12.03.2014 Des einen Leid, des anderen Freud: Das weitflächig bis auf wenige Ausnahmen geltende Nachtflugverbot an deutschen Flughäfen belastet die nationale Luftverkehrsbranche und wird mittelfristig die Airports im Ausland zum Blühen bringen. Zuweilen mutet es an wie eine Geschichte der berühmt-berüchtigten Schildbürger oder ein auf die Spitze getriebenes Negativbeispiel aus einem Lehrbuch für angehende Volks- […]

12.03.2014

Des einen Leid, des anderen Freud: Das weitflächig bis auf wenige Ausnahmen geltende Nachtflugverbot an deutschen Flughäfen belastet die nationale Luftverkehrsbranche und wird mittelfristig die Airports im Ausland zum Blühen bringen.

Zuweilen mutet es an wie eine Geschichte der berühmt-berüchtigten Schildbürger oder ein auf die Spitze getriebenes Negativbeispiel aus einem Lehrbuch für angehende Volks- und Betriebswirte: Da werden Milliarden in den Ausbau eines Flughafens gesteckt, und prompt hat die Politik nichts besseres zu tun, als die entstandene, weltweit vorzeigbare Infrastruktur partiell wieder zu schließen.

So geschehen 2011 in Frankfurt mittels des seinerzeit in Kraft getretenen Nachtflugverbots. Seitdem herrscht an Deutschlands wichtigstem Drehkreuz zwischen 23 Uhr abends und 5 Uhr morgens absoluter Stillstand; quasi eine sechsstündige, staatlich verordnete und gerichtlich höchstinstanzlich abgesegnete Misswirtschaft. Denn die Erde dreht sich weiter – so, wie der internationale Luftverkehr weiter fliegt, nur eben jetzt nachts an Frankfurt vorbei, das somit dem durch die Lappen gehenden Geschäft allenfalls noch einen traurigen Blick hinterher werfen kann.

Die australische Qantas beispielsweise hat sich unter anderem auch wegen des Nachtflugverbots aus Frankfurt zurückgezogen, weil sie eine Wirtschaftlichkeit ihrer Strecken gefährdet sah. Denn die hessischen Lichter gehen tatsächlich Punkt 23 Uhr aus, keine Sekunde später. Ein geplanter Abflug um 22.45 Uhr gleicht da Russischem Roulette. Es muss nur zu einer winzigen Verzögerung kommen, beispielsweise ein Passagier noch verträumt durch den Duty-free-Shop bummeln, und schon bleibt ein Jumbo am Boden und die Airline muss 500 Passagieren saftige Entschädigungen plus Übernachtungen zahlen. In der Realität sieht es inzwischen sogar so aus, dass in den letzten 45 Minuten vor Toreschluss nur noch ein Abflug stattfindet (Aeroflot um 22.35 Uhr nach Moskau Scheremetjewo).

Die Auswirkungen auf den Platzhirschen Lufthansa sind ebenfalls drastisch. Der Kranich vermutete bereits im Vorfeld des Nachtflugverbots jährliche Verluste im mittleren zweistelligen Millionenbereich. Vom Image-Schaden einmal ganz zu schweigen.

Und auch der volkswirtschaftliche Schaden ist immens – nicht allein, dass bereits die leidige Luftverkehrssteuer deutsche Passagiere ins benachbarte Ausland treibt (die Zahl der deutschen Gäste stieg laut Statistischem Bundesamt in Amsterdam beispielsweise zwischen 2010 und 2012 um 21,7 Prozent). Damit Deutschland auch in Zukunft als Exportland wettbewerbsfähig bleibt, braucht es allen voran die Luftfracht, und die wiederum die Möglichkeit, auch nachts zu fliegen.

