01.01.2015 Der dritte Airport im Großraum Mailand ist vor allem im Preiswert-Geschäft zu Hause, dem er seinen Aufstieg zu einem der größten Flughäfen Italiens verdankt. Für Träume hat Emilio Bellingardi, Chief Operating Officer des Il Caravaggio Bergamo Orio al Serio International Airports, keine Zeit und keine Nerven. „Man muss realistisch bleiben“, sagt er, was ein […]

01.01.2015

Der dritte Airport im Großraum Mailand ist vor allem im Preiswert-Geschäft zu Hause, dem er seinen Aufstieg zu einem der größten Flughäfen Italiens verdankt.

Für Träume hat Emilio Bellingardi, Chief Operating Officer des Il Caravaggio Bergamo Orio al Serio International Airports, keine Zeit und keine Nerven. „Man muss realistisch bleiben“, sagt er, was ein wenig merkwürdig klingt, bedenkt man, welche Traumkarriere der kleine lombardische Flughafen in den vorigen anderthalb Jahrzehnten hingelegt hat.

Das Passagieraufkommen hat sich praktisch verzehnfacht, und Bergamo arbeitete sich kontinuierlich von Platz 16 auf die vorderen Ränge unter den italienischen Airports vor – wohin genau, ist allerdings abhängig von der Betrachtungsweise: Vom Passagieraufkommen her ist Bergamo nach Rom-Fiumicino, Mailand-Malpensa und Mailand-Linate der viertgrößte Airport auf dem italienischen Stiefel. Legt man aber die Einheit „Traffic Unit“, was einem Passagier oder 100 Kilogramm Fracht entspricht, zugrunde, steht Bergamo vor Linate an dritter Stelle.

Zu verdanken hat dies der Flughafen, der 45 Kilometer östlich der Metropole Mailand liegt, einerseits der Weitsicht seiner Betreiber, SACBO (Società per l‘Aeroporto Civile di Bergamo Orio al Sero S.P.A.), sich auf das Experiment Low Cost einzulassen; andererseits der Initiative von Europas größter Billigfluggesellschaft Ryanair sowie dem Integrator DHL. Die beiden Unternehmen waren damals, und sind auch heute noch die gewichtigsten Kunden in Orio al Serio, das sich auf das Fracht- und Billigflugsegment spezialisiert hat.

Die Erfolgsgeschichte des Flughafens begann im Jahr 2000, als Ryanair recht überraschend Dienste von Frankfurt-Hahn nach Bergamo aufgenommen hatte. Klein und vor allem praktisch – jeweils nur ein paar Schritte vom Check-in zum Gate zum Flugzeug und umgekehrt – erfüllte der Airport alle Voraussetzungen für die irische Billigfluggesellschaft, die bevorzugt Sekundärplätze im Einzugsgebiet großer Metropolen bedient. Das Konzept, das für die Airline lange Zeit reibungslos funktionierte, diente auch dem Airport, der sich nach Kräften bemühte, den Iren ein guter Partner zu sein.

Dennoch beginnt die eigentliche Zeitrechnung des Airports, der seit 1937 als Militärflugplatz existiert und seit 1972 für kommerzielle Flüge zugelassen ist, erst im Jahr 2002. Damals wurde der Mailänder Flughafen Linate, entthront als lombardischer Hub seit der Eröffnung von Malpensa im Jahr 1998 und zu dessen Schutz starken Verkehrsbeschränkungen im Rahmen des Bersani-Dekrets unterworfen, für einige Wochen zwecks Runway-Sanierung geschlossen. Der gesamte Flugbetrieb wurde nach Bergamo ausgelagert, und offensichtlich gelang es den Betreibern, auch andere Airlines von der Qualität ihres Platzes zu überzeugen.

Seither nämlich stieg das Verkehrsaufkommen in Bergamo sprunghaft und kontinuierlich an; allein von 2002 auf 2003 wuchs das Passagieraufkommen um 170 Prozent. 2003 stationierte Ryanair in Bergamo ein Flugzeug und begann, den Flughafen zu ihrer größten Basis in Kontinentaleuropa auszubauen. Heute habe der irische Billigflieger 15 Flugzeuge in der Lombardei stationiert und generiere dort ein Aufkommen, das der Größenordnung seines Geschäfts in Dublin entspreche, weiß Bellingardi.

