Zum Texas Two-Step nach Austin: Die US-Metropole hat reichlich Rhythmus und ihren ganz eigenen Charme. Welche Magie die Musik hier entfaltet, zeigt sich in Kneipen, Bars und auf den Straßen. Besucher bringen am besten ein Paar Cowboystiefel mit. Austin (dpa/tmn) – Cowboystiefel eignen sich nicht nur für die Arbeit mit Kühen, sondern auch für den […]

Zum Texas Two-Step nach Austin: Die US-Metropole hat reichlich Rhythmus und ihren ganz eigenen Charme. Welche Magie die Musik hier entfaltet, zeigt sich in Kneipen, Bars und auf den Straßen. Besucher bringen am besten ein Paar Cowboystiefel mit.

Austin (dpa/tmn) – Cowboystiefel eignen sich nicht nur für die Arbeit mit Kühen, sondern auch für den Texas Two-Step. Zum Beispiel im «White Horse» in Austins East End, wo das Gedränge auf der Tanzfläche groß ist und die Country-Musik live und laut – mit Fiedel, Gitarre und Kontrabass. Honky-Tonk nennt man beides, den Musikstil und diese Art Kneipe. Der Laden brummt. Whiskey fließt vom Fass.

Ein schlaksiger, junger Mann brüllt gegen die Musik an und bittet zum Tanz, «super easy» sei das! Er trägt ein grelles Batikhemd und die Haare lang unter dem breitkrempigen Hut. Das Publikum im «White Horse» bildet einen bunten Mikrokosmos: Möchtegern-Cowboys und echte Rancher, Yuppie-Mädel mit High Heels, tätowierte Rocker, Studenten in Strickpullis und flotte Senioren, die Hipster-Jungspunten so manchen Two-Step-Trick voraushaben.

Austin tanzt aus der Reihe. Die Hauptstadt des zweitgrößten US-Bundesstaates passt so gar nicht ins Texas-Klischee. Mehr als zwei Millionen Menschen wohnen im Großraum der liberalen Enklave, während das Hinterland konservativ denkt. So polarisiert die USA derzeit scheinen, in Austin vertragen sich die Menschen gut. Die Stadt im hügeligen Hill Country, an vier künstlichen Seen gelegen, gehört zu den am schnellsten wachsenden Metropolen des Landes. Und sie ist auf jeden Fall eine Reise wert, nicht nur für USA-Kenner, die schon viel vom Land gesehen haben.

Willie Nelson zog 1972 nach Austin. Den heute 85-jährigen Country-Sänger mit den langen Flechtzöpfen kennen in Europa nicht viele. «Bei uns ist er sowas wie ein Gott», sagt Andrew Kobren. Dieser Analogie folgend, wäre die Musikhalle Austin City Limits (ACL) der Himmel.

Kobren – ein Freizeitmusiker mit Kappe und Dreitagebart – führt durch den Komplex. Für die heimische Musikszene habe der klotzige Kastenbau im schicken Downtown-Geschäftsviertel 2nd Street Kultstatus, sagt er. Das ACL hat Austins Image als selbsternannte «Welthauptstadt der Live-Musik» gefördert und landesweit verbreitet. Mehr als 100 Konzerte finden jedes Jahr hier statt. Für lokale Musiker ist ein Auftritt oft das Sprungbrett auf die nationale Bühne. Mehrmals monatlich wird aus dem Konzertsaal eine preisgekrönte Live-Musik-Sendung übertragen. 1974 wurde die erste Folge aufgenommen, damals noch auf dem Campus der Universität. Stargast war Willie Nelson.

Zu den Hochzeiten von Hippie-Bewegung und Vietnam-Protesten waren der Songwriter und viele Kollegen genervt vom Establishment. Sie hatten die kommerziellen Musikzentren New York, Los Angeles und Nashville satt. Viele packten die Koffer und gingen nach Austin.