Flughafen Köln/Bonn bei Nacht

Für den Flughafen Köln/Bonn mit seiner Vielzahl an Express-Aktivitäten ist die Möglichkeit, nachts zu fliegen, essenziell.
(Bild: Flughafen Köln/Bonn)

Dass nur an sieben deutschen Flughäfen überhaupt ein begrenzter Betrieb in der sogenannten Kernnacht (0 bis 5 Uhr) möglich ist, wovon lediglich fünf Flughäfen (Köln/Bonn, Hahn, Hannover, Leipzig/Halle und Nürnberg) regelmäßig Gebrauch machen, hilft da nur bedingt; zumal inzwischen ein nicht unerheblicher Teil der Fracht in den Unterflurkapazitäten der Passagiermaschinen befördert wird, die zu den Drehkreuzen München oder Frankfurt fliegen. Dürfte jedoch in Zukunft nirgendwo mehr in Deutschland nachts gestartet oder gelandet werden, müssten nicht nur Airlines, sondern auch Verlader, Speditionen und Logistikdienstleister zu Standorten mit flexibleren Betriebszeiten abwandern – und mit ihnen unzählige Arbeitsplätze.

 

DAS AUSLAND MACHT ES VOR

Schaut man sich im angrenzenden Ausland um, findet man an den bedeutenden Hubs vielleicht die einen oder anderen Einschränkungen, aber mit Ausnahme von Zürich keine wirklichen Sperrzeiten! Am Amster­damer Flughafen Schiphol, gerade einmal etwas mehr als eine Flugstunde von Frankfurt entfernt, sind laut Auskunft des deutschen Flughafenverbands ADV durchschnittlich 34 Starts und Landungen von ausgewiesen leiseren Flugzeugen pro Nacht (23 bis 6 Uhr) und insgesamt rund 12 500 nächtliche Flugbewegungen pro Jahr erlaubt. Und das ist auf dem alten Kontinent ein Pfund, mit dem die Niederländer gerne wuchern. Kaum eine Werbebroschüre der Betreibergesellschaft, in der nicht auf die Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit hingewiesen wird.

Der in der Peripherie von London in dichter Wohnbebauung gelegene Londoner Flughafen Heathrow, mit knapp 70 Millionen Passagieren der größte europäische Airport und weltweit die Nummer drei, lässt zwischen 23 und 7 Uhr ebenfalls leise Flugzeugtypen zu, wenngleich zwischen 23.30 und 6 Uhr nicht mehr als 18 Flugbewegungen. Hier betreibt British Airways eines der modernsten Frachtzentren Europas. Allerdings: Mit nur zwei Pisten operiert der derzeitig allenfalls ausreichend mit Terminalkapazitäten ausgestattete Airport am Limit. Alle 45 Sekunden startet oder landet dort ein Flugzeug, die Auslastung des Start- und Landebahnsystems beträgt aktuell innerhalb des gesteckten Rahmens 99 Prozent. Wachstum könnte mittels Bau einer dritten Piste unterstützt werden – was allgemein aber auf wenig Akzeptanz stößt – oder über eine Aufweichung der bestehenden nächtlichen Restriktionen, um die Anzahl der Flugbewegungen erhöhen zu können. Und Letzteres wird seitens des Betreibers inzwischen auch massiv gefordert.

Nachtflugbeschraenkungen international

Nachtflugregelungen im internationalen Vergleich. (Bild: Aero International / Quelle: ADV)

Die operationell zeitlichen Einschränkungen bestehen am Pariser Flughafen Charles de Gaulle zwischen 22 und 6 Uhr. Zugelassen sind pro Nacht knapp 60 Bewegungen von ausgewiesen leisen Flugzeugen auf den vier Start- und Landebahnen. Charles de Gaulle liegt etwa 26 Kilometer nordöstlich des Stadt­zentrums auf einstmals, zum Zeitpunkt der Planung Ende der 1960er Jahre, dünn besiedeltem Ackerland. Inzwischen besteht jedoch beinahe nahtloser Anschluss ans Stadtgebiet.

Um die Aufzählung abzuschließen, auch noch die Blicke auf Spanien, Italien und Österreich: Madrid duldet zwischen 23 und 7 Uhr, Mailand Malpensa zwischen 23.30 und 6.30 Uhr und Wien zwischen 23.30 und 5.30 Uhr lediglich leisere Flugzeuge.

