Der Fiordland-Nationalpark ist die spektakulärste Wildnis Neuseelands, drei Premium-Wanderwege erschließen sie. Der Kepler Track ist der ruhigste – und der abwechslungsreichste. Beim ersten Kea ist man noch hingerissen. Der Bergpapagei hüpft auf einen Baumstamm am Wegesrand und blickt aus Knopfaugen herüber. Sein Gefieder schillert in Nuancen von Olivgrün. Ungestört vom Klicken der Kameras dreht er […]

Der Fiordland-Nationalpark ist die spektakulärste Wildnis Neuseelands, drei Premium-Wanderwege erschließen sie. Der Kepler Track ist der ruhigste – und der abwechslungsreichste.

Beim ersten Kea ist man noch hingerissen. Der Bergpapagei hüpft auf einen Baumstamm am Wegesrand und blickt aus Knopfaugen herüber. Sein Gefieder schillert in Nuancen von Olivgrün. Ungestört vom Klicken der Kameras dreht er den Kopf und macht ein paar Hopser nach links. Die Wanderer sind entzückt. Noch wissen sie nichts über die Keas – und was sie auf dieser Tour erwartet.

Es ist der erste Tag auf dem Kepler Track, einem 60 Kilometer langen Rundweg durch den Fiordland-Nationalpark. Das gigantische Schutzgebiet umfasst den gesamten Südwesten der Südinsel Neuseelands, es ist weltberühmt für seine schroffe Schönheit – und berüchtigt für Sturm und Regen.

Viele Reisende machen eine Tageskreuzfahrt durch den Milford Sound, ein perfekt vermarktetes «Achtes Weltwunder». Oder sie wandern auf dem Milford Track oder dem Routeburn Track, sofern sie eine Genehmigung für die Hütten ergattern konnten.

Ein beliebter Außenseiter

Verglichen mit den beiden Paradepfaden Neuseelands ist der Kepler Track ein Außenseiter. Der dritte der sogenannten Great Walks wurde 1987 angelegt, um seine beiden schon damals überlaufenen Pendants zu entlasten. Was nur bedingt funktionierte: Heute ist der Kepler Track in der Hochsaison fast genauso ausgebucht – vor allem, wenn der Milford Sound wegen zu heftiger Niederschläge gesperrt ist.

In Te Anau, im Regenschatten der Küstenberge, schüttet und schneit es in der Regel deutlich weniger. Doch die Rangerin im Besucherzentrum macht wenig Hoffnung: Auch der Kammweg des Kepler Tracks, die Königsetappe, sei gesperrt. «Zu viel Schnee. Aber vielleicht ist er morgen offen.» Das genügt als Aussicht.

Schon der Aufstieg zur Luxmore Hut ist eine herrliche Tagestour. Zuerst spaziert man am Ufer des Lake Te Anau entlang, dann steigt der breite Pfad über unzählige Serpentinen zwischen den verschiedenen Steineiben des Regenwalds empor. Mit zunehmender Höhe spinnen bleiche Bartflechten die Äste der Rimus, Miros, Matais und Totaras ein, wie behaarte Spinnenbeine leuchten die oberen Zweige in der Sonne. Moosteppiche polstern den Waldboden, die Felsen, die Stämme.

Großartige Ausblicke und Hagel im Gesicht

Der Märchenwald endet wie abgeschnitten. Die Wanderer treten auf einen gewellten Bergrücken. Gelbliche Grasbüschel zittern im Wind, Hebebüsche tupfen Grün in die Hochheide, Terpentinbüsche Rotbraun.

Über einen Bohlenweg, der den weichen Boden vor Erosion bewahrt, spaziert man dahin, blickt rechts hinab auf den fjordhaften See und links auf die mit Schnee bepuderten Gipfel. Nur der Hagel, der plötzlich ins Gesicht prasselt, drängt zum Laufschritt.

Noch bevor man die rettende Hütte erreicht, hört man die lang gezogenen Schreie der Keas – und sieht sie mit ihren auf der Unterseite roten Flügeln über die Heide flattern. Eigentlich sind die Bergpapageien vom Aussterben bedroht. Auf der Luxmore Hut aber, so lernt man schnell, sind sie Dauergäste. Und alles andere als scheu.

