Exklusiv in AERO INTERNATIONAL stellt Airbus seine neue Endmontage der A320-Familie vor. Das Ziel: monatlich 75 Auslieferungen im Jahr 2027!

Airbus produziert Flugzeuge der A320-Familie an vier globalen Standorten: neben Hamburg und Toulouse in Europa auch im chinesischen Tianjin sowie in Mobile im US-Bundesstaat Alabama. Bis 2027 soll die Gesamtproduktion an allen Standorten auf 75 Flugzeuge pro Monat steigen. Dazu ist eine gravierende Änderung der Fertigung erforderlich – hin zur sogenannten modularen Endmontage. Künftig heißt es: ein Team – ein Flugzeug!

Sebastian Peters, der als Value-Stream-Manager der A320-Familie mit seinem Team diesen Wechsel umsetzt, sprach darüber mit AERO-INTERNATIONAL-Redakteur Wolfgang Borgmann als weltweit erstem Journalisten. Borgmann traf Peters in seinem Büro im Airbus-Werk in Hamburg-Finkenwerder.

Endmontage getaktet und modular

Der Verantwortungsbereich von Peters umfasst die Produktion der A320-Familie entlang des gesamten Wertstroms, auf Englisch „Value Stream“, an allen Endmontagelinien der A320-Familie. Dazu gehört etwa auch die Entscheidung, wo welches Flugzeug produziert wird.

Der Wertstrom ist die Gesamtheit aller wertschöpfenden und nicht-wertschöpfenden Prozesse, die notwendig sind, um ein Produkt oder eine Dienstleistung von der Idee bis zur Auslieferung an den Kunden zu bringen.

AERO International: Herr Peters, welche Faktoren bestimmen darüber, in welcher Endmontagelinie ein Flugzeug produziert wird?

SEBASTIAN PETERS: Dafür gibt es keine mathematische Formel, aber eine Handvoll Aspekte, die darüber entscheiden, wo wir produzieren können. Dabei ist die Verfügbarkeit einer freien Endmontagelinie die Grundprämisse. Wir haben einen hohen Auftragsbestand, und somit sind sämtliche Standorte auch gut ausgelastet. Das heißt, wir prüfen zunächst, wo es freie Slots aus Sicht der Produktionskapazität gibt.

Der nächste Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt, ist die Produkteigenschaft. Nicht alle Varianten der A320-Familie lassen sich an allen vier Standorten fertigen. Gerade hier in Hamburg fokussieren wir uns auf die A321 mit komplexen Kabinen. Das ist unsere Spezialität und das Know-how, das wir in Hamburg haben.

Der dritte Aspekt rückt immer mehr in den Vordergrund: die Nähe zum Kunden. Wir haben die im weiteren Ausbau befindlichen Standorte in China und den USA vor allem vor dem Hintergrund der Kundennähe gewählt. Die endgültige Wahl der Produktion eines Flugzeugs an einem der vier Standorte ist sicherlich ein Mix aus allen drei Aspekten, wobei die Verfügbarkeit der Produktionskapazität wie geschildert im Vordergrund steht.

Wie lange im Voraus wird geplant, in welcher Endmontagelinie ein Flugzeug gebaut wird?

Darauf gibt es nicht die eine gültige Antwort. Am liebsten haben wir es natürlich, wenn wir schon Jahre im Voraus verlässlich planen können – und diese Planung sich nicht mehr verändert. Aber das ist die ideale Welt. In der Realität haben wir die Möglichkeit, an den Standorten sechs bis neun Monate vor Produktionsbeginn nochmals umzuplanen.

Der kleine Langstreckenjet A321XLR wird seit wenigen Wochen nicht nur in Hamburg, sondern auch im französischen Toulouse endmontiert. Bild: Airbus

A321XLR jetzt auch aus Toulouse

Wird die neue Langstreckenversion A321XLR mittlerweile auch an anderen Standorten als nur in Hamburg gebaut?

Wir haben die A321XLR so flexibel aufgebaut, dass sie im Prinzip an allen vier A320-Standorten endmontiert werden kann. Der Start der Endmontage des Langstreckenjets war in Hamburg, mittlerweile produzieren wir auch in Toulouse. Die Integration des in Augsburg gebauten Rear Center Tank (RCT) im Rumpf unter der Kabine wird aber weiterhin nur in Hamburg erfolgen. Eigens dafür haben wir eine Halle für die A321XLR-Sektionsmontage in Hamburg gebaut, die exklusiv für diesen Produktionsschritt genutzt wird. Weitere Standorte für die Endmontage in Ergänzung zu Hamburg und Toulouse können künftig dazukommen.

