Im Wettbewerb mit Swiss, Edelweiss und anderen von Zürich aus operierenden Fluggesellschaften behauptet sich die kleine Chair Airlines ganz ansprechend. Wer ist dieser Carrier, wohin soll die Reise gehen?

Am Anfang war der Stuhl, englisch „chair“. Was dieses Wort im Zusammenhang mit Chair Airlines wohl bedeuten sollte? Dass die Zürcher Agentur Branders als Erfinderin dieses Namens damit auch die Sitze in der Kabine eines Verkehrsflugzeugs im Auge hatte, mag einleuchten. Nur: Sitze sind – das weiß jedes Kind – in den allermeisten Flugzeugen eingebaut, die kommerziell unterwegs sind. Und ob sich damit mit Französisch sprechenden Fluggästen, die des Englischen nicht mächtig sind, ein gutes Geschäft machen lässt, ist zweifelhaft, bedeutet „Chair“ in der Sprache Molières doch so viel wie „Fleisch“. Außerdem ist die Aussprache identisch mit jener des Wortes „cher“ („teuer“).

Viel wichtiger ist denn wohl eine andere Auslegung dieser Buchstabenfolge, zumal „Ch“ in Rot und „air“ in Blau gehalten sind: Rot auf weißem Hintergrund soll die Swissness, blau ein wichtiges Standbein der Airline, nämlich Warmwasserziele, darstellen. Wer einen Blick auf das Heck der Chair-Flugzeuge wirft, fühlt sich darin bestätigt: Am Leitwerk taucht das Rot großflächig mit einem darin eingelassenen, weißen Schweizer Kreuz wieder auf, während im hinteren Teil des Rumpfes eine große, stilisierte Welle prangt.

Bewegte Vergangenheit von Chair Airlines

Die Entstehungsgeschichte von Chair Airlines hört sich allerdings wesentlich nüchterner an. Im Jahr 2014 gründete die damalige deutsche Ferien- und Charterfluggesellschaft Germania im zürcherischen Glattbrugg eine Tochter namens Germania Flug AG, an der sie mit 40 Prozent der Aktien beteiligt war. Die restlichen 60 Prozent lagen bei Schweizer Investoren. Die Flug AG bediente ab März 2015 für den Schweizer Reisekonzern Hotelplan Suisse von Zürich aus mit zwei A319 mit je 150 Sitzplätzen und einer sehr dicht bestuhlten A321 (215 Sitzplätze) rund ein Dutzend Badeferienziele in Europa und Nordafrika. Darüber hinaus bot die Airline im Auftrag des Reiseanbieters Air Prishtina Flüge in die alte Heimat kosovarischer und mazedonischer Migrantinnen und Migranten an.

Ende 2018 zogen jedoch dunkle Wolken am Himmel auf: Germania geriet in finanzielle Schwierigkeiten und musste schließlich Insolvenz anmelden, nachdem Gespräche mit potenziellen Investoren ergebnislos verlaufen waren. Der Flugbetrieb musste eingestellt werden, rund 1100 Mitarbeitende erhielten im Januar des Folgejahres keinen Lohn mehr. Die Schweizer Schwester Germania Flug AG hatte eine eigene Betriebserlaubnis und war daher von der Insolvenz ihrer Anteilseignerin nicht betroffen. Allerdings musste für das Aktienpaket der Germania Ersatz gefunden werden.

Chair Airlines: Beteiligung von polnischer Chartertergesellschaft

Retterin in der Not war Leyla Ibrahimi-Salahi, die Chefin von Air Prishtina, die die Germania Flug über ihre Investmentgesellschaft Albex Aviation AG vollständig übernahm, inklusive des von der Germania Beteiligungsgesellschaft gehaltenen Anteils von 40 Prozent. Dies erfolgte durchaus im eigenen Interesse, denn wäre auch der Schweizer Ableger verschwunden, wäre Air Prishtina, die selber keine Flugzeuge betreibt, ohne Partnerairline gewesen. Bis Anfang Mai 2019 wurde der Flugbetrieb unter dem bisherigen Namen Germania Flug AG fortgesetzt. Wie zuvor bot das Unternehmen Flüge in den Balkan und zu Warmwasserzielen am Mittelmeer und im Atlantik an.

