140 Stufen in den Himmel – Highlights-Hopping in Guatemala
Guatemala ist ein armes Land, und es ist ein reiches Land. Reich an alten Kulturstätten, Traditionen und faszinierenden Landschaften. Tikal (dpa/tmn) – Brechbeutel in XXL-Format lassen Übles befürchten. Und dass auf den Sitzen des Kleinjets tatsächlich steht, diese könnten im Bedarfsfall schwimmen, hebt vor dem Start die Skepsis. Doch der 33-minütige Flug zum See Petén […]
Tikal (dpa/tmn) – Brechbeutel in XXL-Format lassen Übles befürchten. Und dass auf den Sitzen des Kleinjets tatsächlich steht, diese könnten im Bedarfsfall schwimmen, hebt vor dem Start die Skepsis.
Doch der 33-minütige Flug zum See Petén Itzá geht glatt – und bringt den Reisenden von der Hauptstadt Guatemala-City in gänzlich andere Sphären. Geografisch, klimatisch, kulturell. Weg vom Straßen-Kleinsthandel und verpuffenden Abgaswolken städtischer Uraltbusse hoch in den Norden zu sagenhaften Mayakultur-Zeugnissen.
Tikal, das Ziel aller Ziele für Guatemala-Reisende, liegt eine Fahrstunde vom Flughafen entfernt, bei Hitze durch üppiges Tropengrün. Dort bereitet der Maya-Priester Gilberto Chayax ein Ritual auf dem Hauptplatz des Ruinenareals vor. Das zerfurchte Gesicht des 80-Jährigen vereint Weisheit und Würde.
Hochprozentiges für die Maya-Götter
Chayax ist ein Bewahrer der zum Aussterben verdammten Mayasprache Itzaj, die heute nur noch 60 Leute sprechen, wie er sagt. Für die Neuankömmlinge entzündet er ein Feuer und richtet Worte an den «Schöpfer, der die Erde schuf, den Wald, die Tiere und all das, was wir sehen, auch uns selber».
Die Segnung ist keine folkloristische Schau. Chayax ist tief in sich versunken, er hat die Arme vor dem Körper verschränkt, die Augen sind geschlossen. Schluckweise nimmt der Priester einen Hochprozentigen und spuckt ihn direkt ins Feuer, so dass es knistert und aufschießt.
Was er in seiner Litanei murmelt, gibt er später preis. Er habe für die Gäste «um Erlaubnis gebeten, Tikal und die heiligen Stätten zu besuchen». So steht der Entdeckung nichts mehr im Wege.
140 Stufen in den Himmel
Die Anlage von Tikal zieht den Reisenden in die Vergangenheit der Maya. Sie war Herzstück eines mächtigen Regionalstaats, der bis etwa 900 nach Christus existierte und Polit- und Handelsbeziehungen mit entfernten Städten unterhielt. Bis zu 80 000 Menschen lebten hier, angeführt von Fürsten und Priestern.
Stufentempel, Stelen und Verbindungswege sind bis heute Zeugnisse davon. Aber nur Teile Tikals sind bislang ausgegraben, erläutert der Reiseführer Emilio Faillace (39).
Das Highlight der Anlage ist die Große Pyramide. Den Entdeckern aus der Gegenwart treibt es den Schweiß auf die Stirn und ins Shirt, während sie den Aufstieg über eine Treppe bewältigen. 140 Stufen führen in den Himmel. Die Blicke über den Regenwald und die ausgestreuten Steinstrukturen sind dafür fantastisch.
In den Schulen seines Landes stelle man die Maya oft nur «als Nackte, die Lanzen warfen», hin, kritisiert Faillace. Stattdessen müsste man die sichtbare Größe ihrer Kultur vermitteln und wie es sein konnte, dass sie einen Ort wie Tikal «mitten im Nichts» mit einer solch «komplexen, homogenen Zivilisation» hervorbringen konnte.
Die Natur erobert die Ruinen
Aber Tikal ist nur eine Anlaufstation für kulturinteressierte Guatemala-Reisende: Ein weniger bekanntes Freilichtmuseum der Archäologie liegt in Yaxhá, nahe dem See selben Namens.
Die weitläufige Mayastätte war Schauplatz für Sonnenkult, astronomische Beobachtungen und das Pelotaspiel – von dem man nicht weiß, ob in der «Pyramide der Opferungen» das Verliererteam gerichtet wurde oder ob den Gewinnern die Ehre zuteil wurde, ihr Leben für die Götter zu lassen.