Der Low-Cost-Markt verdrängte zunehmend auch das bis dahin klassische Chartersegment. Im Jahr 2000 waren 46 Prozent aller Passagierflüge in Bergamo Linien- und 54 Prozent Charterflüge. 2013 sah es schon ganz anders aus, denn gerade noch elf Prozent aller Dienste ab BGY, so der Drei-Letter-Code des Airports, waren Charterflüge. Inzwischen ist Italien kein guter Markt mehr für Charteranbieter, und die Reiseveranstalter arbeiten zunehmend mit den Billigfluggesellschaften zusammen, um auf deren Flugzeugen Kontingente zu buchen – auch bei Ryanair. Und so prophezeit Bellingardi dem klassischen Chartersegment in Italien den Tod; zumindest im Europageschäft, das schon in wenigen Jahren komplett von den Low-Cost-Anbietern übernommen sein wird.

Der typische Fluggast in Bergamo ist denn auch nicht der Pauschalreisende mittleren Alters, sondern eher der jüngere Individualist. So sind mehr als 30 Prozent aller Passagiere zwischen 25 und 34 Jahre alt, und 22 Prozent zwischen 35 und 44. Knapp die Hälfte aller Fluggäste reist zum Privatvergnügen, 27 Prozent aus familiären oder gesundheitlichen Gründen sowie zu Studienzwecken, und rund ein Viertel der Passagiere ist geschäftlich unterwegs.

Diese Zusammensetzung ist nicht zufällig. Immerhin verfügt die Stadt Bergamo über eine Universität, die auch von ausländischen Studenten frequentiert wird, was bereits für eine relativ junge Klientel sorgt. Ryanair sowie unter anderem Wizzair als Nummer zwei vor Ort, Pegasus oder Air Arabia Maroc sorgen weiterhin dafür, dass der Airport praktisch von jeder Ecke Europas aus angeflogen wird. Und die Lufthansa-Tochter Air Dolomiti bietet hochfrequente Dienste an das Drehkreuz München mit interkontinentalen Anschlussflügen.

Air Dolomiti in Bergamo

Qualitätscarrier Air Dolomiti mag in Bergamo zwar ein bisschen aus der Art schlagen, ist dort aber eine feste Größe und bietet unter anderem hochfrequente Dienste an das Lufthansa-Drehkreuz München. Bild: Dietmar Plath

 

Die weitaus gefragteste internationale Strecke ist und bleibt aber die nach London-Stansted – gefolgt von Charleroi in Belgien, Barcelona in Spanien sowie nach Beauvais, von Ryanair als Destination Paris vermarktet. Die aufkommensstärksten Inlandsrouten führen nach Bari, Cagliari, Lamezia Terme, Brindisi und Palermo, während die Hauptstadt Rom erst an sechster Stelle steht.

Zudem liegt der Großraum Mailand – und somit auch Bergamo – im Speckgürtel des italienischen Stiefels und ist das wirtschaftliche, finanzielle und industrielle Zentrum des Landes. Und auf der Ostseite dieser Region ist es deutlich einfacher und schneller, einen Flug ab Bergamo ins europäische Ausland zu nehmen als über Malpensa, das nordwestlich von Mailand liegt. Immerhin entstammen auch rund 45 Prozent aller Passagiere in Bergamo dem Großraum Mailand, und knapp 70 Prozent aller Fluggäste sind Italiener.

Linate dagegen spielt – zumindest momentan – keine größere Rolle als Mitbewerber im Mailänder Airport-Trio, was sich nach dem Etihad-Einstieg bei Alitalia aber ändern könnte, sollten die  Verkehrsbeschränkungen für diesen Airport zugunsten der beiden neu verbandelten Airlines künftig aufgeweicht werden.

