Das Unglück von Madeira: Wie Funchals Flughafen zur Legende wurde
Am schwierigen Flughafen Funchal auf Madeira will die Crew beim dritten Versuch endlich die Landung erzwingen. Doch sie setzt viel zu spät auf – der Flug endet in der Katastrophe.
Der Flughafen mit dem IATA-Kürzel FNC ist wahrlich ein Besonderer. Es handelt sich um den Flughafen Funchal auf der portugiesischen Atlantikinsel Madeira. Die ist sehr bergig, und so war bereits bei der Einweihung des Airports 1964 klar, dass es Piloten dort nicht leicht haben werden. An der südwestlichen Steilküste Madeiras gelegen, wurde die anfangs 1600 Meter lange Piste den Felsen regelrecht abgetrotzt. Formell hieß der Flugplatz Santa Catarina Airport – erst 2017 wurde er nach der Fußballlegende Cristiano Ronaldo benannt, der von der Insel Madeira stammt.
In seiner anfänglichen Konfiguration vereinte der Airport wie kaum ein anderer mehrere Risiken des Jet-Zeitalters der Luftfahrt. Aufgrund der Topografie der umliegenden Steilküste konnte nur von einer Seite her in gerader Linie angeflogen werden. Neben den tückischen Windverhältnissen war es vor allem die kurze Piste, die Funchal Airport den Titel „riskantester Flughafen Europas“ einbrachte und von der Pilotengewerkschaft IFALPA einen seltenen Schwarzen Stern in deren Sicherheitseinstufung bescherte.
Geografische Einordnung des Flughafens auf Madeira
Zu beiden Seiten fiel das Gelände unmittelbar hinter den Bahnenden steil ab. Auslaufflächen existierten nicht. Aufgrund dessen war Funchal ein „Captain-Landing-Airport“, bei dem stets nur der erfahrenere, links sitzende Flugzeugführer anfliegen durfte, der zudem ein spezielles Anflugtraining für Funchal absolvieren musste.
Aufgrund des milden Klimas erfreute sich Madeira wachsender Beliebtheit. 1973 eröffnete ein neues Terminal, das für 500 000 Passagiere pro Jahr ausgelegt war. Doch für Langstreckenmaschinen wie die Boeing 707 war FNC zu klein. Diese Jets mussten zur längeren Piste auf dem Flughafen der Nachbarinsel Porto Santo ausweichen. Urlauber erreichten Madeira von dort erst nach mehreren Stunden Schiffsfahrt.
Abhilfe sollte ein massiver Ausbau des Flughafens Funchal bringen, dessen Pläne seit Anfang der siebziger Jahre in den Schubladen lagen, doch Geldmangel und örtlicher Widerstand warf das Projekt mehrfach um Jahre zurück.
Für die wichtigste Linienverbindung nach FNC sorgte Portugals Staatscarrier TAP, dessen Jet aus der Hauptstadt Lissabon mindestens einmal pro Tag eintraf. Diese Verbindung zum Festland war weniger für Urlauber gedacht, sondern war eine notwendige Anbindung der Einheimischen. Besonders im Winter machte das ungemütliche Wetter aber so manchen dieser Linienflüge zunichte.
Wetterlage am Airport von Madeira am 19. November 1977
So stand auch Flug TP 425 am Samstag, dem 19. November 1977 auf der Kippe. Die Vorher- sage für Madeira war alles andere als optimal, aber typisch für die Herbstzeit. Neben stärkeren Westwinden entwickelten sich zahlreiche Cumulonimbus-Schauerwolken rund um den Airport. Böen, Starkregen und reduzierte Sichtweite waren vorhergesagt.
Kapitän João Costa Lontrão und sein Copilot Miguel Guimarães Leal sollten die Boeing 727-200 mit der Kennung CS-TBR von Lissabon nach Funchal bringen. Die längere 200-Version der dreistrahligen 727 war mit ihren 68 Tonnen maximalem Landegewicht das größte und schwerste Fluggerät, dass für Funchal zugelassen war. CS-TBR war 1975 neu von Boeing als erste von fünf bestellten 727- 200 an TAP ausgeliefert worden.
