Nazibau, Symbol der Luftbrücke, Naherholungsort, Sanierungsfall: Der stillgelegte Flughafen Tempelhof hat eine lange Geschichte und viele Gesichter. Auch nach 100 Jahren steht er mitten in Berlin – und im Zentrum kultur- und gesellschaftspolitischer Debatten.

Von seinem Büro aus muss Fabian Schmitz-Grethlein nur durch eine Glastür gehen, schon steht er mitten auf dem Vorfeld des ehemaligen Berliner Flughafens Tempelhof. Vor ihm erstreckt sich das riesige freie Flugfeld, das die trubelige Hauptstadt weit an die Ränder drückt. Hinter ihm ragen die imposanten Hangars und der überdachte Teil des Vorfelds empor. Je nachdem, in welche Richtung der noch frische Tempelhof-Geschäftsführer blickt, sieht er die vielen unterschiedlichen Gesichter und Geschichten des mittlerweile stillgelegten Flughafens, der in dieser Woche sein 100-jähriges Bestehen feiert.

Flughafen Tempelhof feiert 100-jähriges Bestehen

Da wäre zunächst die kilometerlange Start- und Landebahn, umgeben von weitläufigen Wiesen. «Etwas mehr Schattenplätze wären schön», sagt Schmitz-Grethlein. Doch auf dem historischen Areal sind Veränderungen nicht leicht umzusetzen. Jogger, Spaziergänger, Radfahrer sind wie immer unterwegs an diesem milden Herbst-Vormittag. Viel los ist trotzdem nicht. An Sommerwochenenden zieht es täglich Tausende Menschen zum Grillen, Spielen oder Sportmachen hierher. «Das Feld haben die Berliner für sich in Besitz genommen», sagt der Tempelhof-Chef.

Fabian Schmitz-Grethlein, Geschäftsführer von Tempelhof Projekt GmbH, steht auf dem Vorfeld des ehemaligen Flughafens Tempelhof.
Fabian Schmitz-Grethlein, Geschäftsführer von Tempelhof Projekt GmbH, steht auf dem Vorfeld des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Bild: Monika Skolimowska/dpa

Am 8. Oktober 1923 starteten hier die ersten beiden Flugzeuge, das eine ins ostpreußische Königsberg, das andere nach München. Fast auf den Tag genau 85 Jahre später, am 30. Oktober 2008, endete der Flugbetrieb. Seitdem gehört das Feld den Bürgerinnen und Bürgern. Ebenso lange wird diskutiert, ob das Gelände von der Größe des New Yorker Central Parks ausschließlich für die Freizeitnutzung erhalten bleiben soll. Oder ob angesichts der dringenden Wohnungsnot in Berlin nicht eine Randbebauung geboten wäre.

Gesellschaftliche Debatten prägen den Flughafen Tempelhof bis heute

Eine solche lehnten die Bürger 2014 per gesetzlich bindendem Volksentscheid ab. Inzwischen überlegt die Regierung von Berlin – der Senat – dennoch, den Plan wieder aufzunehmen. «Das ist eine Diskussion, die in der Stadtgesellschaft geführt werden muss, die auch geführt werden soll», sagt Schmitz-Grethlein. «Wir als Tempelhofer Projekt GmbH sehen unsere Rolle darin, diesen Diskussionsprozess hier ins Haus zu holen. Wo könnte er besser stattfinden als in unseren Räumen?»

Schon steckt man mittendrin in gesellschaftspolitischen Debatten, die den Flughafen bis heute prägen. Für eine weitere Debatte muss Schmitz-Grethlein den Blick etwas weiter nach links schweifen lassen. Am Rande des Vorfelds, aus der Ferne unscheinbar, stehen Hunderte Container, in denen derzeit rund 1800 geflüchtete Menschen leben. Für viele Neuankommende sucht die Stadt derzeit weiter händeringend Wohnraum.

«Wir sind im Gespräch mit dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten, hier noch einen weiteren Hangar zur Verfügung zu stellen», sagt der Geschäftsführer. «Das tun wir auch gerne. Aber irgendwann kommen wir auch an den Punkt, wo die Unterbringung in Konflikt gerät mit der übrigen Nutzung des Flughafens, und da muss der Senat dann eine Entscheidung treffen.»