Dann kam nochmals Bewegung in den Betrieb: Die polnische Chartergesellschaft Enter Air beteiligte sich mit 49,9 Prozent an Germania Flug, die restlichen 50,1 Prozent blieben bei Albex. Enter Air fliegt seit April 2010 und betreibt heute eine Flotte von 25 Boeing 737-800 und MAX 8. Mit dem polnischen Carrier habe man einen strategischen Partner gefunden, der wichtige Synergieeffekte – etwa in den Bereichen Einkauf, Operations und im Unterhalt – ermögliche, sagte der damalige Verwaltungsrat der Germania Flug AG, Urs Pelizzoni.

Im Juni 2019 verließ diese endgültig ihre grün-weiße Vergangenheit und nannte sich fortan Chair Airlines. Als erstes Flugzeug erhielt die A319 mit der Registrierung HB-JOH den rot-weiß-blauen Anstrich. Die strategische Ausrichtung änderte sich jedoch nicht: Der Einzelplatzverkauf für Flüge in den Balkan sowie das Leisure-, ACMI (Aircraft, Crew, Maintenance und Insurance)- und das Adhoc-Geschäft blieben bestehen.

In personeller Hinsicht gab es hingegen Veränderungen: Dem bisherigen CEO Tobias Somandin sowie Urs Pelizzoni, der auch für die kommerziellen Belange verantwortlich war, wurden Anri Fontanive als Finanzchef und Shpend Ibrahimi, der Ehemann von Leyla Ibrahimi-Salahi, als Chief Information Officer zur Seite gestellt. Nur wenige Monate später, im November 2019, gab es in der Geschäftsführung aufgrund der neuen Besitzverhältnisse erneut ein Stühlerücken: Somandin und Pelizzoni gingen von Bord, Ibrahimi mutierte zum CEO, Tobias Hossmann übernahm die Position des COO. Mittlerweile besteht die Geschäftsleitung neben Ibrahimi aus Klemen Kete (COO), Christof Aregger (CFO) und Florian Tomasi (CCO).

Chair Airlines: Flottenausbau wahrscheinlich

Heute besteht die Chair-Flotte aus drei A320 und einer A319, wobei es in naher Zukunft zu einer Aufstockung kommen könnte: „Für 2025 haben wir eine vierte A320 ins Auge gefasst“, sagt Ibrahimi im Gespräch mit AERO INTERNATIONAL. Es sei aber wegen der anhaltenden Triebwerkproblematik bei den A320neo nicht einfach, auf dem Gebrauchtmarkt weitere A320ceo zu finden, denn die Airlines würden die Flugzeuge dieses Typs länger im Einsatz behalten.

Eine geleaste A319 steht in den Diensten der Chair Airlines. Ob der Airbus eine Zukunft in der Flotte haben wird, ist ungewiss. Bild: Thomas Strässle

Was mit der A319 geschieht, ist noch offen: Entweder wird der Ende des Jahres auslaufende Leasing-Vertrag erneuert, oder sie wird durch eine A320 ersetzt. Am Steuer dieser vier Maschinen sitzen rund 40 Piloten, wovon sechs – zwei Kapitäne und vier First Officer – Frauen sind.

Neben den eigenen Airbussen kommt gelegentlich, so auch im vergangenen Jahr – eine Boeing 737 von Enter zum Einsatz, zum Beispiel dann, wenn bei Chair ein Flugzeug aus technischen Gründen nicht flugbereit ist (AOG: Aircraft On Ground). Um Unterhaltung und Wartung der Chair-Maschinen kümmert sich seit Ende vergangenen Jahres wieder SR Technics, nachdem es beim früheren MRO-Provider, der dänischen Northern Aerotec, immer wieder zu Verzögerungen gekommen war, die den Flugbetrieb in Mitleidenschaft zogen. Seither sei die Zuverlässigkeit laut Ibrahimi „messbar höher“ geworden.

Welche Destinationen bietet Chair Airlines?

Chair steht nach wie vor auf drei Standbeinen, wobei die Linienflüge nach Pristina und Skopje rund 45 Prozent des Aufkommens ausmachen. Ausgangspunkt dieser Flüge ist nicht nur Zürich, sondern im Winter auch der Basler EuroAirport, wo die Fluggesellschaft jeweils eine A320 stationiert. Diese Maschine verbindet in sogenannten „W-Flügen“ nicht nur Basel, sondern auch zwei deutsche Destinationen mit der kosovarischen Hauptstadt. Das Routing lautet dabei Basel – Pristina – Düsseldorf – Pristina – Basel, das gleiche Muster gilt für Stuttgart. Damit lässt sich der ab Basel eingesetzte Airbus laut Ibrahimi am besten auslasten.

