«Leben geht weiter» – Dörfer nach Eurofighter-Unglück im Alltagsmodus
Rund ein Jahr nach dem spektakulären Eurofighter-Absturz über der Mecklenburgischen Seenplatte sind die Einwohner wieder im Alltag angekommen. Noch ist manchem mulmig, wenn sie Tiefflieger hören und sehen. Doch Entschädigungen sind geflossen – derzeit sorgt eher die Dürre für Sorgenfalten. Nossentiner Hütte/Berlin (dpa) – Wenn Tiefflieger der Bundeswehr in diesen Tagen über die Region Malchow […]
Nossentiner Hütte/Berlin (dpa) – Wenn Tiefflieger der Bundeswehr in diesen Tagen über die Region Malchow und Nossentiner Hütte hinwegdonnern, schaut Andreas Schaade aufmerksam nach oben. «Das Üben hat uns früher wenig interessiert», sagt der Landwirt. Durch die russischen Kampfpiloten war man viel Krach gewöhnt. Aber seit rund einem Jahr ist an der Mecklenburgischen Seenplatte alles anders: Am 24. Juni 2019 krachten über dem Fleesensee etwa 100 Kilometer Luftlinie nördlich von Berlin zwei Kampfflugzeuge zusammen. Es gab einen Feuerball, die Maschinen stürzten ab. Ein junger Pilot starb, der Zweite – ein erfahrener Fluglehrer – überlebte, ein dritter Pilot flog zurück nach Rostock-Laage. «Wir können glücklich sein, das nicht noch mehr passiert ist», sagt die Amtsvorsteherin und Bürgermeisterin von Nossentiner Hütte, Birgit Kurth.
Knapp ein Jahr nach der Aufregung ist nicht nur sprichwörtlich «Gras über den Vorfall gewachsen». Damals waren Nossentiner Hütte, Silz und Nossentin wochenlang abgesperrt. Nur wenige Hundert Meter neben den Dörfern waren die Wracks und auch Leichenteile des Getöteten niedergegangen. Hundertschaften durchsuchten Felder, Grundstücke, Wälder und Wiesen und fanden etliche Teile der teuren Maschinen – auch auf dem Sportplatz und neben dem Kindergarten. Das ist auch noch nicht vorbei: «Die Bundeswehr hat immer noch Kisten hier zu stehen, wo Teile hineingeworfen werden», sagt Kurth. Einheimische und Urlauber finden durch Zufall immer noch Eurofighter-Stücke.
Zwölf Monate nach dem Flugunfall hat der General Flugsicherheit – zugleich auch eine Abteilung im Luftfahrtamt der Bundeswehr – die Ermittlungen soweit abgeschlossen. Laut dem Abschlussbericht steht der jüngere der beiden Unglückspiloten als Verursacher fest. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur nach Vorlage des Berichts, der an den Verteidigungsausschuss des Bundestags ging.
Demnach soll der 27-Jährige bei dem Kampfflugmanöver der drei Maschinen (zwei gegen eins) unter anderem eine falsche Fluglinie geflogen sein. «Es gibt bisher keinen Hinweis, dass einer der beiden anderen Piloten einen Fehler gemacht hat», sagt der Sprecher der Neubrandenburger Staatsanwaltschaft, Andreas Lins. Man stehe «in engem Kontakt mit den militärischen Behörden.» In dieser Richtung könnten die staatsanwaltlichen Ermittlungen im dritten Quartal 2020 auch abgeschlossen werden. Die Behörde hatte auch die geborgenen Flugzeugwracks beschlagnahmt.
Für Landwirt Schaade ist das alles lange her. «Auf unseren Feldern spüren wir nichts mehr vom Absturz und den Bergungsmaßnahmen», sagt er. An der Absturzstelle unweit vom Kindergarten wurde auch Boden ausgetauscht. Nun wächst Roggen – aber mit Trockenschäden.
Im Augenblick gibt es mit der Dürre und der Corona-Krise überhaupt größere Probleme als vor einem Jahr, sind sich die Amtsleiterin und Schaade sicher. Rund 100 000 Euro als Entschädigung für die letzte Ernte, die wegen des Unglücks zum Teil ausgefallen war, hat Schaade für seine beiden Agrarbetriebe erhalten. 250 000 Euro hat die Bundeswehr an die Feuerwehren der Region gezahlt. Die Schutzanzüge vieler Kameraden waren mit vermutlich gesundheitsschädlichen Kohlenstofffasern verschmutzt, die beim Brand der Flugzeuge freigesetzt wurden. Die Schutzkleidung sollte entsorgt werden.
In einer Bürgerversammlung hatte die Bundeswehr direkt nach dem Unglück über den Sachstand berichtet. Offiziere stellten sich Fragen zu Straßensperrungen und möglichen Gesundheitsgefahren. Bei der Luftwaffe gilt das inzwischen als Lehrstück, wie man auf so ein Unglück reagiert. Weniger als zwei Wochen später ging der Übungsbetrieb weiter. Tenor: Die Ausbildung muss nicht grundsätzlich anders aufgestellt werden. Der Eurofighter ist das sicherste Kampflugzeug in der Geschichte der Bundeswehr. Seit 2004 war kein deutscher Eurofighter abgestürzt.
An einem Kita-Briefkasten klebt noch ein Zettel von vor einem Jahr, auf dem Verfasser ein Ende aller Tiefflüge in Deutschland fordern. Diese Forderung hat unter Kommunalpolitikern aber keine Mehrheit gefunden. Die Bürgermeisterin wollte in ihrer Gemeindevertretung im Juni eine Gedenkveranstaltung anregen, aber in Nossentiner Hütte fand sich keine Mehrheit – die Leute wollten ihre Ruhe, hieß es.
«Nach jeder Krise geht das Leben weiter», sagt die pragmatische Amtsleiterin Kurth. In Nossentiner Hütte gab es erst vor wenigen Wochen ein anderes Großereignis: Die erste Fußballmannschaft, auf deren Sportplatz auch Wrackteile gefunden worden waren, ist Ende Mai in die Landesliga aufgestiegen.
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