Wright oder Weißkopf? TV-Film heizt Streit um ersten Motorflug an

Nürnberg, 20. Juli 2016 Waren es die US-Brüder Wright oder war es Gustav Weißkopf – die Frage, wem der erste Motorflug der Welt gelang, löst seit Jahrzehnten leidenschaftliche Debatten unter Luftfahrthistorikern aus. Öl ins Feuer gießt jetzt eine „Terra X“-Dokumentation von ZDF und Arte. Als John Brown zum ersten Mal Bilder von Gustav Weißkopfs Flugmaschine […]
Nürnberg, 20. Juli 2016
Waren es die US-Brüder Wright oder war es Gustav Weißkopf – die Frage, wem der erste Motorflug der Welt gelang, löst seit Jahrzehnten leidenschaftliche Debatten unter Luftfahrthistorikern aus.
Öl ins Feuer gießt jetzt eine „Terra X“-Dokumentation von ZDF und Arte.
Als John Brown zum ersten Mal Bilder von Gustav Weißkopfs Flugmaschine sah, war der Flugzeugbauer und Luftfahrthistoriker sofort beeindruckt: „Das Erste, was mir aufgefallen war: Das ist richtig stimmig“. Inzwischen hat er mit den Ergebnissen seiner jahrelangen Recherchen die Geschichte der Luftfahrt auf den Kopf gestellt.
Denn der in München lebende Australier ist überzeugt: Nicht den in den USA als Nationalhelden gefeierten US-Brüdern Wilbur und Orville Wright, sondern dem deutschstämmigen Flugpionier Gustav Weißkopf (1874-1927) gelang der erste Motorflug der Welt, nämlich schon im Jahr 1901 und damit zwei Jahre früher als den Wrights. Damit gebühre Weißkopf und nicht den Wrights der Ruhm für eine der größten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts.
Neues Öl ins Feuer hat Brown nun mit seinem am vergangenen Montag erschienenen Buch „Gustav Weißkopf und die Gebrüder Wright – Wer flog zuerst?“ gegossen. Auf mehr als 500 Seiten fasst Brown die Ergebnisse seiner fünfjährigen akribischen Recherche zusammen – und präsentiert darin zugleich neues, bislang unveröffentlichtes Bildmaterial.
Inzwischen beschäftigen die Zweifel am weltweiten ersten Motorflug der Gebrüder Wright auch TV-Macher. Arte zeigt die Langfassung „Pioniere am Himmel – Das Rätsel um den ersten Flug“ des Regisseurs Tilmann Remme an diesem Samstag (20.15 Uhr), das ZDF am Sonntag in der Reihe „Terra X“ um 19.30 Uhr. Eine von der australischen ABC produzierte englische Version soll sogar weltweit ausgestrahlt werden.
Zwar ergreift Remme an keiner Stelle seiner Dokumentation direkt Partei. „Wir tragen die Fakten vor und überlassen es am Ende dem Zuschauer, wie er das einschätzt“, macht er deutlich. Dass aus seiner Sicht dennoch „die Quellenlage, die für Weißkopf spricht, bestechend und ziemlich stark ist“, spürt man in seinem Film dennoch an mehreren Stellen.
So fällt das Resümee am Ende der Dokumentation am Ende recht klar aus: „Es wurden 300 Artikel entdeckt – alle berichten sie über Weißkopfs Flug. Doch ein Artikel von Orville Wright genügte, um Weißkopf zu diskreditieren – bis heute“.
Für Aufsehen dürfte zudem ein Interview mit dem US-Luftfahrthistoriker Joe Bullmer sorgen. Ihn hatten bisher Viele wegen seines unlängst erschienen Buchs „The Wright Story“ eher auf der Seite der Wright-Anhänger vermutet.
Stattdessen äußert er vor laufender Kamera offen Zweifel daran, dass historische Fotos, die als wichtige Belege für die Pioniertat gelten, tatsächlich den weltberühmten Erstflug der Wrights im Jahr 1903 zeigen. Und wenn doch, dann seien die Wrights niemals die behauptete Strecke von 260 Metern geflogen, ist Bullmer überzeugt.
Ansonsten stellt die „Terra X“-Doku in kurzen Spielszenen die wichtigsten Lebensstationen der um Ruhm und Ehre streitenden Luftpioniere Wright und Gustav Weißkopf nach – von der Kindheit bis zu ihren Erstflügen. Dabei zeigt eine Szene den jungen Weißkopf auch als Lehrling in einer Augsburger Motorenfabrik; die Filme-Macher stützten sich dabei auf von Brown recherchierte Dokumente.
Nach Ansicht von Brown belegt die von ihm nachgewiesene Motoren-Ausbildung, dass Weißkopf sehr wohl Know-how auf diesem Gebiet hatte – etwas, was Weißkopf-Widersacher immer wieder bestritten hatten.
Renommierte Luftfahrthistoriker bleiben trotz Browns umfangreichen Materials dennoch skeptisch: „Ist Gustav Weißkopf geflogen? Man kann nicht nein sagen. Man kann auch das Gegenteil behaupten. Falls Gustav Weißkopf geflogen ist, dann fehlen die Beweise“, formuliert der Luftfahrtkurator des US-Forschungs-Instituts Smithsonian, Tom Crouch, in dem TV-Beitrag.
Den Forschungsleiter beim Deutschen Museum, Helmuth Trischler, überzeugen auch die in den 1930er Jahren abgegebenen eidesstattlichen Erklärungen von elf Weißkopf-Zeitgenossen nicht; sie hatten versichert, Zeuge von Weißkopfs Motorflügen im Jahr 1901 gewesen zu sein. „Als Historiker sind mir alle Ego-Dokumente suspekt, in denen sich Zeitzeugen auf ihre Erinnerungen berufen“, gibt Trischler zu bedenken.
Immerhin zeigt sich das Deutsche Museum inzwischen bereit, mit Brown öffentlich die Klinge zu kreuzen. Bei einem Symposium des Museums am 19. Oktober soll auch Brown Gelegenheit erhalten, seine Ergebnisse vorzustellen. Den Luftfahrtkurator des Hauses, Hans Holzer, hatten bisher Browns Dokumente nicht überzeugen können. In früheren Erklärungen hatte er betont, Weißkopf habe aus seiner Sicht kaum Impulse für die moderne Luftfahrt geliefert.
Klaus Tscharnke, dpa