06.07.2015 Der Staatskonzern Deutsche Bahn will moderner werden. Um mehr Kreativität in den eigenen Reihen zu wecken, hat das Unternehmen kleine Einheiten nach Start-up-Vorbild gegründet. Kann das gut gehen? Frankfurt/Main (dpa) – Wenn Kerstin Hartmann mit der Bahn fährt, sucht sie nach «Begeisterungsfaktoren» und «Schmerzpunkten». Die 40-Jährige will schon aus beruflichen Gründen herausfinden, was Bahnkunden […]

06.07.2015

Der Staatskonzern Deutsche Bahn will moderner werden. Um mehr Kreativität in den eigenen Reihen zu wecken, hat das Unternehmen kleine Einheiten nach Start-up-Vorbild gegründet. Kann das gut gehen?

Frankfurt/Main (dpa) – Wenn Kerstin Hartmann mit der Bahn fährt, sucht sie nach «Begeisterungsfaktoren» und «Schmerzpunkten». Die 40-Jährige will schon aus beruflichen Gründen herausfinden, was Bahnkunden besonders gut finden und was ihnen am meisten Ärger bereitet. Seit drei Monaten leitet Hartmann in Frankfurt das Zukunftslabor «d.lab» der Deutschen Bahn für den Personenverkehr – eine kleine ausgelagerte Kreativeinheit, in der die Produkte der Bahn aus Kundenperspektive neu gedacht und verbessert werden sollen.

Der Weg zur Zukunft der Bahn, auch «Mobility 4.0» genannt, führt zunächst einmal vorbei an Bordellen, schmierigen Pinten und Fixerstuben im Frankfurter Bahnhofsviertel. In einem aufwendig sanierten Gründerzeitbau in der Elbestraße haben die Bahn-Kreativen zwei üppige Etagen mit zusammen fast 1000 Quadratmetern Fläche möglichst Start-up-mäßig eingerichtet.

Kinositze in der einen, WG-Küche in der anderen Ecke, in den Regalen wartet Kreativ-Material vom Lego über bunte Pappen bis zum Bällchenbad auf gute Ideen. Der unvermeidliche Tischkicker und eine Tischtennisplatte fehlen ebenso wenig wie eine Vielzahl mobiler Computer.

In Frankfurt schlägt das operative Herz des Bahn-Konzerns, vor allem des Personenverkehrs. Die «Laufnähe zum Kerngeschäft» habe dazu geführt, das Zukunftslabor am Main und nicht etwa beim Konzernvorstand in Berlin einzurichten, erklärt Hartmann, die selbst eigentlich an der Spree wohnt.

Schließlich sollen Praktiker aus allen Bereichen in dem Labor ihre Ideen einbringen, kurze Wege sind dafür durchaus praktisch. Auch für Veranstaltungen von außen sei man offen, versichert die Chefin.

Die Bahn will hip werden – dafür ist im vergangenen Jahr sogar eine Delegation ins kalifornische Silicon Valley aufgebrochen. Bei Apple, Google und Co. haben die Bahner drei Mega-Trends identifiziert, die Mobilität in Zukunft bestimmen werden: autonome Fahrsysteme, Niedrigpreis- und Sharingangebote auch für Fernreisen sowie die noch stärkere Rolle digitaler Geräte im gesamten Reiseprozess.

Leitsprüche aus dem Valley dürfen in den Kreativ-Räumen natürlich nicht fehlen. Ganz vorn steht die Aufforderung von Steve Jobs an seine Apple-Mannschaft: «Stay hungry – stay foolish». Hungrig und verrückt soll im «d.lab» zunächst einmal eine Kernmannschaft von zehn Leuten bleiben, noch einmal zehn weitere Kreative schwirren drumrum.

Ein weiterer Leitspruch lautet: «Fail fast» – brich schnell ab, wenn eine Idee nicht trägt. Umständliche, langwierige und vor allem teure Planungsprozesse im Großkonzern Bahn sollen so vermieden werden. Mögliche Ansatzpunkte für neue Ideen sind die «Begeisterungsfaktoren» wie vielleicht ein sehr guter Service in der DB Lounge oder die möglichen «Schmerzpunkte», wie zum Beispiel die Zug-Toilette.

Ein erstes, gelungenes Vorzeigeprojekt aus dem Zukunftslabor kann IT-Spezialist Peter Bettinga vorweisen, der mit ein paar Leuten in nur wenigen Wochen etwas möglich gemacht hat, was es bei der Deutschen Bahn bislang eigentlich nicht gab: digitalisierte Platzreservierungen im Nahverkehr.

Stammkunden des neuen Regionalnetzes im Südwesten (Süwex) können sich über ihr Smartphone unkompliziert einen Sitzplatz sichern. Die mobile Webpage dafür ist aber nicht an das europaweite Reservierungssystem der DB angeschlossen. «Das wäre viel zu kompliziert gewesen. Wir haben uns daher für eine kleine, schnell umzusetzende Lösung entschieden.»

Aber wie schnell kann sich ein Konzern neu erfinden, der teilweise noch mit Stellwerkstechnik aus der Kaiserzeit arbeitet und es über Jahre nicht geschafft hat, seinen Kunden ein kostenfreies und störungsfreies WLAN anzubieten? «Wir können hier nicht die ganze Welt retten», sagt Hartmann und zuckt leicht mit den Schultern.

Über die notwendigen Milliarden-Investitionen wird an anderen Orten entschieden. Aber ein paar gute Produktideen wollen die Frankfurter Laboranten schon beitragen.

Christian Ebner, dpa