Nach einem Flugzeugabsturz stehen Airlines im Zentrum weltweiter Aufmerksamkeit. Wie sollten sie kommunizieren, um transparent, empathisch und handlungsfähig zu bleiben – ohne den eigenen Ruf zu gefährden? Kommunikations-Expertin Barbara Kracht erklärt, worauf es bei Krisenkommunikation ankommt.

Täglich stehen tausende Flugzeuge global im Einsatz. Die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls ist gering, kann aber nicht komplett ausgeschlossen werden. So verunglückte am Donnerstag, 12. Juni, eine Boeing 787 von Air India kurz nach dem Start in Ahmedabad in Indien. Wie also sollten Airlines in ihrer Kommunikation mit dem schlimmsten Fall, einem Absturz, umgehen, um nicht selbst im erwartbaren Mediengewitter unterzugehen? AERO-INTERNATIONAL-Redakteurin Astrid Röben hat Anfang 2023 Barbara Kracht, Partnerin BHK Crisis Communication und Managing Director BMK Strategies, dazu befragt.

Bereitet sich eine Airline auf einen Flugzeugabsturz vor?

AERO INTERNATIONAL: Ein Flugzeugabsturz gehört sicherlich zu jenen Ereignissen, die eine Fluggesellschaft niemals erleben möchte. Wie wichtig ist die Vorbereitung auf eine solche Katastrophe?

BARBARA KRACHT: Unfälle sind zwar sehr selten, aber gerade deshalb unerwartet und überraschend. Und weil sie so selten vorkommen, spielen Emotionen eine große Rolle, denn es sind Menschenleben im Spiel. Die Dramatik erzeugt ein immenses weltweites öffentliches Interesse und damit eine überwältigende Medienberichterstattung. Das bedeutet, dass die Kommunikation einen wesentlichen Bestandteil des gesamten Krisenmanagements der betroffenen Airline darstellt. Es ist von entscheidender Bedeutung für eine Firma, ihren Ruf unter solch dramatischen Umständen zu schützen. Und wenn der Fall leider überraschenderweise eintritt, muss die Fluggesellschaft darauf vorbereitet und trainiert sein, um sofort reagieren zu können. Die ersten Stunden zählen, um die Glaubwürdigkeit des Unternehmens als zuverlässige Informationsquelle zu etablieren. Vorbereitung ist das A und O.

Expertin ihres Fachs: Barbara Kracht.
Expertin ihres Fachs: Barbara Kracht. Bild: BHK CRISIS COMMUNICATIO

Und sind die Fluggesellschaften vorbereitet? Wie ist Ihre Erfahrung?

Für Airlines, die im Prinzip alle international fliegen, ist es Vorschrift, über einen vollständigen, einstudierten und operativen Krisenmanagement-Plan zu verfügen. Für den Aspekt der Krisenkommunikation gibt es jedoch keine solche Anforderung. Daher kann der Stand der Vorbereitungen von Airline zu Airline unterschiedlich sein. Die größeren Betreiber, beispielsweise Traditionscarrier, haben über die Jahrzehnte hinweg leider einige Erfahrung gesammelt und sind daher auch vorbereitet. Einige kleinere und/oder jüngere Airlines konzentrieren sich im Fall der Fälle eher auf externe Kommunikationsunterstützung.

Ich betone jedoch, dass in den ersten entscheidenden Stunden nach einem Unfall die Airline und ihr CEO an vorderster Front stehen und den Fall zunächst allein, ohne externe Unterstützung, bewältigen müssen. Es wird von ihnen erwartet, dass sie sofort reagieren, Gesicht zeigen und präsent sind. Ein externer Dienstleister wird in diesen ersten Stunden nicht voll zur Verfügung stehen können. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob sich alle CEOs und Kommunikationsleiter dessen bewusst sind.

Wie sollte eine Fluggesellschaft denn idealerweise im Krisenfall kommunizieren?

Sofort, sachlich, präzise und proaktiv. Das Wichtigste ist, dass die Airline von Anfang an Empathie für alle Betroffenen, Mitgefühl, Fürsorge und Rücksichtnahme zeigt und das auch vermittelt. Man könnte argumentieren, dass es in den ersten Stunden nach einer Katastrophe kaum sachliche und bestätigte Informationen gibt und dass es daher schwierig ist, zu kommunizieren. Es gibt aber immer etwas, worüber die Fluggesellschaft sprechen kann – angefangen mit der Erklärung, dass sie zurzeit über keine bestätigten Informationen verfüge und sich deshalb nicht an unverantwortlichen Spekulationen beteiligen wolle.

Die Airline kann außerdem mitteilen, was sie aktuell unternimmt – beispielsweise die Entsendung von trainierten Assistenz-Teams zum Ort des Geschehens, oder wie sie sich um die Angehörigen und alle weiteren Betroffenen kümmert.

Und wann ist ein Abweichen von der von Ihnen bereits beschriebenen Basisstrategie geboten?

Anpassungen müssen vorgenommen werden, unter anderem, um dem Standort und eventuellen Unterschieden in Kultur und Gewohnheiten Rechnung zu tragen. Da es sich beim Lufttransport um ein internationales Geschäft handelt und die Passagiere aus aller Welt kommen, muss man mit jeder Art von Kultur umgehen können. Wie man reagiert, hängt außerdem vom Ausmaß des Ereignisses ab. Ein Vorfall ohne Todesfälle und mit wenigen Verletzten ist nicht auf das gleiche Niveau zu setzen wie ein katastrophaler Flugzeugabsturz. Zudem muss man sich der Rolle der sozialen Medien bewusst sein. Der Vorfall kann geringfügig und nicht einmal direkt auf das Konto der Fluggesellschaft zurückzuführen sein; er kann aber, aufgrund potenziell skandalöser Bilder, die sehr schnell weltweit über YouTube und ähnliche Medien verbreitet werden, aus kommunikativer Sicht katastrophale Folgen haben.