Kann ein Kunde einen Wunsch äußern, wo sein Flugzeug gebaut werden soll?

Uns ist grundsätzlich sehr daran gelegen, Kundenwünsche zu erfüllen. Allerdings gilt auch hier zunächst die Frage, wo Kapazitäten frei sind. Aber abgesehen davon haben wir die aktuell acht globalen Fertigungslinien so aufgebaut, dass sie möglichst flexibel nutzbar sind. Dies gilt mit der Einschränkung, dass nicht alles überall machbar ist.

Wenn eine chinesische Airline oder eine US-Airline den Wunsch hat, ihr Flugzeug in ihren jeweiligen Heimatländern zu erhalten, dann versuchen wir natürlich, diesem Wunsch zu entsprechen. Es ist aber auch so, dass die Kunden uns dabei helfen, den größtmöglichen Output der acht Final Assembly Lines (FAL) zu ermöglichen. Schließlich ist es in ihrem Interesse, ihre Maschine der A320-Familie möglichst schnell zu erhalten.

Wann setzt der Materialfluss bei Zulieferern und bei Airbus ein?

Darauf gibt es keine allgemeingültige Antwort. Jedes Flugzeug besteht aus rund drei bis dreieinhalb Millionen Teilen. Und es gibt die unterschiedlichsten Komponenten. Die unterscheiden sich nicht nur durch ihre Dimension, sondern auch durch ihre technische Komplexität. Einzelne Bauteile werden im Airbus-Verbund, andere extern produziert. Wenn wir weit vor der Endmontage beim Rohmaterial starten, beispielsweise Stahl oder Titan, was ja auch gerade ein sehr kritisches Thema in Bezug auf die Versorgungssicherheit ist, sind wir schon zwei bis drei Jahren vor dem eigentlichen Bau des Flugzeugs in der Beschaffung. Kleinteile hingegen werden rund ein Jahr vor Produktionsbeginn beschafft. Bei unseren Großkomponenten, wie den Rumpftonnen, liegen wir bei sechs bis neun Monaten vor Beginn der Endmontage.

Ein Team, ein Flugzeug

Ist jedes Teil, selbst der kleinste Niet oder Clip, für ein bestimmtes Flugzeug vorgesehen?

Historisch gesehen, vor rund 30 Jahren, war jedes einzelne Teil eines Flugzeugs, selbst der kleinste Niet, für eine individuelle Baunummer eines Flugzeugs der A320-Familie zugeteilt. Das ist die Logik, aus der wir kommen. Aber heutzutage, mit unserem Ratenhochlauf auf 75 Maschinen pro Monat im A320-Programm, würde es uns enorm viel Flexibilität nehmen, wenn wir exklusiv für ein bestimmtes Flugzeug alles in einem Beschaffungsprozess vorplanen und beschaffen müssten. Daher schauen wir, dass wir dort, wo die Kunden keine speziellen Konfigurationen wünschen, in die Serie gehen und die Teile von einer bestimmten Baunummer entbinden. Um Ihre Frage zu beantworten: Niete oder Clips werden also für die Produktion nach Bedarf aus der Lagerhaltung und Pufferbeständen entnommen.

Wie werden die Zulieferer gesteuert und  deren Termintreue sowie Qualität überwacht?

Spätestens seit Corona befassen wir uns noch intensiver mit dem Thema, wie wir unsere Lieferanten individuell unterstützen können. Es war für viele, gerade kleinere Lieferanten schwierig, nach dem „ramp down“ während der Pandemie den „ramp up“, also die Produktionssteigerung, zu vollziehen. Hier unterstützen wir auf vielfältigste Weise, sei es mit Unterstützung beim Zugang zu Finanzmitteln oder eigenem Personal zur Qualifizierung der Mitarbeiter des Lieferanten. Dafür haben wir in den letzten Jahren nicht nur unseren eigenen Personalbestand, sondern auch unsere Schulungskompetenz ausgebaut. Wenn wir uns anschauen, wo wir noch vor einem oder anderthalb Jahren in Bezug auf Fehlteile oder Lieferkrisen standen, sind wir deutlich besser geworden.

