Warum werden die Smolensk-Opfer exhumiert?
14.11.2016 Der Fall Smolensk lässt Polen keine Ruhe: Die Regierung vermutet hinter dem Absturz des Präsidentenfliegers ein Verbrechen und lässt nach sechs Jahren die Toten exhumieren. Kritiker sind skeptisch: Die Motive der Regierenden seien ganz andere. Warschau (dpa) – Polen lässt die Smolensk-Katastrophe sechs Jahre nach Absturz der Präsidentenmaschine in Russland neu untersuchen. Warum die […]
14.11.2016
Der Fall Smolensk lässt Polen keine Ruhe: Die Regierung vermutet hinter dem Absturz des Präsidentenfliegers ein Verbrechen und lässt nach sechs Jahren die Toten exhumieren. Kritiker sind skeptisch: Die Motive der Regierenden seien ganz andere.
Warschau (dpa) – Polen lässt die Smolensk-Katastrophe sechs Jahre nach Absturz der Präsidentenmaschine in Russland neu untersuchen. Warum die Regierenden dabei – trotz Widerstands vieler Familien – sogar auf Exhumierung der Todesopfer bestehen, ist umstritten.
Was ist passiert?
Beim Landeanflug auf das russische Smolensk stürzte Polens Präsidentenmaschine am 10. April 2010 im dichten Nebel ab. Alle 96 Menschen an Bord starben. Darunter der damalige Präsident Lech Kaczynski, Zwillingsbruder von Polens derzeitigem starken Mann, dem Chef der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit PiS, Jaroslaw Kaczynski. In Smolensk hatte das Staatsoberhaupt der polnischen Opfer eines stalinistischen Massakers gedenken wollen. Außer ihm waren zahlreiche Vertreter von Polens politischer und militärischer Elite an Bord. Das tragische Ereignis versetzte ganz Polen in Schock und Trauer. Die damaligen Ermittlungen ergaben: Schuld war ein Pilotenfehler.
Warum wird neu ermittelt?
Den Untersuchungsergebnissen von Polens Vorgängerregierung und russischer Experten will PiS-Chef Kaczynski keinen Glauben schenken. Er und viele seiner Anhänger vermuten hinter dem Absturz einen Anschlag und heizen seit Jahren Verschwörungstheorien an. Als Kaczynskis Partei vergangenes Jahr die Wahl gewann, rollte sie den Fall neu auf. Dabei dienen ihr Fehler, die bei den Ermittlungen begangen worden sind, als Rechtfertigung. Kaczynski-Anhänger zeigen sich überzeugt, dass es sich bei den Ermittlungsfehlern um eine vorsätzliche Irreführung der Öffentlichkeit handelt. Den Einwand, dass die Bedingungen für Untersuchungen direkt nach der Katastrophe schwierig gewesen seien, lassen sie nicht gelten. Dass Russland das Wrack der Maschine auch Jahre später nicht herausgeben will, erhöht nur ihr Misstrauen. Moskau begründet dies mit eigenen Ermittlungen.
Warum werden die Opfer exhumiert?
Die neuen Ermittler vermuten, hinter dem Absturz könne ein Verbrechen stehen. Sie leiteten strafrechtliche Ermittlungen ein, die Exhumierungen auch gegen den Willen Angehöriger erlauben. Die Staatsanwaltschaft betont, die Sichtung aller Beweise sei verpflichtend. Weil sich das Wrack in Russland befindet, seien die Leichname desto wichtiger, lautet die Argumentation. Trotz Protesten vieler Angehöriger der Opfer müssten alle 83 Toten exhumiert werden, die nach der Katastrophe nicht eingeäschert wurden. Ansonsten werde es immer Grund zu Zweifeln geben, sagt Staatsanwalt Marek Pasionek. Mehr als 200 Angehörige der Smolensk-Opfer hatten in einem offenen Brief an die Regierenden appelliert, von der Exhumierung abzusehen. Ihrer Meinung nach ist es ein «grausamer und rücksichtsloser Akt».
Was erhofft sich die Regierung davon?
Die PiS-Regierung will nach eigenen Angaben der Wahrheit auf den Grund gehen und die Todesursache der Opfer ermitteln. Neben DNA-Tests sollen die Opfer laut Staatsanwaltschaft auch auf Sprengstoffspuren untersucht werden. Verteidigungsminister Antoni Macierewicz, Leiter der neuen Smolensk-Untersuchungskommission, ist überzeugt, dass es an Bord eine Explosion gegeben hat. Beweise hat er bislang nicht. Rechtsmedizinern zufolge sind Untersuchungen von Toten vor allem sinnvoll, um Knochenfrakturen oder Vergiftungen festzustellen sowie um DNA zu ermitteln. Welche weiteren Ergebnisse die Ärzte sechs Jahre nach dem Tod werden gewinnen können, hängt davon ab, in welchem Zustand sich die Verstorbenen befinden.
Was prangern Gegner der Exhumierungen an?
Kritiker unterstellen der PiS, politisch motiviert zu handeln. Die Regierenden würden die Ermittlungen absichtlich in die Länge ziehen, um unter den Polen das Misstrauen bezüglich der Smolensk-Katastrophe zu verstärken. Dadurch wollten sie Unterstützer gewinnen. «Aus dem Gedenken an die Opfer der Smolensk-Katastrophe wurde ein politischer Kampf gemacht», prangert Polens ehemaliger Präsident Bronislaw Komorowski im «Radio Zet» an. Die Exhumierungen werden laut Behörden mindestens ein Jahr dauern. Auch einige Geistliche ergriffen Partei: Bischof Tadeusz Pieronek bezeichnet die Exhumierungen als «Skandal». Die Regierenden würden in die Privatsphäre der Familien eindringen und sie das alte Traume erneut durchleben lassen.
Natalie Skrzypczak, dpa