13.10.2016 Rund 300 Liter Tee trinken die Ostfriesen jährlich – elf Mal so viel wie der durchschnittliche Deutsche. Damit sind sie Weltmeister, noch vor der Teetrinker-Nation Großbritannien: Die Briten bringen es auf rund 200 Liter pro Kopf und Jahr. Ein Ortstermin im Teemuseum. Leer (dpa/tmn) – «Schauen Sie genau hin, was in den nächsten Sekunden […]

13.10.2016

Rund 300 Liter Tee trinken die Ostfriesen jährlich – elf Mal so viel wie der durchschnittliche Deutsche. Damit sind sie Weltmeister, noch vor der Teetrinker-Nation Großbritannien: Die Briten bringen es auf rund 200 Liter pro Kopf und Jahr. Ein Ortstermin im Teemuseum.

Leer (dpa/tmn) – «Schauen Sie genau hin, was in den nächsten Sekunden mit ihrem Tee passiert!» Celia Hübls Gäste blicken gebannt in die zierlichen Tassen, als die Ostfriesin ein wenig Sahne in den Assamtee gibt. Zunächst passiert – nichts. Also Abwarten und Teetrinken? Doch nur Sekunden später breitet sich die Sahne explosionsartig in dem bernsteinfarbenen Getränk aus. «Nun sehen wir die typischen Sahnewölkchen, auf Ostfriesisch auch Wulkje genannt», erklärt Hübl.

Die Kulturwissenschaftlerin Hübl leitet das Bünting Teemuseum in Leer und bringt Besuchern die ostfriesische Teekultur nahe. Jeden Dienstagnachmittag versammelt sich ein rundes Dutzend Gäste in dem historischen Haus zur traditionellen Teezeremonie, der Teetied.

Die Teezeremonie folgt stets festen Regeln in mehreren Schritten. Schritt 1: Die Teekanne wird mit heißem Wasser ausgespült und damit angewärmt. Pro Person wird ein Teelöffel Tee, etwa ein Gramm, in die Kanne gegeben. Ein zusätzliches Gramm gilt der Teekanne. Der Aufguss mit dem sprudelnd heißen Wasser soll die Blätter gerade bedecken. Schritt 2: Drei bis fünf Minuten muss der Tee ziehen, dann wird nachgegossen – so viel, wie Tassen Tee ausgeschenkt werden sollen. Schritt 3: Beim Einschenken kommt zuerst der helle Kluntje-Kandiszucker in die zierliche Tasse, dann folgt der heiße Tee. Beim Eingießen knistert das Kluntje geheimnisvoll. Schritt 4: Nun folgt die Sahne, die sich im Tee wölkchenartig ausbreitet und auf keinen Fall mit dem Löffel verrührt werden darf. «Nur so werden drei Geschmackserlebnisse erlebbar: Der erste Schluck ist mild und sahnig, der Zweite herb durch den Tee, und der Dritte zuckersüß durch das Kluntje», so Hübl.

Traditionell werden zur Teetied drei Tassen Tee getrunken, getreu dem ostfriesischen Spruch «Dree Koppkes Tee is Oostfresenrecht». Schritt 5: Zum Abschluss legen die Teetrinker den Löffel in die Tasse, ein stummes Zeichen für das Ende der Teetied.

Die Teezeit gilt zwischen Leer, Emden, Norden, Aurich und Wittmund als Bestandteil eigenständiger ostfriesischer Kultur. So ist die Teetied zu allen Jahreszeiten fest verankert im familiären Tagesablablauf, morgens zur Frühstückszeit, am späten Vormittag um 11.00 Uhr als sogenanntes Elführtje, in der zweiten Tageshälfte um 14.00, 16.00 sowie 18.30 Uhr zum Abendbrot – oft sogar zur Nacht um etwa 21.00 Uhr. Auch in Unternehmen, Verwaltungen und Handwerksbetrieben zählt die Teetied zum Arbeitsalltag: Tee statt Kaffee.

Teetied-Zeremonien für Besucher gibt es auch im Ostfriesischen Teemuseum Norden. Mittwochs und samstags führen dort Gerta Endelmann und weitere Museumshelferinnen Touristen in die Geheimnisse der Teekultur ein. Sie können dort sogar einen ostfriesischen Tee-Führerschein machen.

Seit dem 17. Jahrhundert wird in Ostfriesland Tee getrunken, erfahren die Besucher beim Rundgang durch die sehenswerte Ausstellung. Handelsschiffe der Niederländischen Ostindien-Kompanie (Vereenigde Oostindische Compagnie, kurz VOC) brachten im Jahr 1610 erstmals japanischen Tee über Java nach Amsterdam, von dort gelangte das anregende Getränk in den Landstrich zwischen Jadebusen und Dollart.

Rund um den Teegenuss entstanden in Ostfriesland Handwerksbetriebe: Zinngießer fertigten Teekessel, Metallbauer reich verzierte Stövchen. Porzellanmaler schmückten die dünnwandigen Teetassen sowie Kannen mit dem typischen Dekor der ostfriesischen Rose.

«Tee ist für Ostfriesen viel mehr als nur ein Getränk. Tee bedeutet ein Stück Heimat», sagt Museumsleiter Matthias Stenger. Plattdeutsch wie in Ostfriesland werde schließlich auch in anderen Regionen Deutschlands gesprochen, etwa in Westfalen oder in Nordfriesland. Die ausgeprägte Teekultur gebe es aber nur in diesem Landstrich. Der gebürtige Aschaffenburger ist Historiker, er arbeitete einige Jahre an Museen in Köln und meint: «Dem Teetrinken kann man sich hier nicht entziehen. Das ist wie in Köln mit dem Karneval und der Biersorte Kölsch.»

Bernd F. Meier, dpa

 

Info-Kasten: Ostfriesland

Reiseziel: Ostfriesland mit mehr als 450 000 Einwohnern ist die nordwestlichste Region Deutschlands mit den Hauptorten Aurich, Emden, Leer und Norden. Neben dem Festland zählen die Nordseeinseln Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog und Spiekeroog zu der Region.

Anreise: Mit dem Auto von Süden über die A 31 Oberhausen-Leer-Emden, von Osten über die A 28 Delmenhorst-Oldenburg-Leer und A 31 nach Emden. Mit der Bahn über Münster und Bremen nach Leer, Emden, Norden und Norddeich-Mole. Von dort Busverbindungen des Verkehrsverbundes Ems-Jade (VEJ). Zum Flughafen Bremen gibt es Verbindungen von Frankfurt/Main, München und Stuttgart.

Unterkünfte: Die Preise für eine Übernachtung pro Person liegen zwischen 25 und 70 Euro im Privatzimmer sowie 50 bis 130 Euro im Hotel.

Informationen: Ostfriesland Tourismus, Ledastraße 10, 26789 Leer, (Tel.: 0491/91 96 96 60, E-Mail: urlaub@ostfriesland.de, www.ostfriesland.de).