfliegerei geworden ist.

Die Fähigkeit, von kurzen Pisten aus zu fliegen, verbunden mit ihrer einfachen, aber robusten Konstruktion machte die Islander über Jahrzehnte nahezu unersetzlich, und so wurde sie über die Jahre hinweg von nicht weniger als sieben verschiedenen Fluggesellschaften entlang der deutschen Nordseeküste eingesetzt.

Tecnam entwickelte die P2012 STOL

Tecnam aber nahm schließlich die Herausforderung an und entwickelte eine zusätzliche Version der P2012 Traveller: Die P2012 STOL (Short Take-off and Landing) ist ein moderner Nachfolger für die Islander mit vergleichbaren Start- und Landeleistungen. Beheimatet in Capua nördlich von Neapel hat sich der italienische Flugzeugbauer Tecnam vor allem einen Namen beim Bau von Kleinflugzeugen für die private Luftfahrt gemacht. 2009 wandte sich die US-amerikanische Regionalfluggesellschaft Cape Air an den italienischen Hersteller, auf der Suche nach einem Nachfolgemuster für ihre alternde Flotte, die überwiegend aus Cessna 402 und BN-2 bestand. Da weder für die Cessna 402 noch für die vergleichbare Piper PA-31 Navajo ein modernes Pendant zur Verfügung stand, erkannte Tecnam die Marktchancen eines von Kolbenmotoren angetriebenen Zubringerflugzeugs und nahm die Herausforderung an.

Bestellung von 100 Maschinen

Mit der Neukonstruktion einer Maschine, die auch den Bauvorschriften für Verkehrsflugzeuge entspricht, betrat Tecnam Neuland. 2015 aber wurden die Entwicklungsarbeiten mit einer Bestellung von Cape Air über 100 Maschinen belohnt. Der Erstflug des neuen Musters erfolgte schließlich am 21. Juli 2016. Im Gegensatz zu den älteren Modellen von Cessna und Piper bietet die Kabine der P2012 Traveller deutlich mehr Komfort. Sie hat Platz für neun Passagiere auf Einzelsitzen an einem Mittelgang.

Das geräumige Cockpit bietet den Piloten eine Glascockpit-Avionik auf Basis des Garmin G1000NXi einschließlich digitalem GFC700-Autopiloten. Das Cockpit ist sowohl für den Single-Pilot- als auch den Multicrew-Betrieb ausgelegt. Separate Einstiegstüren erleichtern die Arbeit der Piloten während der Bodenabfertigung. Die Standardversion der P2012 ist mit zwei Motoren vom Typ Lycoming TEO-540 ausgerüstet, die STOL-Variante mit Continental GTSIO-520. Beide haben jeweils 375 PS Startleistung.

Tecnam P2012 STOL
Tecnam P2012 STOL bei den Inselfliegern Bild: Andreas Rohde

Vom Design erinnert die schnittige Italienerin ein wenig an die deutlich kleinere Zweimot Partenavia P68. Das ist nicht ohne Grund: Das P in der Typenbezeichnung steht für die Brüder Luigi und Giovanni Pascale. Die Flugzeugkonstrukteure sind die Gründerväter beider Hersteller. Mit der EASA-Zertifizierung im Dezember 2018 stieg Tecnam endgültig in die Liga der Verkehrsflugzeugproduzenten auf. Die FAA-Zulassung folgte im März 2019, woraufhin die ersten beiden Maschinen an den Erstkunden Cape Air ausgeliefert werden konnten.

Am 20. Februar 2020 feierte die Tecnam Traveller schließlich ihr kommerzielles Debüt auf der Cape-Air-Route von Hyannis auf die Insel Nantucket im amerikanischen Bundesstaat Massachusetts. Als zweite Airline erhielt die auf den Seychellen beheimatete Zil Air Ende 2019 eine P2012 Traveller. Während die P2012 somit in punkto Komfort und Effizienz schnell ihre Leistungsfähigkeit in den unterschiedlichsten Klimazonen der Welt unter Beweis stellen konnte, war es die deutsche FLN, die den Wunsch nach einer leistungsgesteigerten Version an Tecnam herantrug, um Flugplätze bedienen zu können, die auf Grund von kurzen Bahnen oder der örtlichen Hindernissituation bisher der Britten-Norman Islander vorbehalten waren.