Die Sozialen Medien sind wichtige Kommunikationskanäle im Krisenfall

Welche Kanäle gilt es dabei zu nutzen?

Heute sind die wichtigsten Kommunikationskanäle die sozialen Medien, insbesondere das zuvor als Twitter bekannte X, Facebook und viele andere, auch abhängig von dem Ort in der Welt, in dem sich der Vorfall ereignet hat. Sie bieten den schnellsten Weg, um Kurznachrichten und Informationen zu kommunizieren. YouTube oder Instagram sollten ebenfalls verwendet werden, um sehr schnell Video-Aussagen des oder der CEO zu veröffentlichen. Damit gewinnt man etwas Zeit bis zur ersten Pressekonferenz, die so schnell wie möglich nach dem Unfall stattfinden muss – allerdings erst dann, wenn ausreichend bestätigte Informationen vorliegen.

Video-Statements ermöglichen es den Unternehmen, in den elektronischen Medien schnellstens auf höchstem Niveau präsent zu sein, und sei es nur mit einer kurzen Botschaft über die Bestätigung des Unfalls und vor allem dem Ausdruck von Empathie und Fürsorge. Aber: Man sollte die herkömmlichen Medien auf gar keinen Fall vergessen. Sehr wichtig ist, eine gute und vertrauensvolle Beziehung zu den Redaktionen zu pflegen. Einige haben in ihren Reihen echte Luftfahrtexperten, die Sinnvolles in die Spekulationsflut tragen können. Regelmäßige Pressekonferenzen und Briefings sind zudem gefragt.

Wie wichtig ist es, auch die Mitarbeiter der Airline mit ins Boot zu holen?

Das ist von großer Bedeutung. Alle Beschäftigten stehen unter großem Schock, vor allem diejenigen, die direkt in der Operations tätig sind. Das fliegende Personal hat Kollegen oder gar Freunde bei dem Unfall verloren. Die Mitarbeiter sind für die Bewältigung der Krise sehr wichtig; sie gewährleisten zudem den normalen Weiterbetrieb. Viele von ihnen werden auch freiwillig bei der Betreuung von Familien und Verwandten helfen wollen. Wenn die Mitarbeiter involviert sind und sehen, dass ihr Management das in den Augen der Öffentlichkeit Richtige macht, können sie am Ende stolz darauf sein, wie ihr Unternehmen auf die Krise reagiert – und daher noch motivierter sein und so auch extern zu besten Botschaftern des Unternehmens werden. Die Liste derer, mit denen eine Fluggesellschaft nach einem Unfall kommunizieren muss, ist jedoch sehr viel länger: Sie reicht von den Investoren über Agenturen und Verkaufsvertretungen bis hin zu Versicherungen, Regierungsbeamten, ganz zu schweigen von den Familien.

Wie können externe Dienstleister einer Airline helfen?

Externe Dienstleister und Kommunikationsexperten sind eine dringend benötigte Unterstützung sowohl in Bezug auf die personellen Ressourcen als auch auf Krisenkommunikationsberatung, um allen Fragen gerecht zu werden, die sowohl über die verschiedenen Social-Media-Kanäle als auch über die klassischen Medien wie Print, Radio oder TV gestellt werden. Sie können auch dabei helfen, die Berichterstattung insgesamt zu überwachen, Trends zu analysieren und eine Reaktionsstrategie zu empfehlen.

Ein externer Berater ist jedoch kein Ersatz für die Kommunikationsabteilung und schon gar nicht für den oder die CEO. Er oder sie ist das Gesicht des Unternehmens, niemand sonst. Krisenkommunikation hat nichts mit der üblichen Kommunikation zu tun und lässt sich nicht so einfach improvisieren. Externe Dienstleister können dabei helfen, die Führungskräfte und die Kommunikationsabteilung des Unternehmens zu schulen.

Wann endet die Krisenkommunikation?

Das kann von Fall zu Fall anders sein. Bei einigen kleineren Vorkommnissen dauert es vielleicht einige Tage, bei größeren Unfällen kann es sich über Monate und sogar Jahre hinziehen, bis die letzten Rechtsstreitigkeiten beigelegt sind. Die schlimmste Welle erfolgt während der ersten Tage nach dem Unfall. Danach legt sich die Berichterstattung etwas, bis der erste vorläufige Bericht der Ermittlungsbehörde vorliegt– normalerweise einen Monat nach dem Unfall. Und jedes Mal, wenn eine neue Meldung im Zusammenhang mit dem Unfall auftaucht oder ein Jahrestag ansteht, wird es ein Wiederaufleben des Medieninteresses und damit des Kommunikationsbedarfs geben. Es kann also sehr lange dauern, bis sich das Interesse wirklich legt – wenn überhaupt jemals vollständig.

Wie lauten Ihre wichtigsten Empfehlungen, um eine solche Krise effektiv zu bewältigen?

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es wichtig ist, schnell, sachlich und faktenorientiert, ohne Spekulationen, jedoch mit großer Empathie zu kommunizieren. Der CEO von AirAsia, Tony Fernandes, betonte einmal, dass man sich nicht in einer Krise verstecken dürfe. Das bedeutet, dass der oder die CEO an vorderster Front steht, die Kommunikationsführung übernimmt und so oft wie möglich Gesicht zeigen muss. Da dies aber nicht improvisiert werden kann, muss das Management auf eine solch ungewöhnliche und sehr emotionale Art der Kommunikation vorbereitet sein. Gutes Training im Vorfeld ist somit von großer Bedeutung.