München, 17.07.2018 Dr. Michael Kerkloh, Präsident des Flughafenverbands ACI Europe und Chef des zweitgrößten deutschen Flughafens München, verlangt im Interview mit Aerointernational.de mehr Wachstumsoptionen für Europas Flughäfen. Die sind bitter nötig, denn ohne Erweiterungen drohen spätestens ab 2035 spürbare Engpässe auf dem Kontinent. Das Interview führte Astrid Röben.   Sie sind President des ACI Europe […]

München, 17.07.2018

Dr. Michael Kerkloh, Präsident des Flughafenverbands ACI Europe und Chef des zweitgrößten deutschen Flughafens München, verlangt im Interview mit Aerointernational.de mehr Wachstumsoptionen für Europas Flughäfen. Die sind bitter nötig, denn ohne Erweiterungen drohen spätestens ab 2035 spürbare Engpässe auf dem Kontinent. Das Interview führte Astrid Röben.

 

Sie sind President des ACI Europe – ein leichter Job, könnte man meinen. Die Passagierzahlen an den europäischen Flughäfen steigen momentan so stark an wie seit zehn Jahren nicht mehr, allein im ersten Halbjahr 2017 um durchschnittlich neun Prozent. Worauf führen Sie dieses Wachstum zurück?

Dr. Michael Kerkloh: Es ist richtig, dass wir momentan ein signifikantes Verkehrswachstum beobachten – das ist gut für unsere Branche, gut für die anliegenden Regionen und die europäische Wirtschaft im Allgemeinen. Für den europäischen Flughafenverband gibt es aber noch genug andere Themen, die uns beschäftigen. Die Gründe für die aktuelle Wachstumsdynamik liegen in den niedrigen Ölpreisen, der steigenden Mobilitätsnachfrage und der Entstehung zahlreicher neuer Flugverbindungen von und zu europäischen Flughäfen.

Warum wachsen die Airports im EU-Raum etwas langsamer als im Rest Europas?

Man muss die Entwicklung in den jeweiligen Märkten betrachten. Insbesondere Russland und die Türkei – die zwei größten Non-EU-Märkte – litten in den vergangenen Jahren unter enormen Verkehrsrückgängen, so lässt sich das starke Wachstum nach dem schwachen Vorjahr erklären.

Auch die großen Drehkreuze – bis auf Amsterdam – schauen bei den Steigerungsraten fast neidvoll auf Sekundär-Hubs beziehungsweise eher mittelgroße Airports. Warum hinken London, Frankfurt und Co. derzeit ein wenig hinterher?

Hierfür gibt es einige Gründe – wichtig ist jedoch, Gleiches mit Gleichem zu messen. Ein Flughafen mit einem Jahresvolumen von 24 Millionen Passagieren wächst bei einer fünfprozentigen Steigerung um 1,2 Millionen Passagiere. Das gleiche Plus an Fluggästen bedeutet bei einem Flughafen mit 48 Millionen Passagieren aber nur einen Zuwachs von 2,5 Prozent. Das Wachstum an sogenannten „Secondary Hubs“, also kleineren Drehkreuzen, und mittelgroßen Flughäfen ist auch auf den Einsatz neuer Langstrecken-Fluggeräte wie A350 oder Boeing 787 zurückzuführen, die den Fluggesellschaften mehr Flexibilität bieten. Es bedarf nicht unbedingt eines großen Drehkreuzes, um diese Flugzeugtypen zu füllen. So wird ein Großteil des Wachstums durch neue Low-Cost-Langstreckenverbindungen zwischen Regionalflughäfen von der Norwegian und anderen Airlines generiert. Es existiert ein reger Wettbewerb unter den Flughäfen um diese Strecken.

Und warum sind Verluste bei den Passagierzahlen vorrangig bei Flughäfen mit weniger als fünf Millionen Passagieren pro Jahr festzustellen?