Lontrão und Leal wählten Las Palmas auf der Kanareninsel Gran Canaria als Ausweichflughafen, falls sie witterungsbedingt nicht in Funchal landen könnten. Um 19.55 Uhr hob Flug TP 425 in die Dunkelheit ab. Im Cockpit befand sich auch ein Flugingenieur; in der Kabine fünf Flugbegleiterinnen sowie 156 Passagiere. Eine knappe Stunde später wurde der Sinkflug eingeleitet. Um 21.05 Uhr meldete TP 425 den Überflug des Funkfeuers der Nachbarinsel Porto Santo.
Regenschauer verdeckten den Blick auf die Landebahn
Windböen ließen die Tragflächen wackeln, als die Boeing 727 durch Regenschauer ihrem Ziel näherkam.
Funchal ließ sich damals je nach Windsituation von Nordosten über die Piste 24 (heute 23) unter Zuhilfenahme eines ungerichteten Funkfeuers namens MAD anfliegen, dass auf einer Landzunge vier Meilen entfernt montiert ist. Alternative war der schwierigere Sichtanflug auf die Piste 06 (heute 05), der wegen des Geländes nicht in gerader Verlängerung der Piste, sondern im weiten Bogen einer Rechtskurve entlang kartierter Fixpunkte übers Meer zur Landebahn führt. Ein Instrumentenlandesystem (ILS), gab es nicht.
Der Lotse sagte den Wind als still an der Piste 06 und mit 26 km/h aus der Kompassrichtung 220 Grad am nahen Messpunkt Rosário an. Er wies dem Flug die Piste 06 zu. Um 20.23 Uhr überflog TP 425 das Funkfeuer MAD – ohne Sichtkontakt zum Boden. Während die 727 durch die Regenwolken auf die Anflughöhe von 980 Fuß (etwa 300 Meter) sank und die Rechtskurve zur Piste begann, meldete sich Funchal Tower und gab die neuesten Winddaten weiter.
Durchstartmanöver über der Landebahn von Madeira
Am Anfang der Piste 06 blies es nun stark mit 44 km/h aus 220 Grad, während die Anzeigen am anderen Ende bei 13 km/h lagen. So ergab sich nun eine erhebliche und ungünstige Rückenwindkomponente. Doch ohnehin konnte der rechts sitzende Copilot Leal die Lichter des Flughafens nicht erkennen. Die Crew entschied sich zum Durchstarten.
Wegen des Winds entschieden sich die Piloten bei ihrem zweiten Versuch für die Bahn 24. Kurz hatten sie die entfernten Lichter der Piste in Sicht, dann schob sich ein Regenschauer vor den Flughafen, sodass auch dieser Landeversuch abgebrochen wurde.
Die letzte Chance den Flug TP 425 sicher in Funchal zu landen
Die Treibstoffberechnungen im Cockpit ergaben, dass sie nur noch einen Landeversuch in Funchal machen konnten und danach unverzüglich zum Ausweichflughafen Las Palmas fliegen mussten. Beide Piloten waren zu diesem Zeitpunkt bereits 14 Stunden im Dienst. Sie hatten zwei Flüge von und nach Brüssel hinter sich und fieberten ihrem Feierabend auf Madeira entgegen. Eine Ausweichlandung ins 800 Kilometer entfernte Las Palmas würde für alle an Bord viele Unannehmlichkeiten bedeuten. Dies mag auch ein Grund dafür gewesen sein, dass Lontrão es auf jeden Fall im dritten Versuch schaffen wollte.
TWR: Okay, diese Front, die durchzieht, war bisher nur vorübergehend. Jetzt bleibt sie ortsfest. Ich denke, wenn man ein wenig warten würde, wäre man eher in der Lage zu landen.
TP 425: Das können wir nicht. Wir haben nur Treibstoff für einen Landeversuch.
Um 21.44 Uhr schwenkte TP 425 ein drittes Mal vom Funkfeuer MAD auf den Landekurs zur Piste 24. Lontrão ließ das Fahrwerk und die Klappen auf ihre Maximalstellung von 30 Grad ausfahren. Der Tower meldete einen sehr starken Schauer über dem Platz, aber im Cockpit waren zumindest die Lichter des Flughafens zu erkennen, wenn auch nicht die Bahn.
