Bombe an Bord? Rätsel um den Absturz des russischen Ferienfliegers Von Wolfgang Jung und Teresa Dapp, dpa
Großbritannien vermutet einen Terrorakt hinter der Katastrophe der russischen Passagiermaschine in Ägypten – doch bewiesen ist nichts. Wäre ein Anschlag ein Problem für Präsident Wladimir Putin, den ein US-Magazin gerade zum «mächtigsten Mann der Welt» gekürt hat? London/Moskau (dpa) – Tausende Urlauber sitzen in Ägypten fest, weil die britische Regierung nach dem Absturz einer russischen […]
Großbritannien vermutet einen Terrorakt hinter der Katastrophe der russischen Passagiermaschine in Ägypten – doch bewiesen ist nichts. Wäre ein Anschlag ein Problem für Präsident Wladimir Putin, den ein US-Magazin gerade zum «mächtigsten Mann der Welt» gekürt hat?
London/Moskau (dpa) – Tausende Urlauber sitzen in Ägypten fest, weil die britische Regierung nach dem Absturz einer russischen Passagiermaschine einen Anschlag für wahrscheinlich hält. Moskau und Kairo warnen vor voreiligen Schlüssen. Aber auch der Kreml schließt eine Bombe an Bord von Flug KGL 9268 nicht aus. Fragen und Antworten zum schwersten Unglück in der russischen Luftfahrtgeschichte:
Wie verhält sich der Kreml zu Spekulationen über eine Bombe?
Demonstrativ betont Kremlsprecher Dmitri Peskow, dass Präsident Wladimir Putin «vom Anschlag bis zum Unfall» keine mögliche Ursache ausschließe. Von Putin, der sich gerne als «Mann der Tat» zeigt, kamen zunächst überraschend wenige Reaktionen auf den Absturz. Er sprach zwar in einer Mitteilung den Hinterbliebenen der 224 Opfer Trost zu. Aber erst nach Tagen zeigte er sich im Staatsfernsehen, wie er sich über die Bergungsarbeiten in Ägypten informierte. Die kremlkritische Zeitung «Nowaja Gaseta» meint, Putin wirke wie ein «Getriebener». Zwar habe das US-Magazin «Forbes» den Präsidenten just zum «mächtigsten Mann der Welt» gekürt. Im Unterschied zu den Krisen in der Ukraine und in Syrien vermittele Putin aber seit dem Absturz nicht das Gefühl, der Bürger brauche sich nicht zu sorgen.
Was würde ein Attentat für den Kreml bedeuten?
Damit würden sich Warnungen vor einem Anschlag auf tragische Weise bewahrheiten. Denn seit Russland Ziele in Syrien bombardiert, fürchten Experten einen Vergeltungsschlag von Extremisten gegen Moskau. In Umfragen ist die Skepsis der Bevölkerung gegenüber dem Einsatz für Moskaus engen Partner Baschar al-Assad ganz deutlich. Für viele ist Syrien nur ein sehr weit entferntes Land, das kein Risiko lohnt. Die Angst ist spürbar, Islamisten könnten den Terror nach Russland tragen. Der Kreml hatte angekündigt, die Sicherheitsorgane würden dies nicht zulassen. Ein Anschlag würde von Gegnern des Syrien-Einsatzes wohl als sicherheitspolitische Schlappe gewertet.
Wie reagiert die russische Tourismusbranche?
Das schwerste Unglück in der russischen Luftfahrtgeschichte sendet Schockwellen aus. Nachfragen für einen Urlaub am Roten Meer seien in den vergangenen Tagen deutlich zurückgegangen, sagt Oleg Safonow vom Tourismusverband in Moskau. Bereits gebuchte Reisen würden massenhaft storniert. Zahlen nennt er nicht, sie dürften aber erheblich sein. Mit drei Millionen Urlaubern stellte Russland 2014 die größte ausländische Gruppe in Ägypten. Das Luftfahrtamt in Moskau will Flüge etwa nach Scharm el Scheich vorerst nicht untersagen. «Wir fliegen ohne Veränderungen», sagt Sprecher Sergej Iswolski. Das Amt folgt damit nicht dem Beispiel westeuropäischer Fluggesellschaften.
Was vermuten die Briten – und auf welcher Grundlage?
Er sei sich nicht sicher, betont Premier David Cameron – aber: Es sehe «mit zunehmender Wahrscheinlichkeit» aus, als habe der abgestürzte Airbus A321 eine Bombe an Bord gehabt. Unklar ist, woher er diese Information nimmt – aus der offiziellen Untersuchung in Ägypten stammt sie nicht. Es lägen Erkenntnisse von Geheimdiensten vor, sagt die Regierung in London. Und über diese Erkenntnisse könne sie «natürlich» nicht sprechen. Außenminister Philip Hammond erwähnt auch die jüngsten Statements des Islamischen Staates auf dem Sinai, in denen die Terroristen die Tat für sich beanspruchen. Auch das sei in die Überlegungen eingeflossen, sagt Hammond.
Was sagen die Ägypter dazu?
Wenn ausländische Besucher fernbleiben, ist das für die ägyptische Wirtschaft eine Katastrophe. Das Land am Nil lebt zum großen Teil vom Tourismus. Entsprechend beeilte sich der ägyptische Außenminister Samih Schukri, die Sorge vor Terror «vorzeitig und ungerechtfertigt» zu nennen. Man müsse die Ergebnisse der Untersuchung abwarten.
Wie ist die Stimmung in der russischen Bevölkerung?
Es herrscht große Trauer. Die Passagiere im Ferienflieger der sibirischen Firma Kolavia wollten bei dem Pauschalurlaub etwas Sonne tanken, bevor der traditionell grimmige Winter in Russland Einzug hält. Unter den Passagieren waren mehr als zehn Ehepaare mit Kindern, eins davon erst zehn Monate alt. Tausende gedachten am Wochenende vor dem berühmten Winterpalast in St. Petersburg mit Kerzen der Opfer. Im Flughafen der nordrussischen Millionenstadt, wo die Reisenden ankommen sollten, türmen sich Nelken als Zeichen des Mitgefühls. Dort soll künftig ein Denkmal an die Opfer von Flug KGL 9268 erinnern.