STOL-Version für FLN

Mit zehn Maschinen war FLN bisher größter Islander-Betreiber der Welt – und zunehmend unzufrieden mit der seit Jahren ungelösten Ersatzteilproblematik bei Britten-Norman. So waren die Inselflieger dringend auf der Suche nach einem möglichen Ersatz für die Islander, da auf Grund fehlender Ersatzteile bereits einsatzbereite Maschinen kannibalisiert werden mussten. Auf Anforderung der FLN entwickelte Tecnam schließlich die Variante P2012 STOL als leistungsmäßig ebenbürtiges Pendant zu der seit 60 Jahren in Produktion befindlichen Islander.

Anstelle eines stärkeren Antriebs entschied sich Tecnam für die Vergrößerung der Tragfläche, deren Spannweite von 14 auf 16,60 Meter vergrößert wurde. Als Antrieb der STOL-Variante dient die Triebwerksoption von Continental. Der Vierblattpropeller der Traveller wurde durch einen größeren Dreiblattpropeller von MT ersetzt. Durch diese Veränderungen reduziert sich die benötigte Startstrecke von 791 auf 425 Meter. Die Landedistanz konnte sogar von 743 auf 360 Meter mehr als halbiert werden.

Tecnam P2012 STOL

Durch das höhere Eigengewicht der Maschine musste im Gegenzug die maximale Zuladung um 15,8 Prozent auf noch immer respektable 1191 Kilogramm reduziert werden, bei gleichzeitig marginal reduzierter Reichweite, die jedoch bei einem typischen Einsatzprofil eines solchen Flugzeuges nicht zum Tragen kommt. Die erste P2012 STOL wurde jedoch nicht an FLN, sondern an die Fluggesellschaft St. Barth Executive ausgeliefert, die im Sommer 2024 die erste Maschine erhielt. Sie fliegt unter dem Namen „Air Inter Iles“ auf Shuttleflügen zwischen Guadeloupe und St. Barth in der Karibik. Das zweite Exemplar wurde dann im März an FLN übergeben. Die reguläre P2012 Traveller war in Deutschland schon seit 2022 in Betrieb, auf Rundflügen bei der Augsburger Alpen Air. Nun steht die STOL-Version seit 14. Mai bei FLN im regulären Einsatz, vor allem auf dem nur wenige Minuten langen Flug von Harlesiel auf dem Festland zur Insel Wangerooge.

Auf Einladung der FLN hatten wir die Gelegenheit, den neuen Stolz der Flotte auf einem Sonderflug nach Helgoland kennenzulernen. Geflogen wird die Maschine an diesem Tag von FLN-Flugbetriebsleiter Stephan Kaneider, der uns das Flaggschiff der Airline vorstellt. Von außen betrachtet, ist die Tecnam deutlich größer als die Islander. Die elegante Form der Nase lässt die Handschrift der Pascales nicht verleugnen. Bei der STOL-Variante wurde die dreiteilige Tür der Standardversion durch eine einzelne große und nach oben klappende Tür ersetzt, die auch für die Beladung mit Fracht gut geeignet ist. Der Einstieg erfolgt über ausklappbare Treppenstufen. Das Innere der Kabine besticht durch ein modernes Design und bietet den Fluggästen Einzelplätze mit Getränke- und Handyhalter sowie Frischluftdüsen und USB-Ports. Das ist ein deutliches Upgrade gegenüber der Islander. Noch viel großer ist der Unterschied für die Piloten, deren Arbeitsplatz mit drei großen integrierten Bildschirmen deutlich größeren Maschinen ähnelt.