TWR: 425, zu Ihrer Information: Ich habe jetzt schwachen Wind auf der 24, werden Sie es versuchen?
TP 425: Okay, ich bin im Endanflug und ich werde landen.
TWR: Okay, Sie sind freigegeben zur Landung.
Der Anfang vom Ende der Katastrophe
Das war der letzte Funkspruch, der von der Boeing zu hören war. Lontrão hielt die Maschine bei 400 Fuß (120 Meter) und leitete, als er die Pistenbefeuerung sah, den Sinkflug zum Aufsetzpunkt fort. Es regnete unablässig. Die Geschwindigkeit betrug etwa 150 Knoten (278 km/h). Doch die Maschine war zu hoch! Sie überquerte die Pistenschwelle in 44 Fuß Höhe und schwebte weiter aus, während wertvolle Landestrecke verloren ging.
Erst nach quälenden Sekunden setzte das rechte, dann das linke Hauptfahrwerk auf dem klitschnassen Bahnbelag auf. 628 Meter der ohnehin nur 1600 Meter langen Piste lagen bereits hinter dem Flugzeug – knapp 40 Prozent! Eigentlich hätte den Piloten klar sein müssen, dass eine Landung auf der verbleibenden Reststrecke von gerade mal 972 Metern nicht mehr zu machen war. Normalerweise sollte in dieser Lage jeder Pilot nur noch eines tun: Durchstarten.
Doch Lontrão senkte das Bugfahrwerk, aktivierte den Umkehrschub und trat mit voller Kraft in die Bremspedale. Die Ground Spoiler, die am Boden den Auftrieb an den Tragflächen stören, waren automatisch aus- gefahren. Zusätzlich fuhr er unmittelbar vor dem Aufsetzen die Landeklappen von 30 auf 25 Grad zurück, um die Räder an den Boden zu zwingen. Dadurch verringerte sich aber nicht nur der Auftrieb, sondern auch der Luftwiderstand.
Die Landebahn in Madeira ist zu kurz für eine sichere Landung
All das reichte nicht. Wegen des Starkregens setzte zudem Aquaplaning ein. Die sechs Reifen der Boeing „schwebten“ sekundenlang ohne Bremswirkung auf einem hauchdünnen Wasserfilm, was zusätzlich Strecke kostete. Die Geschwindigkeit baute sich nur zäh ab, fiel aber schließlich unterhalb der Schwelle, die man für ein Durchstart-Manöver gebraucht hätte. Die Bugradsteuerung war ohne Effekt, nur per Seitenruder konnte Lontrao die Maschine lenken. Als ob nicht alles schon schlimm genug wäre, hatte die Piste 24 auch noch ein Gefälle: Die Landebahn verlief leicht bergab.
Gebannt verfolgten die Towerlotsen die Lichter von Flug 425, die mit viel zu hohem Tempo an seinem Turm vorbeihuschten. „In die Barriere, in die Barriere!“, schrien der Copilot und der Flugingenieur. Sie wollten die Maschine nach rechts neben die Piste und ins ansteigende Terrain steuern, um ein Überrollen des Pistenendes zu vermeiden. Doch der Jet war nicht mehr dazu zu bewegen. Die Rechtsdrift hatte sich in eine Linksdrift gewandelt, die den mit aller Kraft bremsenden Jet durch die Pistenmittellinie hindurch wandern ließ. Dann kamen die roten Lampen des Pistenendes – und es war vorbei.
Als hätte man der Boeing den Boden unter den Rädern weggezogen, fiel der Jet mit noch 78,5 Knoten (145 km/h) ins dunkle Nichts. Hinter dem Bahnende befand sich ein steiler, etwa 25 Meter tiefer Abhang. An dessen Ende verlief die Zufahrtstraße zum Flughafenterminal, gefolgt von einer gemauerten Steinbrücke mit einem Bogen über ein Flussbett.
