Das mysteriöse Verhalten einer erfahrenen Besatzung, die ihr Flugzeug über Westdeutschland um hunderte Kilometer vom Kurs abkommen ließ, war der Auslöser einer bis heute rätselhaften Flugkatastrophe des Jahres 1950.

Am 16. April 1950 um 3.14 Uhr morgens startete in Amsterdam eine Handley Page H.P. 70 Halton 1 der britischen Fluggesellschaft World Air Carriers zum Flug. Mit 251 fabrikneuen Radios des niederländischen Philips-Konzerns soll es in die iranische Hauptstadt Teheran gehen. Das eingesetzte Flugzeug war die Zivilversion des Halifax-Bombers aus dem Zweiten Weltkrieg. Zwölf Haltons hatte British Overseas Airways Corporation (BOAC) als Interimslösung direkt bei Handley Page in Auftrag gegeben. Diese sollten bis zur Lieferung größerer Maschinen nach Kriegsende dienen.

Die an jenem Tag für den Flug in den Iran ausgewählte Maschine mit der Kennung G-AHDX wurde am 4. Juni 1947 als zehnsitziges Passagierflugzeug an BOAC geliefert. Dort tat sie bis zum 31. Mai 1948 ihren Dienst. Am 23. September des Jahres verkaufte sie BOAC an besagte World Air Carriers. Diese nutzten sie zunächst als Frachter im Auftrag der britischen Regierung während der Berliner Luftbrücke.

Besatzung ignoriert Positionsangaben-Vorschrift

Der lukrative Vertrag läuft nach dem Ende der Blockade Berlins durch sowjetische Truppen aus. Das Management der World Air Carriers versuchte sich mit gelegentlichen Frachtchartern über Wasser zu halten. So, wie an jenem schicksalshaften 16. April 1950. Da die Reichweite der Handley Page H.P. 70 Halton 1 keinen Nonstop-Flug von Amsterdam nach Teheran erlaubte, war ein Tankstopp im süditalienischen Brindisi eingeplant. Dies war auch der Zielort des italienischen Inhabers einer Luftfrachtagentur. Dieser befand sich als einziger Passagier neben der fünfköpfigen Crew an Bord der Halton. Die Route sollte laut abgegebenem Flugplan von Amsterdam über München, den Brennerpass und Venedig führen, und die bayerische Landeshauptstadt nach spätestens zwei Stunden und zehn Minuten passiert werden. Doch dort kam sie nie an.

Die junge, erst ein Jahr zuvor gegründete Bundesrepublik Deutschland verfügte noch über keine eigene Lufthoheit. Aufgrund dessen hätte sich die Halton-Crew während des Fluges per Funk bei den westalliierten Streitkräften mit regelmäßigen Positionsangaben melden müssen. Doch die Besatzung um Kapitän Bryan Hilton Lathom-Smith ignorierte diese Vorschrift. Sie steuerte von Holland aus mit einem geschätzten Kurs von 160 Grad über Belgien, Frankreich und Westdeutschland hinweg. Im Dunkel der Nacht flog sie direkt ins Verderben.

Handley Page H.P. 70 Halton 1 kollidiert mit Berg

Der korrekte Kurs von 144 Grad hatte München als Wegmarke. Stattdessen wich die Route mit jedem Kilometer immer weiter Richtung Westen von der Ideallinie ab. Bis die Halton rund 450 Kilometer von München entfernt den Schweizer Berner Alpen gefährlich nahe kam. Wetterberichte legen nahe, dass der Flug bei Regen und einer tiefhängenden Wolkendecke stattgefunden haben muss. Somit fand er unter Instrumentenflugbedingungen ohne Bodensicht statt, was Fehlnavigationen begünstigt.

Von dem tiefen Brummen der Motoren einer großen Propellermaschine aus dem Schlaf gerissen, meldeten sich zahlreiche Bürger des Berner Oberlands bei den Behörden, um ihre besorgniserregende Beobachtung zu melden. Zu spät, um die Halton-Crew vor ihrem fatalen Irrtum zu warnen. Um 6.28 Uhr vernahmen die am Hang des Hohgant lebenden Bergbauern einen dumpfen Knall. Die Handley Page H.P. 70 Halton 1 war im Reiseflug in 1670 Metern Höhe mit der Flanke des 2197 Meter hohen Berges kollidiert. Der weithin hörbare Aufprall war so heftig, dass er eine Schneelawine auslöste. Diese riss das Trümmerfeld mit sich auf die darunter liegenden Bergwiesen riss. Keiner der sechs Insassen überlebte die Katastrophe, die lediglich ein Stück des Hecks als einziges identifizierbares Bauteil übrig ließ.

Zusammenhang mit Wahl des iranischen Premierminister?

Wie konnte es passieren, dass eine erfahrene Crew um rund 450 Kilometer über Mitteleuropa vom Kurs abkommt? Warum unternahm sie nicht auch nur den Versuch mit den vorhandenen bodenseitigen Hilfsmitteln den korrekten Weg zu finden? Warum nahm die Besatzung keinen Kontakt mit den alliierten Bodenstellen in Westdeutschland auf, wie dies vorgeschrieben war? Wieso meldete sich die Besatzung der Halton zweimal kurz im Abstand von 34 Minuten in Amsterdam und Paris? Und warum machte sie dabei eine identische und zudem falsche Positionsangabe?

Hatte die Wahl in politisch aufgeheizten Zeiten etwas mit dem mysteriösen Absturz zu tun? Der westlich orientierte und gemäßigten Politikers Radschab Ali Mansur wurde zum iranischen Premierminister gewählt. Diese Wahl wurde nur drei Tage vor dem Unfall der Halton vom iranischen Parlament bestätigt. Wurde die Halton entführt und bewusst gegen den Berg geflogen? Sollte damit verhindert werden, dass die Radios und somit politische Informationsquellen für die iranische Bevölkerung in das Land gelangen?

Handley Page H.P. 70 Halton 1E: Keine Flugdatenschreiber oder Aufzeichnungsgeräte

Für die schweizerischen Flugunfallermittler stand schnell ein viel naheliegender Grund fest. Die Besatzung war auf Grund einer massiven Missachtung von Sicherheitsreglements alleinig an dem Absturz Schuld. Der Leiter des Büros für Flugunfalluntersuchungen, Dr. Harry Widmer, konstatierte vielsagend in einem inoffiziellen Memo: „Wie lange muss die Tätigkeit solcher Hurra- und Krampfunternehmungen zum Schaden der Luftfahrt und Gefährdung der Öffentlichkeit noch geduldet werden?“ Doch machte er es sich damit zu einfach und stimmte seine persönliche Meinung mit der Realität überein? An Bord der Handley Page H.P. 70 Halton 1 gab es keine der heutzutage üblichen Flugdatenschreiber oder Aufzeichnungsgeräte der Cockpitgeräusche. Außerdem gab es keinen auf Probleme hindeutenden Funkkontakt seitens des Flugzeugs mit einer Bodenstelle, der aufgenommen wurde. Deshalb bleibt es bis heute bei vielen offenen Fragen und Spekulationen. Ein bald 73 Jahre alter, ungelöster Cold Case der Luftfahrtgeschichte.