Hohe Anfangsbeschleunigung

Mit einer Länge von nur 510 Metern ist die Bahn an der FLN-Heimatbasis in Harlesiel einer der Hauptgründe für die Notwendigkeit einer STOL-Version der P2012. So kann die neue Maschine bereits bei unserem ersten Start auf der Piste 26 in Harlesiel ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen. Vor allem die Anfangsbeschleunigung aus dem Stand ist beeindruckend und deutlich stärker als bei der Islander, allerdings ist die Rotationsgeschwindigkeit mit 69 Knoten auch 14 Knoten höher. Die Anfangssteiggeschwindigkeit Vx für den besten Steigwinkel über Hindernisse im Abflugbereich beträgt 83 Knoten.

Gegenüber den üblichen 150 Metern Reiseflughöhe für den kurzen Hüpfer nach Wangerooge steigen wir für den Flug nach Helgoland auf etwa 1000 Meter. Die ökonomische Reisegeschwindigkeit auf den kurzen Sektoren liegt zwischen 120 und 130 Knoten, also bis zu 240 km/h. Trotzdem bleibt kaum Zeit, den Komfort der Tecnam zu genießen, bevor Deutschlands einzige Hochseeinsel vor uns auftaucht. Tatsächlich sind es zwei Eilande: die eigentliche Felseninsel Helgoland sowie gleich daneben die flache und sandige Insel Düne. Dort liegt der Flugplatz. Auf Grund des vorherrschenden Südwindes ist auf Helgoland die Runway 15 in Betrieb. Mit einer Länge von 480 Metern ist sie zwar die längste Bahn auf Helgoland Düne, stellt aber trotzdem eine Herausforderung an Pilot und Maschine dar. Hinzu kommt, dass der Anflug über eine Düne hinweg führt.

Tecnam P2012 STOL

Beliebt bei den Passagieren

Insgesamt wird die Tecnam schneller geflogen als die Islander. Abhängig vom Gewicht liegt die Anfluggeschwindigkeit zwischen 69 und 74 Knoten. Der Unterschied zwischen der Start- und Landestellung der Klappen beträgt lediglich fünf Grad, was die fast identische Abhebe- und Anfluggeschwindigkeit erklärt. Gegenüber der Islander liegt die Überziehgeschwindigkeit der Tecnam 27 Knoten höher (67 Knoten gegenüber 40 Knoten), was definitiv ein Umdenken bei den Piloten erfordert, besonders bei böigem Wind. Ein weiterer wichtiger Aspekt für den Betrieb an der Nordsee, wo es eigentlich immer weht, ist die Fähigkeit für Starts und Landungen bei starkem Seitenwind.

Die Islander konnte bis zu 50 Knoten Wind von der Seite vertragen – ein extrem hoher Wert. Bei der P2012 stehen derzeit 19 Knoten im Handbuch, bald will Tecnam den Wert auf 30 Knoten erhöhen. Unter den rauen Bedingungen der Nordseefliegerei wird sich die Tecnam P2012 STOL also noch beweisen müssen. Insgesamt aber erscheint sie als guter Kompromiss aus Flugleistung und Komfort. Das Feedback der Fluggäste ist positiv. So könnte der italienische Hersteller Folgeaufträge für weitere Maschinen erhalten, mit denen auch die übrigen Islander der FLN ersetzt werden könnten.

Info: FLN Frisia-Luftverkehr

Als Tochter der Fährschiff-Reederei Norden-Frisia wurde die Bedarfsfluggesellschaft schon 1969 gegründet. Es entwickelten sich zwei Schwerpunkte: Der Flugbetrieb von Harlesiel nach Wangerooge und der von Norddeich nach Juist und Norderney. Der regelmäßige Betrieb mit festen Abflugzeiten nach Juist und Norderney wurde Anfang dieses Jahres eingestellt. Derzeit werden mit acht Flugzeugen der Muster Tecnam, Britten-Norman Islander und Cessna jährlich etwa 90 000 Passagiere befördert. Neben dem regelmäßigen Verkehr zwischen Harlesiel und Juist sind auch Sonderflüge zu den übrigen Inseln im Angebot.

Autor: Andreas Rohde