Luftfahrt soll CO2-Kosten mit stemmen

Hannover/Berlin, 09. November 2016 Wenn der Klimawandel gestoppt werden soll, muss auch der wachsende Flugverkehr seinen Beitrag leisten. Kurz vor der Konferenz in Marrakesch fiel ein UN-Beschluss über CO2-Lizenzen in der Luftfahrt. Ein echter Fortschritt – oder nur ein Tropfen auf den heißen Stein? Der globale Flugverkehr gehört zu den am häufigsten kritisierten Klimasündern – […]
Hannover/Berlin, 09. November 2016
Wenn der Klimawandel gestoppt werden soll, muss auch der wachsende Flugverkehr seinen Beitrag leisten. Kurz vor der Konferenz in Marrakesch fiel ein UN-Beschluss über CO2-Lizenzen in der Luftfahrt. Ein echter Fortschritt – oder nur ein Tropfen auf den heißen Stein?
Der globale Flugverkehr gehört zu den am häufigsten kritisierten Klimasündern – bisher jedenfalls. Ab 2020/2021 wollen sich Airlines und andere Firmen der Branche aus zunächst einigen Dutzend Staaten an den Kosten des Abgas-Ausstoßes beteiligen. Schöne Rhetorik oder echtes Öko-Bekenntnis zur gerade laufenden Weltklimakonferenz in Marokko? Fragen und Antworten:
Zu welchen Klimaschutzleistungen hat sich die Luftfahrt verpflichtet?
Im Oktober einigten sich Vertreter fast aller UN-Mitgliedsländer bei der Versammlung der UN-Luftfahrt-Organisation ICAO in Montréal (Kanada) auf einen Mechanismus, nach dem Airlines künftig Lizenzen für den Ausstoß des Treibhausgases CO2 vorweisen müssten. Das ähnelt dem Handel mit sogenannten Emissionszertifikaten, den es bisher nur in der EU in umfassender Form gab. Die Idee ist, dass Verursacher von Verschmutzung „Rechte“ dafür kaufen müssen – damit der Anreiz wächst, weniger auszustoßen und in klimafreundliche Technik zu investieren.
„Der Luftverkehr ist damit der erste, bislang einzige Industriesektor weltweit mit einem eigenen Klimaabkommen“, erklärte der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL). Zuvor waren lange Verhandlungen nötig gewesen. Nach Angaben der EU-Kommission sind ab dem Jahr 2021 in einer ersten Stufe insgesamt 65 Staaten dabei.
Wie genau soll das neue System funktionieren?
Produzieren Fluglinien dann mehr Treibhausgase als zulässig, müssen sie die fehlenden Rechte dafür auf dem Markt kaufen und Geld in zertifizierte Klimaprojekte stecken. Die in Projekten eingesparten Emissionen können dann auch eigene Emissionen ausgleichen, die die Unternehmen selbst nicht reduzieren konnten – insgesamt wäre das Wachstum so CO2-neutral. Der BDL spricht von „Klimaschutzabgabe“. Mit Russland und Indien sträuben sich aber zwei wichtige Schwellenländer.
Warum ist ein solches Luftfahrt-Klimaabkommen überhaupt nötig?
Der CO2-Ausstoß in der weltweiten Luftfahrt nimmt stetig zu, obwohl die Flugzeuge immer effizienter werden. Der Grund: Das internationale Transportaufkommen wächst kontinuierlich – und zwar jährlich um etwa fünf Prozent. Der Anteil am gesamten CO2-Ausstoß liegt zurzeit bei etwa zwei Prozent, bis 2050 dürfte er sich Prognosen zufolge aber vervierfachen. China und die USA zählen zu den größten Emittenten.
Wie stehen die deutschen Airlines da?
2015 erzielten sie nach Branchenangaben mit 3,63 Litern Kerosin pro Person und 100 Kilometer eine neue Bestmarke. Seit 2009 haben sie ihren Treibstoffverbrauch pro Fluggast im Schnitt um 1,68 Prozent verringert, so der jüngste Klimaschutz-Report des BDL.
Gibt es Alternativen zum CO2 erzeugenden Kerosin?
Tüftler in aller Welt forschen am Flugzeug-Treibstoff der Zukunft. Von 2020 an soll der Weltluftverkehr nach Angaben der Biokraftstoff-Initiative der Deutschen Luftfahrt (Aireg) CO2-neutral wachsen. Dazu beitragen soll der Einsatz regenerativer Treibstoffe, die 2025 in Deutschland zu zehn Prozent beigemischt werden sollen. Diese müssten aber auch „zu marktfähigen Preisen angeboten“ werden können, betont der BDL. Dann sei es eventuell sogar möglich, die Netto-CO2-Last der Luftfahrt bis 2050 gegenüber 2005 zu halbieren.
Was tut die Branche auf technischer Seite noch?
Die Konzerne experimentieren auch mit neuartigen Antrieben. Siemens etwa plant die Entwicklung von Regionalfliegern mit Verbrennungs- und Elektroantrieb. Bis 2030 könnten die erste Maschinen mit bis zu 100 Passagieren und 1000 Kilometern Reichweite in der Luft sein. In der Debatte sind auch Emissionsgrenzwerte für Flugzeuge – wie bei Autos.
Und was sagen die Skeptiker?
Einigen Umweltschützern gehen die bestehenden Vorschläge nicht weit genug. Ein Punkt: Flugzeuge, die schon in Betrieb sind, sollen von den neuen Regeln ausgenommen sein. Heutige Modelle von Airbus oder Boeing mit sparsamen Triebwerken liegen nach Branchenangaben bereits innerhalb der geplanten Emissionsgrenzwerte. Das System der ICAO soll von 2021 bis 2026 zudem nur auf freiwilliger Basis laufen. Erst in der zweiten Phase (2027-2035) soll es für die Staaten bindend werden.
Auch diejenigen Gase, die den VW-Abgas-Skandal auslösten – Stickoxide (NOx) – werden in der Luftfahrt stärker ein Thema. Hier seien bessere Triebwerke ein zentraler Faktor, erklärte die Branche im Frühjahr.
Von Ralf E. Krüger und Jan Petermann, dpa