Eventuelle Engpässe wollen wir gemeinsam und frühzeitig mit den Lieferanten erkennen. Dafür haben wir einen sogenannten „Watchtower“ eingerichtet, um frühzeitig Signale aus der Lieferkette zu sehen und Transparenz zu gewährleisten. Das hilft auch in der Produktion. Hier haben wir gerade in den vergangenen zwölf Monaten viel getan, um die Materialverfügbarkeit für den Fertigungsfortschritt an jedem einzelnen Bauplatz digital abbilden zu können. Wir sehen auf diese Weise nicht nur den Ist-Zustand, sondern können mögliche Fehlteile noch früher antizipieren.

Wo hakt es im Augenblick am meisten?

Aktuell konzentrieren sich die Probleme im A320-Programm stark auf die Triebwerkshersteller. Die sind noch nicht auf der Produktionsrate, die wir benötigen. Das ist schade, denn wir haben es aufgrund der verbesserten Situation unserer Lieferanten geschafft, mit der Produktionsrate der Flugzeuge hochzugehen.

Aber uns fehlen die Triebwerke, um die Maschinen auch auszuliefern. Uns wurde signalisiert, dass sich die Situation bald verbessern wird, aber aktuell stehen zum Beispiel zahlreiche Flugzeuge ohne Triebwerke auf dem Gelände in Hamburg.

Wir dürfen aber auch nicht unterschätzen, dass es bei mehr als 3000 globalen Zulieferern immer wieder zu Engpässen kommen kann. Am Ende benötigen wir alle drei Millionen Bauteile einer A320 – da darf kein Teil fehlen. Zum Glück gibt es, bis auf die Triebwerke, aktuell kein Mitglied der A320-Familie, bei dem wir signifikante Schwierigkeiten verzeichnen.

Wenn ein Zulieferer Liefer- oder Qualitätsprobleme bekommt, ist er verpflichtet, uns diese frühzeitig zu melden. Gleichzeitig kontrollieren wir dies sehr stark – noch stärker als in der Vergangenheit. Auch dadurch ist unsere Lieferkette resilienter und flexibler geworden. Früher haben wir uns angeschaut, wie die Lager generell gefüllt sind – heute gehen wir bis in die Stationsverfügbarkeit von Teilen hinein.

Fast minütlich kontrollieren wir, ob ein bestimmtes Bauteil am richtigen Bauplatz in der richtigen Menge und der richtigen Qualität verfügbar ist. Für jede einzelne Fertigungsschicht muss die Versorgungssicherheit gewährleistet sein.

Pufferbestände und Dual Sourcing

Wie wird die Produktion gesteuert, wenn es Verzögerungen in der Lieferkette gibt? Gibt es beispielsweise Back-ups?

Auch hier haben wir deutliche Änderungen vorgenommen, gerade auch im Hinblick darauf, welche Geschwindigkeit wir in der Serienfertigung für eine optimale Versorgungssicherheit brauchen. Wir haben gezielt Pufferbestände entlang des gesamten Wertstroms aufgebaut. Dort, wo wir gesehen haben, dass es kritisch ist, haben wir die Lagerbestände erhöht. So vermeiden wir, dass ein verspäteter Transport zu einem Baustopp führt. Das war eine ganz wichtige Maßnahme.

Zudem greifen wir bei der Fertigung von großen und technologisch kritischen Komponenten im Rahmen des „Dual Sourcing“ auf bis zu drei Unterlieferanten zurück. Ein konkretes Beispiel aus Hamburg ist das mittlere/hintere Rumpfsegment, dessen Produktionsanteile wir mittlerweile auf drei Schultern verteilt haben. Falls einer der Lieferanten Probleme bekommt, können wir auf die Alternativen zugreifen.

Sebastian Peters ist Geschäftsführer der Airbus Operations GmbH und als Value-Stream-Manager für die weltweiten Produktionslinien der A320-Familie verantwortlich. Bild: Airbus

 

Wie soll die geplante Fertigungsrate auf 75 Maschinen pro Monat im Jahr 2027 gesteigert werden?

Eines unserer Rezepte lautet „Modular 
Operations“. Damit stellen wir uns intern 
robuster auf, um die Produktionsrate auf 
75 Flugzeuge im Monat zu erhöhen. In weitere Endmontagelinien zu investieren, ist sicherlich auch ein Weg dahin, wie je eine zweite Linie in China und den USA. Wir haben uns aber auch angeschaut, was wir aus dem bestehenden System noch herausholen können. Nicht nur im Sinn eines größeren Outputs, sondern auch im Sinn einer größeren Produktionsflexibilität und -stabilität.