Noch näher als in Tikal drängt sich der Dschungel in Yaxhá an die Ruinen heran, der sich das bebaute Terrain zurückholen will. Auf Tempelresten wachsen bereits riesige Bäume, Wurzelwerke umgreifen wie Tentakel die historischen Strukturen. Immer wieder hört man Schreie der Brüllaffen, sie gehen durch Mark und Bein.
Spanische Geschichte in La Antigua Guatemala
Ein späteres Kapitel der Geschichte zeigt sich im Landessüden. Hier gründeten die Spanier mit La Antigua Guatemala ihre Hauptstadt und hinterließen ein Konzentrat der Kolonialarchitektur aus Kirchen, Palästen und sonstigen Gebäuden mit kunstvollen Fassaden.
Das Ensemble überstand die Jahrhunderte aber nicht schadlos. Im Kreuzgang des einstigen Klosters La Merced verzeichnet eine Schautafel elf schwere Erdstöße und Beben zwischen 1564 und 1976. Deshalb ist von manchen Sakralbauten wie der Jesuitenkirche einzig das Gerippe geblieben, und die urbane Bebauung ist niedrig gehalten.
Die Kleinstadt La Antigua Guatemala mit rund 35 000 Einwohnern ist ein Weltkulturerbe. Auf die Frage, was ihre Heimat ganz besonders macht, hört sich die Antwort der Studentin Vivian Reguan (19) zunächst platt an: «die lebendigen Traditionen». Doch dann erzählt sie, dass sie eine von wenigen Frauen der Bruderschaft Jesús Nazareno ist, dessen Bildnis vorne in der Kirche La Merced einen Ehrenplatz hinter Glas einnimmt. «Bei unseren vielen Prozessionen tragen wir die Standarten», berichtet Vivians Freundin Karla Mendez (18).
Chichicastenango ist der Schmelztiegel der Religionen
Ein anderes Glaubensziel im Hochland Guatemalas ist Chichicastenango, wo sich Christen- und Mayakult vermischen. Insbesondere die Wallfahrtskirche Santo Tomás steht dafür. Gebaut wurde sie von den christlichen Spaniern auf einem zerstörten Maya-Tempel. 18 Stufen führen hinauf zum Eingang – 18 Monate gab es im Maya-Kalender.
Am Portal stehen heute Mayapriester und -priesterinnen mit Blechdosen voller Räuchermittel, die auch das Innere der Kirche einnebeln. Dort gibt eine Melange aus Kerzenschein im Dämmerlicht und den Gebeten der Gläubigen, die den Weg zum Altar auf Knien zurücklegen, dem Gotteshaus eine mystische Aura.
Der Glaube ist tief verankert im Leben der Bewohner Chichicastenango. Tuk-Tuk-Fahrer Rigoberto Riquiac Conoz (35) sucht selbstverständlich immer einen Priester auf, «wenn die Geschäfte schlecht laufen». Dessen Segnung kostet ihn 500 bis 1000 Quetzales, umgerechnet 60 bis 120 Euro. Eine Menge Geld in Guatemala. Doch der Priester müsse auch Material besorgen, nimmt Conoz ihn in Schutz. Alternativ kann er aber auch Gaben wie Kekse, Kaugummi und Schokolade abgeben.
Selbst beim Abendspaziergang ein sicheres Gefühl
Donnerstags und sonntags, an den Markttagen, fallen Besuchermassen in Chichicastenango ein. Wer es ruhiger mag, kommt daher am besten während der übrigen Wochentage und erlebt ein Landstädtchen, das authentische Einblicke in den Lebensalltag Guatemalas gibt, der für Europäer ungewöhnlich ist.
Ladeflächen von Pick-ups fungieren als Wühltische, in offenen Fleischereien baumeln an Haken fette, fliegenumlagerte Fleischlappen. Unzählige Straßenhunde streunen umher. Aber: Selbst beim Abendbummel fühlt man sich hier sicher.
Ein Highlight ist der Besuch des Friedhofs außerhalb der Stadt – eine Anlage voller bunter Mausoleen und Kreuze. Dass ein Eisverkäufer mit bimmelndem Glöckchen zwischen den Gräbern auf Kundenfang geht, ist hier normal.