Keas sitzen auf den Picknicktischen, auf der Terrasse, auf dem Geländer des Balkons. Die aufdringlichen Touristen mit ihren Kameras stören sie nicht. Im Gegenteil, bringen sie doch Spannendes zum Knabbern. «Du kannst deine Schuhe schon raus stellen», sagt ein Neuseeländer. «Sie werden halt morgen ein bisschen anders aussehen.» Mit ihren scharfen Schnäbeln rupfen die Keas Sohlen heraus und zerbeißen das Leder. Auch verschwitzte Wäsche verachten sie nicht.

Auf der Suche nach einem verlorenen Vogel

Die Luxmore Hut sitzt auf einem Logenplatz, in 1085 Metern Höhe über dem Fjordsee. Durch die Panoramafenster lässt sich die Pracht der rauen Wildnis in Ruhe beschauen. Dunkelgrüner Urwald überzieht die gefalteten Steilhänge bis hinauf zu einem ockerfarbenen Grasgürtel, darüber sind die Kämme und Gipfel weiß.

In diesen Bergen entdeckte der neuseeländische Arzt Geoffrey Orbell 1948 eine ornithologische Sensation. Orbell hatte als Junge das Bild eines Takahes gesehen, einer gänsegroßen Ralle mit blau-türkis-grün schimmerndem Federkleid und rotem Schnabel. Der Takahe galt seit 50 Jahren als ausgestorben, doch Orbell wollte das nicht glauben. Jahrelang suchte er in den Wäldern und wurde schließlich belohnt: In einem abgelegenen Tal filmte er einen quicklebendigen Takahe.

Auf Europäer wirkt Fiordland wild und urwüchsig, doch längst hat der Mensch auch hier das Ökosystem verändert. Mit den Ratten, Katzen und Wieseln, die er eingeschleppt hat. Und mit seinen Nutztieren.

«Hier oben ließ ein Einsiedler 40 Jahre seine Schafe weiden», erzählt Alison Richards, die Rangerin auf der Luxmore Hut. Und ein wenig unterhalb habe es in den 1960ern sogar einen kleinen Skilift gegeben.

Rustikale Hüttenromantik

Die Wintersport-Episode ist längst passé, von einer Après-Ski-Hütte ist die Luxmore Hut weit entfernt. Statt Käsespätzle und Weißbier gibt es Tütennudeln und Quellwasser. Auf dünnen Matratzen rollt man nebeneinander seinen Schlafsack aus, heizen lässt sich nur der Speisesaal. Und das Holz sei knapp und teuer, schärft Richards den Gästen bei der Abendansprache ein. An WLAN ist natürlich nicht zu denken. Was den schönen Effekt hat, dass die Wanderer aus aller Welt sich unterhalten, Karten spielen, lachen.

Am Morgen allerdings trübt sich die Laune. Alison Richards hat schlechte Nachrichten: Die Traverse sei weiter gesperrt – offiziell. «Aber ich kann euch nicht aufhalten, wenn ihr losgeht», fügt sie mit Verschwörerlächeln hinzu.

Die Wanderer debattieren das Für und Wider. Viele sind unerfahren und mäßig ausgerüstet, die meisten steigen ab. Nur ein Amerikaner, der regelmäßig Skitouren geht, will weiter. Und zwei Studenten, die gerade den Berg herauf kommen. Sie erzählen, dass sie den Kammweg einen Monat zuvor überschritten hätten, bei deutlich mehr Schnee. Die Entscheidung ist gefallen.

Durch tiefen Schnee der Schönheit entgegen

Zwischen gelben Hahnenfüßen und Berg-Gänsefüßchen steigt die Gruppe auf. Bald stapft man durch knöcheltiefen Schnee, der Wind bläst Schneeregen ins Gesicht. Manchmal dünnt der Nebel kurz aus und lässt ahnen, durch was für eine gewaltige Bergkulisse man läuft.

Stunde um Stunde trottet die Gruppe über verschneite Kämme dahin. Bis hinter der zweiten Schutzhütte eine Holztreppe unter die Wolkendecke führt – und sich plötzlich ringsum die erhabene Schönheit Fiordlands auftut. Man blickt in Täler unter steilen Urwaldflanken, gekrönt von Schneegipfeln, ein Wasserfall wird mitten in der Luft vom Wind zerblasen. Und auf dem langen Abstieg wartet der nächste Zauberwald.

«Viele sehen die Schönheit nicht mehr», sagt Robbie Reid, als man endlich an der Iris Burn Hut ankommt. «Ihre Beine schmerzen beim Abstieg zu sehr.» Reid, 59, ist seit zwölf Jahren Hüttenwirt hier. Zuvor war er 30 Jahre Bauer. «Der Job ist ähnlich», sagt er. «Wanderer sind wie Schafe.»