Einen ebenso großen Anteil am Geschäft machen die Warmwasserziele in Europa (Palma, Ibiza, Kreta, Kos, Rhodos, Larnaka) und Ägypten (Hurghada, Marsa Alam) aus. Weil die Skepsis der Reiseveranstalter gegenüber der angespannten politischen Lage im Nahen Osten zu groß war, wurde Scharm el-Scheich im vergangenen Winter nicht bedient.

Mit zehn bis 15 Prozent machen die ACMI- und Adhoc-Aktivitäten einen relativ geringen Teil des Geschäfts aus, was damit zu tun hat, dass die Auslastung der Flugzeuge im Sommer sehr hoch ist und nur wenig freie Kapazitäten zur Verfügung stehen. 2023 führte Chair beispielsweise einige Flüge für die estnische Marabu durch, die ab Hamburg und München Badeziele im Mittelmeerraum ansteuert.

Ein Ausbau des Streckennetzes in diesem Jahr steht vorläufig nicht zur Diskussion, wenn man einmal von Finnland absieht, wo der Chair-Chef für den kommenden Winter ein gewisses Potenzial sieht. Anders könnte es mit der Einflottung einer fünften Maschine im nächsten Jahr aussehen: „Im Sommer 2025 könnten Albanien, Tirana oder der neue Flughafen Vlora durchaus ein Thema werden“, glaubt Ibrahimi. Nicht ausschließen will er außerdem die Stationierung einer zweiten Maschine in Basel.

Die Farbwahl des Außenauftritts ist durchdacht: Rot steht für das Herkunftsland Schweiz, das Blau für Warmwasserziele. Bild: Thomas Strässle

Chair Airlines: Feriengefühle bei der Arbeit

Im Gegensatz zu anderen Airlines fehlt es Chair in der Kabine nicht an Fachkräften. Die laut Ibrahimi geringe Fluktuationsrate hat möglicherweise auch mit den Einsatzzeiten zu tun: „Unsere Cabin Crew Members arbeiten nach dem Muster 5-4-5-3, was bedeutet, dass sie während fünf Tagen im Dienst sind, dann vier freie Tage haben, gefolgt von wieder fünf Arbeits- und drei freien Tagen. Diese Arbeitspläne sind jeweils Anfang des Jahres bekannt und werden darum sehr geschätzt.“

Den Mitarbeitenden steht zudem in Palma eine Villa mit fünf Zimmern samt Pool zu Verfügung, wo sie entweder Ferien machen oder im Homeoffice arbeiten können. Bei ferienbedingten Aufenthalten wird für Reinigung und weitere Kosten eine Pauschale von 100 Franken erhoben. Wer in einem Pensum von mehr als 50 Prozent bei Chair angestellt ist und im sonnigen Süden arbeiten möchte, zahlt nichts. Dadurch soll, so die Hoffnung der Unternehmensleitung, der in herkömmlichen Büros gelegentlich herrschende Tunnelblick abgelegt werden und mehr Kreativität entstehen.

Anflug auf Zürich.  Bild: Thomas Strässle

Was die finanzielle Situation von Chair angeht, räumt Ibrahimi ein, dass die Pleite von Germania und die Covid-Pandemie sein Unternehmen vor große Herausforderungen gestellt haben, aber: „Wir haben den Turnaround geschafft und sind sehr gut unterwegs.“ Will heißen, dass 2023 rund 110 Millionen Franken umgesetzt wurden und daraus ein Gewinn in „einstelliger Millionenhöhe“ resultierte. Für das laufende Jahr erwartet er eine weitere Zunahme des Gewinns, während nach der 2023 erzielten Zahl von 700.000 Passagieren in diesem Jahr die Schwelle von einer Million Fluggästen erreicht werden könnte. Dass diese während des Fluges auf einem richtigen Sitz Platz nehmen können, ist angesichts des Namens der Airline, die sie befördert, anzunehmen.

Text: Thomas Strässle