Studenten – heute sind es rund 51 000 – hatten damals frischen Wind ins alte Hill Country gewirbelt. Aber die Musiktraditionen blieben fest im Honky-Tonk verwurzelt. Newcomer wie Nelson bauten auf dem Fundament auf und brachten neue Einflüsse mit.

Auch die berühmte Sängerin Janis Joplin studierte 1962 in Austin. Neuzugänge wie sie entwickelten die Country- und Folk-Musik ab den frühen 1960er Jahren zu einer kraftvollen Ausdrucksform der Gegenkultur weiter. Das bedeutete damals auch mit bewusstseinserweiternden Drogen zu experimentieren – was nicht nur den Psychedelic Rock inspirierte, sondern auch das soziale Gefüge veränderte. Das Ergebnis waren Austins Cosmic Cowboys. Diese Country-Musiker verschmolzen regionale Konventionen mit progressiven Strömungen zu originellen neuen Trends wie Outlaw Country – sozialkritische Westernmusik mit Rebellenanspruch.

Johnny Cash ist ein Beispiel, Willie Nelson ebenso. Weil Musik verbindet, verwischten bisweilen Abgrenzungen zwischen Rednecks und Beatniks – siehe Nelson: Vor dem ACL steht eine überlebensgroße Bronzestatue des Outlaw-Oldies mit Bandana-Kopftuch, Westernstiefeln und entrücktem Blick. Ein Hippie-Cowboy oder Cowboy-Hippie?

Die Musikgeschichte prägt Austins urbane Kultur. Besucher der Stadt sollten diesen Hintergrund kennen, findet Warren Hood, selbst Sänger und Songwriter. Hood beschreibt die Szene als ein Ökosystem von Bands, Fans und Veranstaltungsorten. Live-Musik erklingt nicht nur auf vielen Festivals, sondern auch an Straßenecken, in Supermärkten, Kirchen, Parks und auf Ratsversammlungen.

Es sind vor allem die kleinen Bühnen in mehr als 250 Kneipen, Cafés, Restaurants und Bars, mit denen das Gastgewerbe die Tausenden Bands in dieser Stadt unterstützt, wie Hood erklärt. Der Mittdreißiger spielt wie viele Musikerkollegen in mehreren Formationen und kann damit den Unterhalt für seine junge Familie gut bestreiten. Ein loyales Publikum sorge wiederum für gute Umsätze in der Gastronomie. In dieser Symbiose ist eine lebendige Musikszene gewachsen.

Der Straßenplan Austins sieht fast aus wie ein Schachbrett. Durch das Karomuster windet sich der zum Lady Bird Lake aufgestaute und von Rad- und Spazierwegen gesäumte Colorado River, der mit dem gleichnamigen Fluss im Grand Canyon nichts zu tun. Austin ist in Nachbarschaften gegliedert, jede mit eigenem Flair. Die Innenstadtteile Red River District und Sixth Street mit zweistöckigen Backsteinhäusern und bunter Leuchtreklame gelten als Epizentrum der Live-Musik.

Vom Säulenbalkon des altehrwürdigen Hotels «Driskill», 1886 von Rinderbaron Jesse Driskill erbaut, kann man den Trubel gut überblicken. Am Wochenende ist die Partymeile blockweise für Autos gesperrt. Hunderte junger Leute und Studenten sind dann außer Rand und Band. Live-Bands spielen in offenen Schaufenstern. Der Kneipenbummel wird zur Freiluft-Party. Selbst auf dem Gehsteig wird gerockt, teils auf Mülltonnen getrommelt.

Für Blues-Fans liegt die beste Adresse gleich um die Ecke: In «Antone’s Nightclub» trat 1975 der legendäre Gitarrist Stevie Ray Vaughan ein paar Mal wöchentlich auf. Handgemachten Jazz gibt es ein paar Schritte weiter, die enge Kellertreppe zum schummrigen «Elephant Room» herunter, wo Dollarscheine an die Wände getackert sind.