Der Brandschutz ist nicht auf dem neuesten Stand

Der Flughafen hat zwar viel Platz, aber ein Problem. Wenn sich Schmitz-Grethlein auf dem Vorfeld weiter umdreht und auf das 1,2 Kilometer breite Dach hinter ihm schaut, erspäht er darauf mehrere Bauarbeiter. Das von den Nazis als «Weltflughafen» konzipierte, aber in dieser Funktion nie genutzte Gebäude ist ein Sanierungsfall.

Die am 6. Januar 1926 in Berlin gegründete Deutsche Luft Hansa AG eröffnete am 6. April 1926 ihren Linienflugverkehr vom Flughafen Berlin-Tempelhof mit einem Fokker-Grulich Hochdecker über Halle-Erfurt-Stuttgart nach Zürich.
Die am 6. Januar 1926 in Berlin gegründete Deutsche Luft Hansa AG eröffnete am 6. April 1926 ihren Linienflugverkehr vom Flughafen Berlin-Tempelhof mit einem Fokker-Grulich Hochdecker über Halle-Erfurt-Stuttgart nach Zürich. Bild: Bildarchiv Lufthansa/dpa

Überall stecken verbaute Schadstoffe – «die ganze Palette», wie Schmitz-Grethlein betont. Der Brandschutz ist nicht auf dem Stand der Dinge. Für viele Bestandsbauteile hat es nie eine Baugenehmigung gegeben. Änderungen gestalten sich auch aufgrund des Denkmalschutzes schwierig. «Und das führt eben dazu, dass wir hier leider noch viele Räume einfach gar nicht nutzen können.»

Tempelhofer Flughafen dient als Kultur- und Eventstandort

Genutzt wird der Flughafen gleichwohl: Konzerte, Kunst-Ausstellungen, Opernaufführungen, Kinofilme vor der beeindruckenden Hangar-Kulisse – Tempelhof als Kultur- und Eventstandort ist ein wichtiger Bestandteil der Zukunftsvision, die die Gesellschaft hier umsetzen will. «Das sind ja Dimensionen, die haben wir sonst bei der Völklinger Hütte oder bei der Zeche Zollverein», sagt der Chef mit Blick auf die beiden Industriedenkmale im Saarland und in der Ruhrgebietsstadt Essen. «Und hier haben wir es mitten in der Stadt. Was für ein grandioses Potenzial.» Die Herausforderung dabei: das Spannungsfeld aus gesellschaftspolitischer Bedeutung, moderner Kultur-Nutzung und der langen Geschichte des Baus zu erhalten.

Eine Fahrradfahrerin fährt über das Rollfeld auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof.
Eine Fahrradfahrerin fährt über das Rollfeld auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Bild: Monika Skolimowska/dpa

Damit ist die Runde des Geschäftsführers auf dem Vorfeld nahezu abgeschlossen. Der letzte Blick gebührt dem Rosinenbomber unter dem Vorfelddach, um den sich gerade eine Besuchergruppe schart. Wie kein anderer Ort steht Tempelhof als Symbol für die Berliner Luftbrücke, über die die USA nach dem Zweiten Weltkrieg die von den Sowjets eingeschlossenen Westberlinerinnen und -berliner mehr als ein Jahr lang mit Lebensmitteln, Kohle und Ausrüstung versorgte. Zwischen Juni 1948 und September 1949 transportierten die Amerikaner über die Berliner Flughäfen mehr als 2,3 Millionen Tonnen Fracht in den Westteil der Metropole.

Auf dem Gelände stand einst das einzige Berliner Konzentrationslager

Es ist vielleicht der berühmteste, gleichwohl nur ein kleiner Teil der langen Geschichte des Flughafens. Errichtet wurde das Gebäude in den 30er Jahren nach einem Entwurf des Nazi-Architekten Ernst Sagebiel. Während des Kriegs stand auf dem Gelände das einzige Berliner Konzentrationslager. «Was ich besonders spannend finde, ist diese Überlagerung von unterschiedlichen Zeitschichten», sagt Schmitz-Grethlein. «Von den Anfängen der Luftfahrt hier auf dem Feld über die ersten Linienflüge, dann eben die Nazi-Zeit und schließlich die Besatzung durch die Westmächte.» Alle historischen Schichten bilden sich bis heute in dem Gebäude und auf dem Gelände ab.

Dieser Tage können die Bürgerinnen und Bürger erneut einen Eindruck davon gewinnen. Zum 100. Geburtstag öffnet der Flughafen seine Pforten für «100 Stunden nonstop Jubiläumsprogramm» (6. bis 10. Oktober). (dpa/Matthias Arnold)