30.07.2014 Kourou – Für rund drei Minuten ist der Abschiedsschmerz vergessen. Ein riesiger orangegelber Feuerschein erhellt den nächtlichen Tropenhimmel, ein dumpfes Grollen wird zu furchterregendem Dröhnen. Wenig später bebt selbst in sechs Kilometern Entfernung von der Abschussbasis der Dschungel-Boden. Begleitet von Jubelrufen startet die Ariane-5-Rakete mit dem letzten europäischen Raumtransporter in Richtung Internationale Raumstation ISS. […]

30.07.2014

Kourou – Für rund drei Minuten ist der Abschiedsschmerz vergessen. Ein riesiger orangegelber Feuerschein erhellt den nächtlichen Tropenhimmel, ein dumpfes Grollen wird zu furchterregendem Dröhnen. Wenig später bebt selbst in sechs Kilometern Entfernung von der Abschussbasis der Dschungel-Boden. Begleitet von Jubelrufen startet die Ariane-5-Rakete mit dem letzten europäischen Raumtransporter in Richtung Internationale Raumstation ISS.

Ein wichtiger Start vom Weltraumbahnhof Kourou in Südamerika ist geglückt: Der deutsche Esa-Astronaut Alexander Gerst und seine fünf Kollegen werden in knapp zwei Wochen frische Lebensmittel, neue Experimente sowie Nachschub an Treibstoff, Wasser und Atemluft in Empfang nehmen können.

Doch bei vielen Zuschauern kommt in der Nacht zum Mittwoch schnell wieder Wehmut auf. Künftig werden nur noch US-amerikanische, russische oder japanische Transporter zur ISS fliegen – obwohl das europäische Versorgungsschiff ATV (Automated Transfer Vehicle) als das modernste, leistungsstärkste und eleganteste von allen gilt.

«Für uns war das ATV ein wichtiges Bauteil europäischer Raumfahrtpolitik», kommentiert der Chef des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), Johann-Dietrich Wörner. Wie die große Mehrheit in der Branche hätte es der 60-Jährige gerne gesehen, wenn das Programm fortgesetzt worden wäre. Unter anderem Frankreich wollte aber nicht länger Geld für die von Airbus Defense and Space in Bremen gebauten Transporter geben. Damit ist das fast drei Milliarden teure Projekt nach fünf Starts bereits wieder Geschichte.

Das eingestellte ATV-Programm ist allerdings bei weitem nicht das einzige Zeichen für die aktuelle Uneinigkeit unter den in der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) zusammengeschlossenen Staaten. Seit Monaten gibt es vor allem zwischen den Hauptgeldgebern Deutschland und Frankreich Streit darüber, mit was für einer Art von Trägerraketen künftig ein wettbewerbsfähiger Zugang zum All gesichert werden soll. Welcher Antrieb? Welche Größe? Nicht einmal auf ein Grundkonzept für die Nachfolgerin der Ariane 5 konnten sich die beiden großen Partner bislang einigen.

Zweites großes Thema ist die Finanzierung des europäischen Teils der ISS. Bereits bei den bislang letzten Verhandlungen in Neapel im Jahr 2012 gaben die Mitgliedstaaten laut Esa knapp 180 Millionen Euro weniger als eigentlich benötigt wurde. Wenige Monate vor der nächsten entscheidenden Esa-Ministerratskonferenz Anfang Dezember droht nun ein ähnliches Szenario.

Eine weitere massive Sparrunde wäre nach Einschätzung der Organisation kaum verkraftbar. «Irgendwann steht man wirklich mit dem Rücken zur Wand», sagt der Esa-Direktor für bemannte Raumfahrt, Thomas Reiter. Im schlimmsten Fall werde das europäische ISS-Programm nicht wie vorgesehen bis 2020 fortgeführt werden können.

Ein noch heikleres Thema ist vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts die Zusammenarbeit mit Russland. Bislang läuft zumindest beim Betrieb der Raumstation alles ohne Beeinträchtigung. Ganz ausschließen will allerdings kaum jemand mehr, dass weitere Sanktionen gegen Moskau daran vielleicht etwas ändern könnten.

«Klar, das ist alles eine Frage der verschiedenen Eskalationsstufen. Irgendwann könnte es an eine Schwelle kommen, wo man sagt, jetzt ist auch die Zusammenarbeit bei der Forschung und bemannten Raumfahrt betroffen», sagt der frühere Astronaut Reiter. Darüber werde selbstverständlich auch mit den russischen Kollegen geredet. «Es ist jeder besorgt, dass es soweit kommt, nachdem man so viele Jahre zusammengearbeitet hat.»

Große Hoffnungen ruhen in den schwierigen Zeiten auf der Zusammenarbeit mit der Nasa beim Raumschiff-Projekt «Orion». Die Europäer werden auf Basis der ATV-Technik ein Servicemodul für das erste unbemannte MPCV (Multi-Purpose Crew Vehicle) bauen, das bereits Ende 2017 zu einem Flug ins All starten könnte. Später könnten weitere bemannte Missionen mit dem Mehrzweck-Mannschaftsfahrzeug folgen – beispielsweise zum Mond.

Bart Reijnen, Standortleiter von Airbus Defense and Space in Bremen, sieht den Abschied vom ATV vor diesem Hintergrund pragmatisch. «Klar, dieses Programm alleine kann das ATV vom Umfang her nicht kompensieren. Wir sind aber sehr froh über die neue Entwicklungsaufgabe», sagt der Niederländer. «Wenn wir über den Mond oder sogar den Mars reden, dann sind das Themen, die man international zusammen angeht. Das beste Beispiel ist die ISS.» (dpa)