Schon lange denken die Betreiber der drei Mailänder Flughäfen über eine Zusammenarbeit als System nach, zumal die SEA S.P.A., die über Malpensa und Linate gebietet, auch 31 Prozent am Flughafen Bergamo hält. Bislang ist zwar noch nichts daraus geworden, jedoch ist die Idee vor allem angesichts der im nächsten Jahr in Mailand stattfindenden Weltausstellung Expo wieder einmal aktuell.

Rechtzeitig zur Expo soll in Bergamo die neue Terminalerweiterung in Betrieb gehen. Westlich des bestehenden Abfertigungsgebäudes wurde ein Riegel angeschlossen, dessen Erdgeschoss seit August 2014 den neuen Ankunftsbereich birgt und ab März 2015 mehr Gates und Shops auf der Abflugebene bereithält.

Die Low-Cost-Passagiere lassen traditionell viel Geld am Flughafen, vor allem für Speisen und Getränke, und in BGY werden rund 40 Prozent des Gewinns durch Einnahmen aus dem Non-Aviation-Geschäft erzielt. Dass die Fluggäste, die normalerweise ab Bergamo reisen, kauffreudig sind, bereitete im vergangenen Frühjahr vor allem den Konzessionären in Mailand-Malpensa eine angenehme Überraschung: Das Geschäft in den Duty-free-Shops erhöhte sich vorübergehend um zwölf, in einigen Bars um sage und schreibe 60 Prozent. Während dieses Zeitraums war der Flughafen Bergamo nämlich wegen einer Runwaysanierung geschlossen und der Flugbetrieb an Mailands größten Airport verlegt worden.

Die komplette Start- und Landebahn in Orio al Serio wurde erneuert und mit einem Sicherheitssystem an den Schwellen sowie mit neuer Befeuerung versehen. Zudem erhielt die Runway mit einem Schnellabrollweg einen zweiten Weg zum nördlichen Vorfeld, das ebenfalls vergrößert wurde.

Die Konzessionäre aus Malpensa überdenken derweil ihre bisherigen Konzepte beziehungsweise Vorurteile gegenüber sogenannten Billigairports und prüfen nun die Möglichkeit, ihr Geschäft auf den neuen Terminalbereich in Bergamo zu erweitern.

Geplant ist dort – abgesehen von den Neuerungen im Terminalbereich – der Bau eines Taxiways nördlich der Piste, was den Flughafen, so Emilio Bellingardi, deutlich effizienter machen werde. Von einer zweiten Bahn könne man zwar träumen, aber der Realist im COO des Flughafens Bergamo erklärt sogleich, dass die erlaubten 26 Flugbewegungen pro Stunde bislang trotz dreier Wellen – früh am Morgen zwischen halb sechs und halb acht, um die Mittagszeit sowie abends zwischen acht und elf – nur an etwa zwei Stunden pro Tag tatsächlich ausgereizt würden. Kapazitäten sind am Flughafen mit seinen derzeit maximal 190 täglichen Flugbewegungen durchaus noch vorhanden, zumal der Airport auch nachts geöffnet und ohne Einschränkung betriebsbereit ist.

Die nächsten Projekte, die in Bergamo anstehen, sind also der zweite Rollweg sowie eine Neugestaltung des Busbahnhofs. Die Anbindung durch öffentliche Verkehrsmittel ist in Bergamo essenziell. Rund 200 Buslinien verbinden den Airport unter anderem natürlich mit der nur fünf Kilometer entfernt liegenden Stadt Bergamo, aber vor allem mit Mailand, das in rund 45 Minuten zu erreichen ist. Außerdem gibt es zahlreiche Buslinien nach Brescia, Turin und Lugano sowie an das Mailänder Messezentrum. Letzteres dürfte besonders wichtig sein, denn zur Expo erwartet die Stadt Mailand jede Menge Besucher, davon knapp acht Millionen, die mit dem Flugzeug anreisen. Und davon werden wohl etliche den Weg über Bergamo wählen – was vermutlich auch Bellingardi als realistisch einstufen würde.

Brigitte Rothfischer