San Sebastián de La Gomera, 11. September 2018 Die urwüchsige Vulkaninsel La Gomera hat zwar kaum nennenswerte Strände, ist aber das schönste Ziel für Wanderer auf den Kanarischen Inseln. Ein Wald ist besonders spektakulär. Und dann sind hin und wieder ungewöhnliche Pfiffe zu hören. «Da haben wir noch ein ziemliches Stück vor uns», sagt Julien […]

San Sebastián de La Gomera, 11. September 2018

Die urwüchsige Vulkaninsel La Gomera hat zwar kaum nennenswerte Strände, ist aber das schönste Ziel für Wanderer auf den Kanarischen Inseln. Ein Wald ist besonders spektakulär. Und dann sind hin und wieder ungewöhnliche Pfiffe zu hören.

«Da haben wir noch ein ziemliches Stück vor uns», sagt Julien Gsell. Der Franzose zeigt seiner Frau Claire auf der Wanderkarte den noch verbleibenden Teil des heutigen Tagesmarsches. Eigentlich sind es nicht mehr viele Kilometer. Doch La Gomera ist zwar klein, aber von tiefen Schluchten und Tälern durchzogen. Das junge Ehepaar aus dem französischen Metz ist auf dem Weitwanderweg GR 131 unterwegs, der quer über die spanische Kanareninsel verläuft, von San Sebastián im Südosten bis nach Vallehermoso im äußersten Norden.

Beide arbeiten bei der Feuerwehr, haben eine gute Kondition. Die brauchen sie. Fast täglich sind auf dem 43,5 Kilometer langen Wanderweg bis zu 1500 Höhenmeter zu bewältigen. Julien und Clair zelten im Freien und haben deshalb relativ viel Gepäck dabei. «Wir planen mindestens drei Tage ein», sagt er.

Insgesamt ist das wanderbegeisterte Pärchen fast zwei Wochen auf La Gomera. Welche Routen sie danach wandern wollen? «Keine Ahnung. Es ist unglaublich, wie viele Wanderwege es auf einer so kleinen Insel gibt», sagt Julien. Vielleicht nehmen sie noch den zweiten Weitwanderweg mit, den GR 132. Er führt einmal rund um die Vulkan-Insel, meist in Küstennähe. Erst 2015 wurde die 130 Kilometer lange Route ausgebaut. Neun Tage braucht man.

Ende der Verschnaufpause. Claire und Julien setzen sich am Igualero-Aussichtspunkt wieder ihre Rucksäcke auf und ziehen weiter. Von hier oben überblicken sie fast die gesamte Tagestour, die noch vor ihnen liegt. Markant sticht der 1241 Meter hohe Tafelberg La Fortaleza aus der Landschaft. Das Felsmassiv mit seinen 500 Meter hohen Steilwänden war für die Ureinwohner ein heiliger Berg. Argoday, der Mächtige. Auf seinem schwer zugänglichen Gipfelplateau führten die Guanchen nicht nur Opferrituale durch, dorthin zogen sich auch vor den Spaniern zurück, die im 15. Jahrhundert die Insel eroberten. Vielleicht nannten die Konquistadoren den Berg deshalb auch «die Festung»?

Die Festung zu erklimmen, ist bei Wanderern und vor allem Kletterern sehr beliebt. Doch heute geht es über die Hochebene auf dem GR 131 weiter ins Valle Gran Rey, ins Tal des Großen Königs. Wildkräuter, Wiesen, Terrassenfelder, Kakteen und Agaven säumen den Weg. Durch Schluchten und Täler geht es auf Felstreppen und wieder hinab. Doch bevor der Weg in Las Hayas im Nebelwald verschwindet, steht ein Halt im wohl bekanntesten Restaurant der Insel an. «La Montaña – Casa Efigenia» bietet eine Art Zeitreise in die Geschichte und Kultur der Insel. Hausherrin Efigenia erzählt ihren Gästen von heilenden Kräutern, den ersten Touristen aus Deutschland, alten Bräuchen und natürlich von der gastronomischen Kultur. Sie selbst sei seit «vielen, vielen Jahren 75 Jahre alt».

Bei Efigenia gibt es seit mehr als 50 Jahren ein Standardmenü. Es ist vegetarisch und genießt inselweit Kultstatus. Vorspeise: der für Gomera typische Almogrote, ein mit Olivenöl, Paprika, Tomaten und Knoblauch vermischter Ziegenkäse. Hauptgericht: Der traditionelle Puchero-Eintopf mit Gemüse aus dem eigenen Garten. Dazu Gofio-Brei, geräuchertes Maismehl. «Der gibt viel Kraft für die Wanderung», verspricht Efigenia.

Stolz zeigt Efigenia Besuchern ihren Garten. Aus den Kaktusfeigen, Mangos, Aprikosen, Orangen und Papayas macht sie Marmeladen, die sie verkauft. Man würde dieser herzlichen alten Dame einfach gerne alles abkaufen. Aber der Weg bis zum Strand im Valle Gran Rey ist noch lang und anstrengend. Direkt hinter der kleinen Dorfkapelle taucht man auf dem GR 131 in den Nebelwald ein. Ein immergrüner, subtropischer Feuchtwald, der im Spanischen als «Laurisilva» bezeichnet wird, als Lorbeerwald. Nach wenigen Metern wird es schattig und kühl. Vogelgezwitscher überall.

