Aircrafttag – Unikate für wahre Flugzeugfans
In Wien wird alter Flugzeughaut ein neues Leben eingehaucht: Es entstehen Schlüssel- und Kofferanhänger, Glasuntersetzer und Magnete. Ein Ortstermin bei Aircrafttag.
Verschiedenste Firmen haben sich in einer Werkshalle im 23. Wiener Gemeindebezirk zusammengeschlossen, um hier ihre Produkte herzustellen. Zu finden ist dort auch die Werkstatt von Aircrafttag, ein Unternehmen, das sich Ende 2021 gründete. Wer dort seinen Fuß in die Tür setzt, entdeckt in den hohen Regalen sofort Wundersames aus der Welt der Luftfahrt.
Hier liegt ein großes, aus einem Airbus A320 der Lufthansa herausgeschnittenes Kranich-Logo, dort ein Rumpfteil mit der Kennung VH-VBD, das einst einer Boeing 777-300ER von Virgin Australia gehörte. Ein paar Schritte weiter findet sich ein kleines Stück Außenhaut mit einer Sonderlackierung für Kuba-Flüge von Eurowings.
Anhänger und Glasuntersetzer von Aircrafttags
Aus all diesen Flugzeugteilen werden „Tags“ oder „Coaster“ gemacht – die englischen Wörter für Anhänger und Glasuntersetzer. Auch Magnete mit Flugzeug-Außenhaut gibt es. Es ist ein perfektes Beispiel für Upcycling, also die Veredelung von Dingen, die eigentlich entsorgt werden sollen: Aircrafttag produziert aus Teilen ausgemusterter Flugzeuge wertvolle und vor allem individuelle Sammlergegenstände. Doch wer steckt hinter diesem Unternehmen?
Die beiden Airbus-A320-Flugkapitäne Ralph Wansch und Patrik Stranz hatten die Idee während einer gemeinsamen Laufrunde in der Corona-Krise. Sie fliegen beide für Austrian Airlines. Damals diskutierten sie über die Verschrottung einer Boeing 767 von Austria Airlines, einem Flugzeug, zu dem sie eine ganz besondere Beziehung hatten. Die beiden wollten die Verschrottung nicht einfach so hinnehmen, und eine Idee war geboren. Die Männer investierten erstes Geld: rund 100 000 Euro Startkapital.
Risiko während Pandemie: Aircrafttags
Besonders teuer war die Anschaffung einer Laser-Verarbeitungsmaschine für die Alubleche der Flugzeughaut. Der 43 Jahre alte Patrik erinnert sich an die Gründungszeit: „Das war schon ein Risiko während der Pandemie. Keiner wusste, wie es mit der Luftfahrtbranche weitergeht.“ Ralph erklärt: „Wir haben Testmaterial gesucht und sind in Spanien fündig geworden. Die Firma Servitec hatte gerade eine A330 zerlegt, ein ehemaliges Austrian-Airlines-Flugzeug, das zuletzt bei TAP Air Portugal im Einsatz war.“
Auch wurden von einer Boeing 747 der spanischen Wamos Air die ersten Quadratmeter Außenhaut eingekauft. Nachdem die beiden Unternehmer mit der Airline Kontakt aufgenommen hatten und die Erlaubnis für die Logo-Nutzung auf den Tags vorlag, kam der erste Flieger in die Bearbeitung. Verwendet werden nur Teile vom Rumpf, denn das Leitwerk eines Verkehrsflugzeugs besteht meist nicht aus Metall, sondern aus Verbundstoffen. Mittlerweile hat Aircrafttag 35 bis 40 Flugzeuge verarbeitet, von ATR 72 über eine Super Guppy von Aero Spacelines bis hin zu Boeing 737, A320 und vielen anderen Maschinen.
Abfallverwertung: Ausgemusterte Flugzeuge
An Teile von Flugzeugen zu kommen, die verschrottet werden sollen, ist nicht immer einfach und war gerade zu Beginn eine echte Herausforderung. Mittlerweile bestehen gute Kontakte zu den Flugzeugverwertern, die sich zunächst darüber wunderten, dass jemand Abfall nutzen möchte. Ein wichtiger Schritt bei der Entstehung der Airtags ist der Kontakt mit der jeweiligen Airline. „Wir rufen bei den Fluggesellschaften an und fragen, ob sie Interesse daran haben, dass wir ihr Logo auf dem Tag verwenden. Bei mancher Fluglinie warten wir sechs Monate auf eine Entscheidung und dann funktioniert es letztlich doch nicht“, erzählt Patrik.
In solch einem Fall wird einfach nur die Registrierung des ehemaligen Flugzeuges verwendet, wie etwa bei einer Boeing 757 von der TACV von den Kapverdischen Inseln. Bei der ehemaligen deutschen Ferienfluggesellschaft Germania wurde ein Vertrag über die Nutzung der Marke geschlossen. Und das Vielfliegerprogramm Miles & More hat sich entschieden, Aircrafttags zu verwenden, um die besten Kunden der Lufthansa-Group-Fluggesellschaften zu ehren. Die Flugzeuganhänger für Lufthansa sind aus einem Airbus A320 mit dem Kennzeichen D-AIPL geschnitten. Austrian-Airlines-Tags stammen aus dem Rumpf einer Boeing 767 mit der Kennung OE-LAW, und für Brussels Airlines finden Flugzeuganhänger aus einem ehemaligen Airbus A330 mit der Registrierung OO-SFZ Verwendung.