Die stürzende Boeing krachte mitten auf die Brücke, und wurde in drei große Teile zerschlagen. Der Bug, die linke Tragfläche und der vordere Rumpf fielen etwa sechs Meter tiefer in Richtung Ufer zum Atlantik. Austretendes Kerosin entzündete sich und versetzte den Unglücksort in ein loderndes Flammenmeer. Der Feuerschein war trotz des Regens von weitem zu sehen.
Überlebenschancen auf dem Flug TP425
Der restliche hintere Rumpf mitsamt Leitwerk, den drei Triebwerken und dem Großteil der rechten Tragfläche blieben an der Brückenkante hängen. Auf dieser Seite der Brücke brach zum Glück kein Feuer aus. Der Aufprall hatte einige Passagiere in ihren Sitzen vom Flugzeug weggeschleudert.
Ein Kind landete in einer Bananenplantage etwa 100 Meter entfernt und überlebte. Andere fanden sich im Wasser treibend wieder. Auch sie sollten überleben. Weniger Glück hatten einige Passagiere, die vielleicht hätten überleben können, aber unmittelbar nach dem Aufsetzen bereits ihre Gurte lösten. Ein Passagier sprang sogar in Panik auf, als die Boeing über die Klippe rutschte.
Insgesamt starben an diesem Tag 131 der 164 Menschen an Bord der Boeing 727. Man zählte nur 33 Überlebende.
Die kleine Insel Madeira war für so ein Desaster überfordert. Die Zufahrtstraße zum Airport war schnell mit Fahrzeugen verstopft, die helfen wollten. Einheimische eilten in Scharen herbei, um die Verletzten zu versorgen. Doch es sollte viele Stunden dauern, bis professionelle Rettungskräfte vom Festland eintrafen. So endete TP 425 im schlimmsten Luftfahrtunglück, das Portugal bis dahin erlebt hatte.
Wie stark haben die Piloten zu Bruchlandung auf Funchal beigetragen?
Das Desaster von Funchal war für viele Luftfahrtkenner keine Überraschung. So ein Unglück wie Flug TP 425 hatten viele Piloten bereits Jahre vor dem Crash kommen sehen. Zu riskant war in Funchal die Kombination aus Landebahn, Wetter und den immer größer werdenden Maschinen.
Flug 425 scheiterte aber auch an der psychischen Zwangssituation, in der sich Kapitän Lontrão wähnte. Für die Landung war er offenbar bereit, jedes Risiko auf sich zu nehmen. Spätestens als klar war, dass die Maschine zu spät aufsetzen würde, hätte ein warnender Hinweis vom Copiloten erfolgen müssen. Doch Copilot Leal blieb stumm. 1977 war der gleichberechtigte Copilot, der gegebenenfalls auch einem höherrangigen Kapitän widerspricht, noch Wunschdenken.
Reaktion auf die Katastrophe in Madeira
Ironischerweise gab es zwei Monate vor dem Crash einen Pilotenstreik bei TAP, bei dem die Crews ihr Anliegen nicht nur für mehr Gehalt, sondern auch eine bessere Sicherheitskultur auf die Straße trugen. Die Katastrophe von Madeira sorgte für einen Einbruch der Gästezahlen. Der Flughafen sah sich zum Handeln gezwungen und erweiterte in einer ersten Sofortmaßnahme die Landebahn um etwa 200 Meter auf 1800 Meter. Am Anfang der Piste 05 wurden außerdem notdürftig ein paar Meter Überrollfläche aufgeschüttet.
Doch auf eine nachhaltige Verbesserung dieses Risiko-Airports musste man noch ganze 23 Jahre warten. Erst im Jahr 2000 wurde die spektakuläre Stelzenkonstruktion am Beginn der Piste 24 eingeweiht, auf der weitere 981 Meter Start- und Landepiste ruhen. Seither ist genügend Platz vorhanden, um auch vollbetankte Großraumflugzeuge sicher landen und starten zu lassen. Seitdem ist in Funchal bis heute kein Passagierflugzeug mehr verunfallt. Der spektakuläre Kurvenanflug nach Sicht auf die Piste 05 (heute 06) ist allerdings geblieben – und dient bis heute als beliebtes Fotomotiv zahlreicher Spotter und Luftfahrtfans aus aller Welt.




