Am Hauptstadtflughafen liegt was in der Luft
22.04.2016 «Sechs Jahre verspätet», das ist die aktuelle Ansage für den neuen Hauptstadtflughafen. Doch es wird immer deutlicher, dass da das letzte Wort nicht gesprochen ist. Nur: Wann wird es gesprochen? Berlin (dpa) – Es gibt ein offenes Geheimnis am neuen Hauptstadtflughafen, jenem Millionen verschlingenden Ungetüm in Schönefeld vor den Toren Berlins. Der Regierende Bürgermeister Michael […]
22.04.2016
«Sechs Jahre verspätet», das ist die aktuelle Ansage für den neuen Hauptstadtflughafen. Doch es wird immer deutlicher, dass da das letzte Wort nicht gesprochen ist. Nur: Wann wird es gesprochen?
Berlin (dpa) – Es gibt ein offenes Geheimnis am neuen Hauptstadtflughafen, jenem Millionen verschlingenden Ungetüm in Schönefeld vor den Toren Berlins. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) ahnt diese unangenehme Wahrheit, sein Aufsichtsrat diskutiert darüber seit Monaten, auch die Berliner Wirtschaft weiß um die bittere Aussicht – und fürchtet sie nicht mal mehr: Der Start des neuen Hauptstadtflughafens wird womöglich noch einmal verschoben werden müssen.
Denn eine Eröffnung 2017 wird von Tag zu Tag unwahrscheinlicher. Die Zeitpuffer sind verbraucht, schneller bauen nicht mehr möglich. Das sagt Müller, der auch Aufsichtsratschef ist, nach der Sitzung des Kontrollgremiums am Freitag – um einen Satz anzuschließen, der aufhorchen lässt: «Bei all dem, was wir hinter uns haben mit diesem Projekt, glaube ich wirklich, kommt es nicht darauf an, ob es der Dezember ’17 oder der Januar ’18 ist.»
Noch kämpft Müller zwar um den Start 2017, will am drittgrößten deutschen Flughafen die fünfte Terminabsage seit 2011 verhindern. «Ich streite mich aber zum Schluss nicht um vier Wochen.»
Bei der nächsten Sitzung im Juli, vielleicht auch früher, könnte das Kontrollgremium die Eröffnung verschieben. Weil noch immer nicht alle Umbauten an der überdimensionierten Brandschutzanlage genehmigt sind. Und weil das Eisenbahnbundesamt laut Müller kurzfristig zusätzliche Simulationen dazu will, wie sich bei einem Brand der Rauch am Übergang zum Bahnhof unterm Terminal verteilen würde, wenn Züge fahren.
Längst diskutiert der politische Betrieb in Berlin mehr darüber, wann der beste Zeitpunkt ist, die Eröffnung des einstigen Prestigeprojekts zu verschieben. Das «ob» steht weniger in Frage. «Die Spatzen pfeifen es von den Dächern», heißt es bei der in Berlin mitregierenden CDU.
Das hat viel mit der Wahl zum Abgeordnetenhaus in fünf Monaten zu tun. Berlin urteilt dann auch über die Arbeit des Flughafen-Aufsichtsratschefs im Roten Rathaus – Michael Müller.
«Kein Mensch, der nicht medikamentenabhängig ist, gibt Ihnen feste Garantien für diesen Flughafen», sagte selbst der bisherige Flughafensprecher kürzlich zum Eröffnungstermin 2017. Und dass ihn dieses Interview den Arbeitsplatz kostete, lag weniger an dieser bitteren Wahrheit als daran, dass der Sprecher darin auch seinen Chef schlecht machte.
Dieser Chef heißt Karsten Mühlenfeld, hat vor gut einem Jahr Hartmut Mehdorn abgelöst und muss seither erleben, wie der mehdornsche Zeitplan für 2017 zerbröselt. Eigentlich sollte das Terminal seit vier Wochen baulich fertig sein – jetzt ist offen, ob das überhaupt bis zum Sommer gelingt, wie es der aktualisierte Zeitplan vorsieht. «Es gibt in Deutschland auch den Spätsommer», seufzt Mühlenfeld.
Der Flughafenchef hält das Ziel aufrecht, dass Ende 2017 die ersten Flugzeuge am mittlerweile 5,4 Milliarden Euro teuren Airport abheben. Denn er fürchtet Schlendrian bei den Baufirmen. «Ich glaube, es ist wichtig, den Druck im Kessel zu lassen», sagt auch Müller. Er hat die Firmen vor einigen Monaten sogar ins Rathaus zitiert, um sie auf den Schlussspurt einzuschwören. Genauso will er es jetzt mit den Genehmigungsbehörden machen.
Die Wahl im September stellt Müller vor ein Dilemma: Verschiebt er die Eröffnung erst danach, wird der politische Gegner ihn des Wahlbetrugs schelten. Kippt er den Termin vorher, werden sie ihm im Wahlkampf aufs Brot schmieren, dass er am Flughafen versagt habe – und dabei übersehen, dass Müller vor allem die Suppe auslöffelt, die ihm sein Vorgänger Klaus Wowereit hinterlassen hat.
Solche Überlegungen weist der Bürgermeister von sich. «Es wäre doch fatal, wegen eines politischen Termins irgendwas passend zu machen, das mir acht Wochen später auf die Füße fällt.» Deshalb meidet er die Schocktherapie und beginnt, Berliner und Brandenburger behutsam auf das möglicherweise Unausweichliche einzustimmen. Indem er sagt, er streite nicht um Wochen, es gehe auch im Januar 2018 – auch wenn vor März wegen Schnee und Eis kaum eine Airline umziehen wollen wird.
Unter den Flughafenkunden sinkt ohnehin die Geduld. «Uns wurden schon so viele Termine genannt, die nicht eingehalten wurden», sagte Easyjet-Chefin Carolyn McCall erst am Donnerstag dem «Tagesspiegel». «Wir warten jetzt dringend darauf, dass uns endlich gesagt wird, was geschieht.»
Sarah Lena Grahn und Burkhard Fraune, dpa