Logistische Herausforderung für Aircrafttags
Neben den notwendigen Telefonaten ist das ganze Unterfangen aber auch eine logistische Herausforderung. Das größte je beschaffte Material war das einer Virgin Australia Boeing 777-300 mit der Registrierung VH-VBD: rund 40 Quadratmeter Alu, inklusive Airline-Namen und der auf dem Rumpf aufgemalten „Flying Lady“. Nach Corona wurde die 777 ausgemustert; nun sollte ein zweites Leben für die Flugzeughaut entstehen. In Australien hatte es derartige Tags bisher nicht gegeben und somit entstand ein reger Austausch zwischen Virgin-Australia-Piloten und den Aircrafttag-Mitarbeitern. Die Österreicher produzierten letztlich 2000 Virgin-Australia-Tags – auf Wunsch auch mit dem persönlichen Namen des Käufers auf der Rückseite.
Der Einkaufspreis pro Quadratmeter Flugzeughaut liegt zwischen 250 und 2000 Euro. Maßgeblich dabei ist auch, wie begehrt das Objekt ist. Der relativ kleine Bereich mit Sonderbemalung am Rumpf der „Kuba“-Eurowings wurde beispielsweise zusammen mit der wohltätigen Organisation Help Alliance ersteigert. Dieses Produkt mit exklusiven Tag-Objekten gibt es jetzt im Lufthansa World Shop zu kaufen. Aus einem Quadratmeter Flugzeughaut entstehen 70 bis 130 Tags. Verstrebungen werden zu Aufstellobjekten für die Tags verarbeitet. Um möglichst wenig Abfall zu produzieren, werden Hautstücke auch zu Magneten verarbeitet.
„Für alle Produkte von Aircrafttag muss die Haut des Flugzeugs gereinigt werden. Das geschieht mit Trockeneis“, erklärt Denise Bohrmann, die Schwester von Patrik. Sie war einst Lehrerin, wechselte 2017 in den Job der Flugbegleiterin und ist nun auch als Laser-Expertin bei Aircrafttag tätig. Mit zum Team gehört ebenfalls Gerhard Valli, ein ehemaliger Pilot, der sich jetzt um die Versandlogistik kümmert.
Auf der Suche nach Besonderem
Das Herzstück der Firma ist eine Stanzmaschine. Die ausgestanzten Teile werden mit einer Wasser-Schneidemaschine präzise so zugeschnitten, wie sie benötigt werden: als Untersetzer, Tag oder Magnet. Letztere sind ein Auslaufmodell. „Als nächstes wird der Tag geschliffen, nochmals gereinigt, mit dem Laser beschriftet und nochmals gereinigt“, erklärt Luftfahrtenthusiastin Denise. Alles wird vor Ort in Wien produziert. Die Verpackungskartons kommen aus einer nahen Druckerei, CO₂-neutral mit Zertifikaten gegengerechnet. Das Thema Umweltbewusstsein ist bei Aircrafttag ein fester Bestandteil.
Nicht immer befinden sich alle Flugzeugteile in der Wiener Werkstatt. Manche sind auch in einem Lager in Holland untergebracht, zum Beispiel Teile einer A318 und A319 der Air France. Aber auch von asiatischen Fluglinien liegen Hautsegmente auf Lager. Der gegenwärtige Gewinn der Firma Aircrafttag wird zum Reinvestieren genutzt. „Wenn wir Material finden, das besonders ausgefallen ist, kaufen wir es sofort“, sagt Gründer Ralph, der sich auch um die Website und den Online-Verkauf kümmert.
Aircrafttags – Große Sammlergemeinde
Das Geschäft hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr einen Namen gemacht. Mittlerweile melden sich auch schon die Lieferanten bei Ralph und Patrik, wenn es um echte Schmuckstücke einer Flugzeughaut geht. Denn die sind natürlich besonders von Interesse, Abwechslung muss sein. Die vielen großen Flächen in weißer Farbe interessieren dagegen weniger. Und so schweift der Blick auch immer wieder mal in Richtung Business Aviation.
„Wir bauen konstant viel Material auf, um für eine wachsende Kundschaft gerüstet zu sein“, sagt Flugkapitän Ralph. Auch soll die immer größer werdende Sammlergemeinde regelmäßig mit Neuigkeiten bedient werden. Und das weltweit: So gibt es Reseller-Geschäfte in Hongkong, Osaka, Tokio und Zürich. Aber auch die Zahl der Firmenkunden nimmt zu. Unter ihnen ist auch der Luftfahrtverband IATA, der bei Messen IATA-Tags verteilt, die auf der Rückseite einen QR-Code haben.
Dass die vier Airline-Mitarbeiter ihren Zweitjob mit großer Begeisterung machen, steht außer Frage. Zwei große Flugzeughaut-Stücke werden wohl nicht komplett zu Tags verkleinert, sondern als Erinnerung bleiben: das Kuba-Gemälde der Eurowings-A330 und die Flying Lady der Virgin Australia.
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