Hier zwischen Las Hayas und Las Creces befindet sich der Wanderer am äußersten Rand des Garajonay-Nationalparks, der rund zehn Prozent der gesamten Insel einnimmt – der größte zusammenhängende Lorbeerwald Europas und seit 1986 Weltnaturerbe der Unesco. Die Organisation hat die gesamte Insel 2012 sogar zum Biosphärenreservat erklärt. Der Nebelwald, durch den Wanderwege führen, ist noch einmal besonders. Solche Vegetation dominierte vor 30 Millionen vor allem das südliche Europa, wegen des Klimawandels verschwand sie. «Nur noch hier, auf den Azoren und auf Madeira ist dieser prähistorische Wald zu finden», sagt Nationalpark-Direktor Ángel Fernández López.

Neben Lorbeerbäumen wachsen im Park rund 20 verschiedene Baumarten. Baumheiden, buchenartige Gagelbäume, Stechpalmen. Fast 150 endemische Tierarten sind hier heimisch. Seltene Fledermäuse, Buchfinken, Lorbeertauben. In dieser Urzeitkulisse vermutet der Wanderer hinter jedem knorrigen Baumstamm Feen, Elfen und Kobolde. Hüfthohe Farne und Heidekrautgewächse säumen die Pfade. Bartflechten und Moose saugen die Feuchtigkeit der Nebelschwaden auf, die der Nordostpassat hier entlädt. Besonders beeindruckend ist dieser immergrüne Dschungel bei Raso de la Bruma.

Wer konditionell fit ist, sollte unbedingt den fast neunstündigen Rundweg wählen, der die Höhepunkte des Nationalparks verbindet. Ein Muss ist die Besteigung des Alto de Garajonay, mit 1487 Metern der höchste Punkt der Insel. Der Blick von oben fällt auf El Hierro, La Palma und Teneriffa mit seinem gewaltigen Teide.

Weiter in Richtung Valle Gran Rey, vom GR 131 auf die Route 5. Der Wald endet plötzlich. So abrupt wie das Klima wechselt, ändert sich auch die Landschaft. Der Weg führt nun durch Blumenwiesen, vorbei an Weinterrassen und Palmenlandschaften nach Arure.

Kurz dahinter öffnet sich die Hochebene von La Mérica, durchzogen von Felsen und voller Drachenbäume. Viele Wanderer wählen im oberen Talbereich die zweistündige Wasserfall-Tour, eine der beliebtesten Ausflüge der Insel. Steil geht es über 900 Höhenmeter hinab ins Tal des Großen Königs. Lavagestein, Erosionslandschaften, terrassierte Hänge. Eidechsen huschen über den Pfad. Der serpentinenähnliche Steinweg in die tiefe Schlucht geht in die Knie. Doch die Aussichten ins zerklüftete Tal und auf den blauen Atlantik sind es wert. Sie machen auch klar, warum auf La Gomera eine einzigartige Pfeifsprache – «El Silbo» – entstanden ist, die 2011 von der Unesco zum Immateriellen Kulturerbe ernannt wurde.

«Noch bis in die siebziger Jahre haben sich vor allem die Hirten in den Bergen von Schlucht zu Schlucht mit der Pfeifsprache verständigt», sagt Estefanía Venus Mendoza Barrera. «Früher diente die Sprache auch als Warnsystem vor Piratenangriffen. Sie stammt noch von den Ureinwohnern, den Guanchen», erklärt die sogenannte Meisterpfeiferin, die das Kulturgut pflegt. «Seit einigen Jahren wird die Pfeifsprache auch wieder obligatorisch in der Schule unterrichtet, damit sie nicht ausstirbt», erklärt sie. Als Wanderer in den Bergen kann man gelegentlich noch die gepfiffenen Gespräche der Einwohner mithören – auch wenn man nichts versteht.

Mit nur 20 Kilometern Durchmesser ist La Gomera nach El Hierro die zweitkleinste Insel der Kanaren. Wegen der tief eingeschnittenen Schluchten und der steil abfallenden Küste sind viele Teile La Gomeras aber nur zu Fuß zu erreichen. Das Netz alter Hirtenpfade und Dorfverbindungen ist gefühlt unendlich.

Die schönsten Wanderungen mit Küstenblick liegen im wilden, grünen Nordwesten, wo beispielsweise ein Rundweg in Vallehermoso lockt. Zunächst geht es durch Bananenplantagen zum gleichnamigen Strand und von hier steil hinauf zum Teselinde-Massiv und Cumbre de Chijeré mit Ausblicken zur Nordwestspitze der Insel.

Wer schwindelfrei und trittsicher ist, sollte von Agulo, dem wohl schönsten Dorf La Gomeras, den steil emporsteigenden Steinweg zum Aussichtspunkt Abrante nehmen. An heißen Tag locken in den kühlen Hochlagen die Wege zwischen Pajarito und El Cedro, die durch verwunschene Kiefer- und Lorbeerwälder führen. Auch Rundwege um mystisch anmutende Felsformationen wie Los Roques oder Roque de Agando im Naturreservat Benchijigua lohnen sich. Zwei Wochen sind Claire und Julien unterwegs – fast schon zu kurz.

Info-Kasten: La Gomera

Klima: Ganzjährig gute Wetterbedienungen zum Wandern. Die beste Zeit ist April bis Juni und September bis November.

Anreise: Verschiedene Airlines wie Iberia oder Lufthansa fliegen von Deutschland nach Teneriffa. Von hier geht es mit der Fähre (www.fredolsen.es, www.navieraarmas.com) oder per Inlandsflug (www.bintercanarias.com) nach La Gomera weiter.

Wandern: Hervorragend ausgebautes Wanderwegnetz von fast 600 Kilometern, das man problemlos auf eigene Faust erkunden kann. Verschiedene Unternehmen bieten aber auch geführte Touren.

Informationen: Fremdenverkehrsamt La Gomera, Calle Real 32, 38800 San Sebastián de La Gomera (Tel: 0034/922 141 512, www.lagomera.travel).

Manuel Meyer, dpa