Manche kämen völlig durchnässt an und schimpften über das Wetter und die Sandfliegen. Aber sobald sie trockene Sachen angezogen und eine Tasse Tee getrunken haben, seien sie wieder glücklich.

So ist es auch an diesem Tag. Tee und Nudeln dampfen, vor der Veranda spannt sich ein Regenbogen über die Urwaldberge, die rings um die Lichtung steil aufragen.

«Wir haben ein paar Kiwis um die Hütte», sagt Reid. «Sie kommen nachts raus und schreien sich an. Einer hat mal die Gäste trotz Ohrenstöpseln aufgeweckt.» Die Chancen, den Nationalvogel Neuseelands aufzuspüren, seien aber gering. «Ich habe hier in all den Jahren sieben Kiwis gesehen.»

Ein lohnenswerter Seitensprung

Für eine Nachttour sind die meisten ohnehin zu müde. Früh strecken sich die Wanderer in ihren Schlafsäcken aus, schließlich wartet am nächsten Morgen ein weiterer Sechs-Stunden-Marsch. Vorher, sagt Reis, sollte man unbedingt einen Abstecher zum Wasserfall machen.

Recht hat er. Der Iris Burn Fall glitzert am nächsten Morgen in der Sonne, die Steineiben neigen sich über das klare Wasser. Reid führt durchs Unterholz zum Bach, er will dem Gast seltene Saumschnabelenten zeigen. «Sie haben ihr Revier und schwimmen immer 500 Meter auf und ab», erklärt er. «Aber heute sind sie offenbar nicht da.»

Immerhin trällern Maori-Fruchttauben in den Ästen, und winzige Grünschlüpfer und Gelbköpfchen schwirren umher. Auch ohne sie wäre der Wald bezaubernd schön. Stunde um Stunde wandert man das Tal hinab, eingehüllt von üppigem Grün – bis der Wald plötzlich aufreißt und man auf eine riesigen Lichtung tritt: The Big Slip.

1984 sprengte der Starkregen hier einen ganzen Berghang ab, die Felsen flogen 500 Meter weit. Der Erdrutsch riss 30 Hektar Wald davon, der geflutete Iris Burn nochmal die gleiche Fläche.

Ein Wald wie bei Star Wars

Viele Jahre gingen Wanderer durch eine Mondödnis. Aber mittlerweile wächst auf der Lichtung wieder eine Savanne aus brusthohen Riedgräsern, durchzogen von Bächen und Tümpeln. Junge Bäume sind empor geschossen, die Felsbrocken von Flechten eingesponnen.

Hinter dem Big Slip wird der Wald lichter, zwischen den Stämmen bedeckt nun ein Dickicht aus Farnen den Boden. Endor, denkt der Star-Wars-Fan und erwartet jeden Moment, dass fellige Ewoks aus dem Unterholz springen.

So hübsch das alles anzusehen ist, irgendwann zieht sich der Weg. Und man ist erleichtert, endlich an der Moturau Hut anzukommen, den Rucksack auf den Kiesstrand zu legen, die Füße ins kalte Wasser zu strecken und über den Lake Manapouri mit seinen Inselchen zu blicken. Fehlt nur noch ein lustiger Vogel wie der Kea – am besten einer, der die nervigen Sandfliegen frisst.

Info-Kasten: Kepler Track und Fiordland-Nationalpark

Anreise: Mehrere Airlines bieten von Deutschland aus Flüge mit einem Zwischenstopp nach Christchurch an. Von dort fahren mehrmals täglich Intercity-Busse nach Te Anau. Aus der Stadt wandert man entlang des Sees in einer knappen Stunde zum Startpunkt des Kepler Tracks. Alternativ nimmt man einen Tracknet-Bus, der einen auch am Ende der Wanderung an der Hängebrücke abholt (www.tracknet.net). Oder man setzt mit dem Wassertaxi nach Brod Bay über.

Corona-Lage (7.10.2020): Neuseeland ist von Corona verhältnismäßig weniger betroffen. Von nicht notwendigen, touristischen Reisen wird derzeit aufgrund fortbestehender Einreisebeschränkungen abgeraten, schreibt das Auswärtige Amt. Internationale Einreisen nach Neuseeland blieben für Touristen bis auf weiteres untersagt.

Informationen: www.newzealand.com/de

dpa