Ein Kapitel endet, ein neues beginnt: In wenigen Tagen läuft die Betriebspflicht des Flughafens Tegel aus. Seine Zukunft als Gewerbestandort und Wohnsiedlung stößt auf viel Zustimmung. Doch im angrenzenden Bezirk könnte es teurer werden. Berlin (dpa) – In wenigen Tagen wird der frühere Hauptstadt-Flughafen Tegel auch rechtlich aufhören, ein Flughafen zu sein. Ein halbes Jahr nach dem Start […]

Ein Kapitel endet, ein neues beginnt: In wenigen Tagen läuft die Betriebspflicht des Flughafens Tegel aus.

Seine Zukunft als Gewerbestandort und Wohnsiedlung stößt auf viel Zustimmung. Doch im angrenzenden Bezirk könnte es teurer werden.

In wenigen Tagen wird der frühere Hauptstadt-Flughafen Tegel auch rechtlich aufhören, ein Flughafen zu sein. Ein halbes Jahr nach dem Start der letzten Passagiermaschine im Berliner Norden endet am kommenden Dienstag die sechsmonatige Bereitschaftsphase des Flughafens. Dann baut der bisherige Betreiber, die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg (FBB), alle sicherheitsrelevanten Anlagen ab und übergibt Gelände und Gebäude nach und nach ans Land.

«Die Betriebspflicht für den vormaligen Flughafenstandort Berlin-Tegel (TXL) endet am 4. Mai um 24 Uhr», teilt ein Sprecher auf Anfrage mit. Ab August trage die FBB dann keine Verantwortung mehr. Ein Kapitel Berliner Luftfahrtgeschichte geht damit zu Ende. Ein neues Kapitel Stadtentwicklung und bezahlbarer Wohnraum beginnt.

Denn während derzeit mal wieder darüber gestritten wird, was auf der Freifläche des früheren Innenstadtflughafens Tempelhof geschehen soll, ist diese Frage für Tegel längst geklärt: Über Jahre haben der Berliner Senat und der Bezirk Reinickendorf mit Anwohnern und der Wirtschaft ein Konzept für die Zeit nach dem Flughafen-Aus erarbeitet. Es soll Wissen und Unternehmen anziehen und gleichzeitig bezahlbaren Wohnraum schaffen.

«Was in Tegel geplant ist, ist auf jeden Fall intelligente Stadtentwicklung», sagt Wolf-Christian Strauss, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Deutschen Institut für Urbanistik (Difu).

Verantwortlich für die Weiterentwicklung ist die landeseigene Tegel Projekt GmbH. «Ab 2021 und über einen Zeitraum von ca. 20 Jahren entsteht auf dem 500 Hektar großen Areal des Flughafens Tegel nicht nur ein vollkommen neuer Stadtteil, sondern das Modell für die smarte, nachhaltige und soziale Stadt von morgen», heißt es verheißungsvoll auf deren Internetseite.

Gemeint ist damit zunächst das sogenannte Schumacher-Quartier im östlichen Teil des Flughafens: Ab 2022 sollen dort die Tiefbauarbeiten für rund 5000 Wohnungen in Holzbauweise beginnen. Das Quartier soll klimaneutral sein und bezahlbar – für Bauherren wie für die späteren Mieterinnen und Mieter, hieß es bei der Ankündigung im Dezember. Vorher müssten noch Altlasten und Kampfmittel auf dem Flughafengelände entfernt werden. Bis Anfang der 2030er Jahre sollen die Bauarbeiten abgeschlossen sein.

Direkt daneben entsteht ein Forschungs- und Industriepark. Dort sollen «bis zu 1000 große und kleinere Unternehmen mit 20 000 Beschäftigten forschen, entwickeln und produzieren», heißt es. In das ikonische alte Hauptterminal, ein Entwurf des Architekten Meinhard von Gerkan, soll die Beuth-Hochschule für Technik einziehen.

Für die Hälfte der Wohnungen im Schumacher-Quartier seien kommunale Wohnungsbaugesellschaften als Bauträger verantwortlich, sagt Difu-Wissenschaftler Strauss. Die andere Hälfte solle vorrangig an Genossenschaften gehen. «Ziel ist, das nur mit Playern durchzusetzen, die für bezahlbares Wohnen stehen.» Damit der Plan aufgehe, müssten aber auch künftige Landesregierungen an dem Vorhaben festhalten.

Eine größere Herausforderung könnte das Tegel-Aus vor allem für die umliegenden Quartiere bedeuten. «Man sieht schon jetzt deutliche Preissteigerungen in Richtung des Kurt-Schumacher-Platzes, im Bereich der früheren Einflugschneise», sagt Strauss. «Der Bezirk Reinickendorf wird aufpassen müssen, um rechtzeitig beim Thema Milieuschutz zu reagieren.» Auch die Umgebung rund um den alten Flughafen Tempelhof sei mit dessen Ende deutlich aufgewertet worden.

Zudem sei unklar, was nach dem Umzug der Beuth-Hochschule zum neuen Campus mit deren alten Hochschulgebäuden passieren soll. «Da haben wir Großstrukturen, die für eine universitäre Nutzung gedacht sind und für die man erstmal eine Nachnutzung finden muss.»

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (Nabu) wiederum macht sich Sorgen um Biotope rund um das Flughafengelände. Seit Jahren pflegt der Verband etwa die Naturlandschaft am Flughafensee – und fürchtet mit der Umnutzung des Flughafens nun Pläne einer Badestelle am Südufer. Eine Petition dagegen hat der Nabu Mitte April an die zuständige Senatsverwaltung übergeben. Diese teile die Ziele und Inhalte des Verbands, heißt es von dort auf Anfrage. Bereits seit Jahren stehe das Thema Schutzgebiete «weit oben auf der Agenda der Umweltverwaltung».

Konfliktpotenzial rund um das neue Projekt Tegel ist somit reichlich vorhanden. Bis Industriestandort und Schumacher-Viertel Gestalt annehmen, werden noch Jahre vergehen. Die Diskussionen um bezahlbaren Wohnraum werden solange wohl nicht abreißen.

dpa