Um das zu erreichen, wollen wir uns mehr in Richtung Serienfertigung bewegen. Da etwa alle zwei Tage ein Flugzeug „vom Band“ läuft, stellte sich die Frage, wie wir die Produktion repetitiver im Sinne einer Serie machen können. Daher setzen wir in Hamburg ein Leuchtturmprojekt um, das die modulare Fertigung der Single-Aisle-Flugzeuge zum Ziel hat.

Wenn man sich eine Endmontagelinie (FAL) heute anschaut, kann man diese in zwei Teile trennen. Da gibt es zunächst die „getaktete FAL“ – dort geht es in regelmäßigen, festen Zeitabschnitten einen Produktionsschritt weiter. Es kommen die Großkomponenten wie Rumpfsegmente und Flügel an, aus denen das Flugzeug zusammengesetzt wird. Dies schließt bei nicht so komplexen Flugzeugen auch den Kabineneinbau mit ein. Dann geht es in den „nicht getakteten”, zweiten Teil der FAL, wo die Zeiträume bis zur Fertigstellung eines Produktionsschritts flexibler sind. Dort werden beispielsweise Triebwerke montiert und getestet – bis hin zur Übergabe an den Kunden.

Das war jahrelang das Grundprinzip der Flugzeugfertigung, das wir jetzt, beginnend mit Hamburg, aufbrechen. Das heißt, wir machen den Prozess der getakteten FAL deutlich effizienter und optimieren die Durchlaufzeiten. Wir verkürzen den Prozess um einige Tätigkeiten wie beispielsweise den Kabineneinbau und führen lediglich sich wiederholende Tätigkeiten in der Serie aus.

Damit kommen wir deutlich schneller durch die getaktete FAL, denn die strikte Standardisierung eliminiert die Produktvielfalt. Die Arbeitsschritte am Flugzeug ändern sich nicht – jedoch die Art und Weise, wie wir sie organisieren, hat sich entscheidend geändert.

Im Anschluss daran werden wir „modular“. Das Flugzeug kommt an einen Bauplatz, an dem sämtliche weiteren Tätigkeiten ausgeführt werden können. Ein Team bearbeitet dort jeweils ein Flugzeug, einschließlich Triebwerksmontage und Tanktests bis zur Übergabe an das Auslieferungszentrum. Diese Phase kann dann auch unterschiedlich lange dauern, je nach Komplexität des Flugzeugs, was zum Beispiel die vom Kunden gewünschte Kabinenausstattung angeht.

Wir haben dies in Hamburg im verangenen Jahr an einer Endmontagelinie als Pilotprojekt gestartet und konnten nach einem halben Jahr bereits eine deutliche Reduzierung der Durchlaufzeit sowie eine Steigerung der Effizienz und Stabilität der Produktion feststellen.

Nach der ersten Endmontagelinie werden wir dieses erfolgreiche Projekt schrittweise in den kommenden zwei Jahren in den übrigen drei Endmontagelinien in Hamburg ausrollen. In der Zukunft ist dies die Blaupause für das industrielle A320-System an allen globalen Standorten.

Wir leben in geopolitisch unruhigen Zeiten. Wie bereitet sich Airbus auf eine Störung der globalen Logistikketten vor?

Unsere Antwort darauf lautet, robuster und flexibler zu werden – durch das beschriebene Dual Sourcing, aber auch Logistikinitiativen. Wir haben viel in die Flexibilität unserer Liefer- und Produktionsketten investiert. So entstand in Hamburg das größte Lager für die Final Assembly Line namens „Skyhub“. Dies ist einer unserer zahlreichen Stellhebel, um Versorgungssicherheit aufzubauen und die Abhängigkeit von Partnern zu reduzieren.

Rümpfe der A320-Familie in der getakteten Hamburger Ausrüstungsmontage. Bild: Tim Reichert

Keine weiteren Standorte geplant

Sind weitere A320-Endmontagelinien etwa im Zukunftsmarkt Indien geplant?

Dazu gibt es aktuell keine Planung. Die anvisierte monatliche Produktionsrate 75 basiert auf den vorhandenen vier Endmontagestandorten.

Hat die Übernahme der Airbus-Produktionsanteile von Spirit Aerosystems bereits Auswirkungen?

Der Fokus liegt aktuell darauf, die Liefersituation rund um die von Spirit Aerosystems hergestellten Bauteile wieder in den Griff zu bekommen. Dazu schauen wir uns ganz genau die Situation in den einzelnen Spirit-Werken an. Das ist ein laufender Prozess, parallel dazu, dass wir daran arbeiten, die Standorte in unser System einzubinden. Diese Integration braucht aber ihre Zeit.