Austin ist fußgängerfreundlich. Über die Congress Avenue Bridge geht es zum South Austin District. Von Mai bis September nisten eineinhalb Millionen mexikanische Bulldogg-Fledermäuse in engen Hohlräumen unter der Brücke. Oben warten dann Dutzende Menschen am Geländer. Auf dem Wasser lauern Ausflugsboote. Gleich geht die Sonne unter. Mit etwas Glück werden die Flattertiere wie eine lebendige Sturmwolke gleichzeitig zur Futtersuche ausschwärmen.

Heute nicht. Dafür gibt es einen schönen Blick auf die Skyline mit viel Glas und Stahl. Seit 2000 herrscht ein Wolkenkratzer-Bauboom, speziell in West Austin, wo der Rekordhalter The Austonian 208 Meter in die Höhe ragt. High-Tech-Firmen schlagen vermehrt ihr Hauptquartier in den «Silicon Hills» auf, eine Anlehnung an das berühmte Silicon Valley.

Austin wird attraktiver, aber auch teurer. Lokale Künstler fürchten langfristig aus der Stadt verdrängt zu werden. «Keep Austin weird» (Lasst Austin schräg) lautet darum der Appell örtliche Unternehmen zu unterstützen. Noch sind Süd- und Ost-Austin kreative Tummelplätze. Ein Generationsbetrieb wie Allens Boots mit Hunderten Westernstiefeln von Strass bis Alligator kann sich vorerst ebenso halten wie die exzentrische Hipster-Cocktailbar «Whisler’s» mit Hirschgeweih und Madonnenschrein oder die junge Galerie Art Garage. Kunst findet auch auf der Straße statt. Austin ist bekannt für seine vielen Graffiti.

Kulinarische Kunst servieren Austins Foodtrucks. Mit Gourmet-Gerichten wie gegrilltem Schweinefleisch «à la weinender Tiger» wurde «Thai Kun» 2014 als einziger rollender Küchenwagen von einer wichtigen Feinschmecker-Zeitschrift auf die Liste der besten neuen Restaurants in Amerika gesetzt.

Im «White Horse» mag man es bodenständiger. Herzhafte Tacos passen besser zu Bier und Hillbilly-Balladen. Der schlaksige Batik-Cowboy nickt aufmunternd. Also gut, Texas Two-Step: zweimal schnell, ein langsamer Schritt, halt, das sind doch drei Schritte! Noch eine Drehung. Von wegen einfach. Zum Glück schützen die Cowboystiefel auch vor dem Getrampel auswärtiger Anfänger.

Info-Kasten: Austin in Texas

Reisezeit: In Austin scheint an 300 Tagen des Jahres die Sonne. März bis Mai und September bis November sind die besten Reisemonate bei angenehmen Durchschnittstemperaturen um 23 Grad. Heiße Sommertage können wegen hoher Luftfeuchtigkeit anstrengend sein.

Anreise: Von Mai 2019 an gibt es Lufthansa-Nonstopflüge von Frankfurt/Main nach Austin. Für Umsteigeverbindungen bieten sich die großen US-Fluggesellschaften wie American Airlines, Delta und United an, die Austin täglich mit Großstädten wie Chicago, Minneapolis und New York verbinden.

Einreise: Deutsche USA-Urlauber brauchen kein Visum, müssen sich aber spätestens 72 Stunden vor Abflug unter https://esta.cbp.dhs.gov eine elektronische Einreiseerlaubnis (Esta) besorgen. Sie kostet 14 US-Dollar und gilt zwei Jahre lang.

Übernachtung: An der Autobahn Interstate 35 liegen viele preiswerte Kettenhotels. Luxuriöser sind die großen Innenstadt-Hotels. Daneben gibt es eine Vielzahl individueller kleiner Gasthäuser, Cottages und Bed & Breakfasts.

Musik: Live-Musik-Konzerte finden sich auf den Websites www.showlistaustin.com und www.austinchronicle.com/events/music.

Geld: Ein US-Dollar sind 0,88 Euro (11. Februar 2018).

Informationen: Travel Texas, c/o Lieb Management, Bavariaring 38, 80336 München (E-Mail: traveltexas@lieb-management.de, www.traveltexas.com).