Luftfahrtunglücke: Warum retten Menschen ihr Gepäck und gefährden damit Leben? Bei der tragischen Notlandung eines Suchoi Superjets im Mai am Moskauer Flughafen Scheremetjewo starben mehr als vierzig Menschen, nachdem das Flugzeug beim Aufprall in Brand geraten war. Auf Kamerabildern war zu sehen, wie manche Überlebende das brennende Flugzeug mit ihren Handgepäckstücken über die vorderen Notrutschen […]

Luftfahrtunglücke: Warum retten Menschen ihr Gepäck und gefährden damit Leben?

Bei der tragischen Notlandung eines Suchoi Superjets im Mai am Moskauer Flughafen Scheremetjewo starben mehr als vierzig Menschen, nachdem das Flugzeug beim Aufprall in Brand geraten war. Auf Kamerabildern war zu sehen, wie manche Überlebende das brennende Flugzeug mit ihren Handgepäckstücken über die vorderen Notrutschen verließen. Dies wurde auch in den Medien thematisiert. Angesichts der zahlreichen Opfer, die vor allem in den hinteren Sitzreihen saßen, stellt sich die Frage: Warum retteten die Passagiere ihr Gepäck und verzögerten so möglicherweise die Evakuierung? Der Flugrechtespezialist Skycop hat dazu eine Expertin der Luftfahrtpsychologie befragt.

„In solchen Situationen erleben die Passagiere zwei extreme Emotionen: Todesangst und Unsicherheit. Bei dem Versuch zu überleben handeln sie dann häufig irrational“, erklärt Rosita Kanapeckaite, eine Expertin für Luftfahrtpsychologie und Dozentin am Luftfahrt-Institut der Technischen Universität Vilnius. Die sozialen Netzwerke und Medien sind voll mit verstörenden Bildern und Videos, auf denen Überlebende zu sehen sind, die das brennende Flugzeug mit ihrem Hab und Gut verlassen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass einige Nutzer ihnen eine Mitschuld am Tod der anderen Passagiere geben. Die Psychologin Kanapeckaite rät jedoch dazu, die menschliche Natur und die Rolle der Flugzeugbesatzung mit zu berücksichtigen, bevor man vorschnelle Urteile fällt.

Die Leute retteten nicht bewusst ihr Gepäck

„Einige der Passagiere haben wahrscheinlich einfach das Verhalten der anderen kopiert. Ich glaube, dass niemand dort an seinen teuren Pullover dachte und ihn unbedingt retten wollte. In solchen Extremsituationen funktioniert unser Gehirn einfach nicht rational. Instinkte verleiten uns beispielsweise ebenfalls dazu, bei Panik einfach loszurennen oder können uns dermaßen überwältigen, dass wir in eine Stockstarre verfallen. In solchen Situationen hat das Verhalten anderer einen großen Einfluss: Wenn der erste im Flugzeug anfängt, seinen Koffer mitzunehmen, tun andere ihm das nach. Es fehlt schlicht die Zeit, um reflektiert die Entscheidung abzuwägen“, meint die Psychologin.

Kanapeckaite schlägt vor, nicht nur das Verhalten der Passagiere, sondern auch die Handlungen der Besatzung zu analysieren. „Schuldige zu finden, ist ein Weg, um mit der Tragödie fertig zu werden, aber es ändert nichts an dem Verlust. Der Überlebensinstinkt liegt in der menschlichen Natur, aber selbst wenn wir mit einem Flugzeug fliegen, rechnen wir nicht damit, mit unseren Instinkten umgehen zu müssen und sind daher in Notfällen überfordert. Deshalb muss die Crew den Passagieren dann den Weg weisen – sie ist darauf trainiert, Instinkthandlungen zu unterdrücken.“

Immer mehr Menschen retten bei Unglücken ihr Gepäck

Laut einem Artikel in der New York Times werden Flugzeugpassagiere, die in Notlagen darauf bestehen, ihr Hab und Gut aus den Gepäckfächern zu holen, mehr und mehr zu einem Problem für Flugbegleiter, die das Flugzeug schnell evakuieren müssen. Die amerikanische Zeitung zitiert Sara Nelson, die Präsidentin der Flugbegleiter-Gewerkschaft Association of Flight Attendants mit den Worten: „Wir machen bei den jüngsten Unfällen immer wieder die Beobachtung, dass Passagiere versuchen, bei einem Notfall ihre Gepäckstücke zu retten.“ Es gibt daher schon Überlegungen seitens mancher Airlines, die Handgepäckfächer bis zur Landung zu verriegeln.

Kanapeckaite fügt hinzu, dass eine Flugreise eine besondere Art von Stress ist und dass Flugangst eine der häufigsten Phobien ist. „Dies beginnt bei der Wahrnehmung, dass man die Kontrolle über die Situation verliert. Einige Passagiere erleben zudem Klaustrophobie oder fühlen sich gestresst, weil sie sich auf engstem Raum mit vielen Fremden aufhalten. Auch das kann Angst und irrationale Handlungen hervorrufen“, sagt die Psychologie-Expertin.

Unfalltraining ist nicht nur Ihr Job – diese Tipps helfen trotzdem

Der Luftfahrtexperte Skycop hat für Flugreisende einige Ratschläge, die helfen, besser mit unerwarteten Notsituationen zurechtzukommen. Das Tragen praktischer Kleidung und die Vermeidung von brennbaren Materialien wie Nylon und Polyester können bei Unfällen lebensrettend wirken. Wenn schnelles Laufen erforderlich sein sollte, braucht es das richtige Schuhwerk dafür. Hohe Absätze, Flip-Flops und Stilettos sind bei Flugreisen die schlechtesten Entscheidungen.

Das Beste, was Passagiere hingegen tun können, ist, die Sicherheitshinweise sorgfältig anzuhören und zu befolgen. Auch die Karte mit den Sicherheitshinweisen in der Rückenlehne des Vordersitzes verdient eine aufmerksame Betrachtung vor dem Start.

„Die Vorbereitung auf Unfälle liegt aber nicht nur in der Verantwortung der Passagiere. Piloten und Flugbegleiter müssen angemessen geschult werden, um sich richtig zu verhalten, da die anderen Menschen an Bord ihnen in der Regel folgen. Wer nur zweimal im Jahr in den Urlaub fliegt, wird sich nicht auf Extremsituationen vorbereiten. Man erwartet sie einfach nicht“, so Kanapeckaite.

von Lukas Rasciauskas