Die Mehrheit dieser regionalen Flughäfen bietet innereuropäische Verbindungen, und das Wachstum kommt fast ausschließlich aus dem Low-Cost-Segment. Die Low-Cost-Airlines jedoch orientieren sich seit drei bis vier Jahren mehr und mehr in Richtung der Großflughäfen. Mit diesem Strategiewechsel liegt der Fokus inzwischen mehr auf Flügen von Drehkreuzflughäfen. Das führt zu Rückgängen bei den Regionalflughäfen. Man sollte dabei nicht vergessen, dass Low-Cost-Strecken generell volatil und kurzlebig sein können. Ist die Auslastung der Flüge zwischen zwei Regionalflughäfen nicht zufriedenstellend, lässt eine Einstellung der Strecke nicht lange auf sich warten und die Low-Cost-Airline wandert an einen anderen Standort ab.

Seit 2012 sind die Fluggastzahlen auf dem sogenannten Alten Kontinent um fast 30 Prozent gestiegen. Konnten die Flughäfen mit dieser Entwicklung Schritt halten?

Zwischen 2005 und 2015 haben Europas Top-21-Flughäfen ihre Kapazität um jährlich 177 Millionen Passagiere erweitert – das ist vergleichbar mit einer Erweiterung in der Größenordnung der Flughäfen London-Heathrow, Paris-CDG und Paris-Orly zusammen. Im Jahr 2015 registrierten diese Flughäfen einen Zuwachs von insgesamt 168,5 Millionen Passagieren im Vergleich zum Jahr 2005. Das zeigt, dass die europäischen Flughäfen gut Schritt gehalten haben. Aufgrund des momentan sehr starken Wachstums sehen wir jedoch großen Herausforderungen entgegen.

In welchen Regionen sehen Sie eine Unterversorgung an Flughäfen?

Überall da, wo die Kapazitäten nicht mehr der Nachfrage entsprechen. Laut einer unabhängigen Studie der Eurocontrol wird sich die Situation europaweit stark verschlechtern, wenn das Thema nicht bald angegangen wird. Sollten die Kapazitäten in der europäischen Flughafenlandschaft in den nächsten Jahren nicht wachsen, wird es bis 2035 zu einem Engpass kommen mit der Folge, dass zwölf Prozent des Verkehrsbedarfs nicht bedient werden können. Gerade deshalb ist ja so wichtig, dass bedeutende strategische Ausbauvorhaben an bestehenden Flughäfen wie die dritte Startbahn für London-Heathrow oder den Flughafen München zeitnah realisiert werden.

Wo stehen Europas Airports im internationalen Vergleich?

Ich denke, die europäischen Flughäfen stehen sehr gut da im Vergleich zu ihren Counterparts weltweit. Mit steigender Tendenz zu Umwandlungen in Kapitalgesellschaften beziehungsweise der wachsenden Privatisierung der Flughäfen hat sich die Wirtschaftlichkeit und Kreativität maßgeblich verbessert. Gute Mitarbeiter aus anderen Branchen bereichern durch Fachwissen und neue Ideen das sich stetig im Wandel befindende Flughafengeschäft. Einige der europäischen Airport-Konzerne sind beratend für Flughafenprojekte tätig – und zwar weit über Europa hinaus. Zudem gibt es europäische Hubs, zum Beispiel den Frankfurter über dessen Betreiber Fraport AG, die sogar weltweit in Flughäfen investieren. Wirtschaftlich betrachtet sind Europas Flughäfen sehr erfolgreich. Wir können uns dennoch nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen. Es gibt einige spektakuläre Flughäfen im Mittleren Osten und Asien – der Wettbewerb um den besten Passagierkomfort ist definitiv eine Herausforderung, der wir uns alle kontinuierlich stellen müssen.

Welche Herausforderungen sehen Sie außerdem in den kommenden Jahren auf die europäischen Flughäfen zukommen?

Die sich abzeichnenden Kapazitätsengpässe, die Bedrohung und Chancen der Digitalisierung, die Herkulesaufgabe, bei allen Sicherheitsfragen immer einen Schritt voraus zu sein und die Erwartungen der Airlinekunden zu erfüllen. Das sind nur einige Beispiele, viele weitere Herausforderungen werden hinzukommen. Gleichwohl ist und bleibt es ein Privileg, in dieser Branche zu arbeiten. Die Luftfahrt bietet ein wunderbares Arbeitsumfeld, und der Flughafen ist quasi eine ultimative Lebensbühne.