Gelebte Tradition am Atitlán-See
Ein weiteres Ziel einer Rundreise ist der Atitlán-See, der schönste des Landes – und dort der kleine Ort San Juan la Laguna. Hier empfängt die Frauenvereinigung Q’omaneel Touristen – in der Mayasprache Tz’utujil bedeutet der Name «Mayaheilerin». Ihr Ziel: Lokale Traditionen bewahren und die Gleichberechtigung fördern.
Die Gemeinschaft aus 15 Frauen verarbeitet im eigenen Labor und Laden Heilpflanzen zu Seifen, Cremes und Pomaden, erklärt María Quiacain Yotz (24). «Meine Großmutter Encarnación hat mir alles zu den Heilkräften der Pflanzen beigebracht.» Dieses Wissen wurde einst von Generation zu Generation weitergegeben – und es soll über die Vereinigung weiterhin so geschehen.
Auch die örtliche kunsthandwerkliche Weberinnen-Vereinigung Ixoq Ajkeem möchte mit einem entsprechenden Angebot Reisende anlocken: Rund zwei Dutzend Frauen fertigen zu Hause wie traditionell gehabt ihre Waren, die sie dann aber in einem Zentralshop zum Verkauf anbieten. Dort demonstriert María Graciela Mendoza (57) etwa das Färben von Stoffen mit natürlichen Materialien wie der ausgekochten Roten Bete.
In den Anfängen habe sie als Mitbegründerin der Gemeinschaft andere Frauen «überzeugen müssen, nicht mehr vom Ehemann abhängig zu sein» und zum Familieneinkommen beizutragen, «damit unsere Kinder eine bessere Zukunft haben». «Ich bin nur zwei Jahre zur Schule gegangen», erzählt Mendoza. Rechnen kann sie allerdings gut – die Preise sind gehoben.
Aufstieg zum Pacaya mit Stock und Gebet
An all den Stationen sind Vulkane Urlaubsbegleiter – das ist am Atitlán-See so, und auch in La Antigua Guatemala. Südlich von Guatemala-City lässt sich der 2552 Meter hohe Pacaya besteigen. Ein 2,8 Kilometer langer Weg führt vom Dorf San Francisco de Sales ausgehend aufwärts. Er ist nicht einfach, gerade das Endstück über steile Rampen aus Asche und Lava hat es in sich. Wer unten im Ort keinen Stock gekauft hat, mag das hier bereuen.
Bergführer Juan Antonio Peralta (59) war früher Landwirt. Seit dem Jobwechsel ist er ungefähr 300 Mal auf den Vulkan gestiegen, und jedes Mal bat er zuvor Gott um «Schutz für meine Gäste und mich», sagt Peralta. Denn der Pacaya ist aktiv und setzt Rauchzeichen.
«Ich habe ihn in verschiedensten Phasen der Eruption erlebt und gesehen, wie er Bäume zerstörte», erzählt Peralta. Allein vergangene Nacht habe er von seinem Haus aus fünf Lavaflüsse an den Flanken beobachtet. Daher endet der kräftezehrende Trail auch mit Sicherheitsabstand am Kraterrand gegenüber dem Kegel.
Schwefelgestank und das Fauchen des Vulkans
Trotzdem fühlt man sich dem Krater nahe: Der Pacaya schnauft und faucht und grollt. Je nach Windrichtung schickt er auch Schwefelgestank als Gruß hinüber und schleudert gelegentlich Gesteinsbrocken heraus.
Ziehen Wolken auf, stürzt zugleich die Temperatur ab. Dann drohen die Bergwanderer auszukühlen. Da ist es gut, dass unweit die Erde kocht und der Boden unter den Füßen am Endpunkt der Wanderung wohltemperiert ist – einfach hinlegen und die Vulkanwärme in den Rücken ziehen lassen.
Info-Kasten: Guatemala
Anreise: Von Deutschland aus gibt es keine Direktflüge nach Guatemala. Umsteigen lässt sich in Madrid. Inlandsflüge bietet TAG Airlines an, ansonsten fahren auch Groß- und Kleinbusse überall hin.
Einreise: Urlauber brauchen einen gültigen Reisepass und dürfen sich ohne Visum bis zu 90 Tage im Land aufhalten.
Reisezeit: Prinzipiell ganzjährig gut, am besten aber während der Trockenzeit November bis April.
Sicherheit: Die Kriminalitätsrate ist laut Auswärtigem Amt hoch. Neben der allgemeinen Straßenkriminalität hat Guatemala ein Problem mit Bandenkriminalität. Das Risiko von Überfällen bestehe grundsätzlich auch in Touristenzentren.
dpa/tmn ouv xx a3 may sw