Die liberalsten Regelungen finden sich hingegen weiter östlich, allen voran im ausgeschlafenen Morgenland. Hier darf rund um die Uhr ohne Einschränkungen geflogen werden. Sehr zum Nachteil des Abendlands: Während zwischen 2002 und 2012 das Wachstum im Passagierverkehr in Frankfurt bei 19 Prozent lag, wurde für dieselbe Dekade hinter dem Emirates-Drehkreuz Dubai ein Plus von 253 Prozent notiert, für den Etihad-Standort Abu Dhabi eine Steigerung von 268 Prozent und für den Istanbuler Flughafen Atatürk, Heimat der stark expandierenden Turkish Airlines, sogar 295 Prozent.

Und die Entwicklung hat das Ende der Fahnenstange bei Weitem nicht erreicht. 2012 zählte Dubai 57 Millionen Passagiere. Damit liegt der wichtigste Flughafen des Nahen Ostens im weltweiten ACI-Vergleich nun auf Platz zehn, direkt vor den Hessen. Dass ergänzend zum bestehenden Wüstenairport ein weiterer Megaflughafen gebaut wurde, beweist die Ambitionen der Scheichs. In seiner Endausbaustufe (vermutete Inbetriebnahme 2025) kann und soll der neue Dubaier Airport nach neusten Berechnung jährlich 160 Millionen Passagiere abfertigen und rund zwölf Millionen Tonnen Luftfracht umschlagen.

Dubai airport at night

Am Flughafen von Dubai sind nächtliche Sperrzeiten gänzlich unbekannt. (Bild: Emirates)

Superlative sind auch aus Doha zu hören, selbst wenn sich die Inbetriebnahme des neuen, rund 15,5 Milliarden US-Dollar teuren Flughafens dort ähnlich wie in Berlin immer wieder aufs Neue verzögert. Der nach wie vor im Bau befindliche Hamad International Airport wird über zwei extrem lange Start- und Landebahnen (4250 beziehungsweise 4850 Meter) und in seiner dritten Ausbaustufe (Inbetriebnahme nach 2020) über eine Kapazität von bis zu 50 Millionen Passagieren pro Jahr verfügen, was enorm ist für ein kleines Scheichtum wie Katar mit seinen gerade einmal 1,7 Millionen Einwohnern. Allerdings ist die landeseigene Qatar Airways auch eine der weltweit am schnellsten wachsenden internationalen Airlines.

Tja, und Istanbul? Am Bosporus schickt man sich an, selbst den Golfstaaten den Rang abzulaufen. Der nach dem türkischen Staatsgründer Kemal Atatürk benannte Flughafen fertigt derzeit bereits 45 Millionen Passagiere ab und verbuchte dabei allein gegenüber 2011 ein Plus von sage und schreibe 20,6 Prozent. Und weil seine Kapazitäten aufgrund seiner innerstädtischen Lage ebenso begrenzt sind wie die des nahen Airports Sabiha Gökcen, wird bereits ein dritter Istanbuler Airport an der gar nicht mal so fernen Schwarzmeerküste geplant, der nach neusten Meldungen 2018 in seiner ersten Ausbaustufe in Betrieb gehen und in seiner Endausbaustufe für etwa 150 Millionen Fluggäste jährlich ausgelegt sein soll. Wachstumstreiber ist, allen voran, die Turkish Airlines. Schon heute betreibt die Fluggesellschaft weltweit das viertgrößte internationale Streckennetz, und von ihren insgesamt 39 Millionen Passagieren im Jahr 2012 stiegen bereits nahezu acht Millionen in Istanbul um. CEO Temel Kotil gefällt dies natürlich. Denn es kann und soll in Riesenwachstumsschritten weitergehen.

Seine westlichen Nachbarn versteht er hingegen weniger: „Es entbehrt wirklich jeder Logik, eine Infrastruktur nicht 24 Stunden zu nutzen. Europa ist und bleibt für uns ein wichtiger Markt. Aber die Verantwortlichen dort müssen ihre Luftfahrtpolitik noch einmal dringend überdenken. Zumal die Branche eine der wenigen weltweit ist, die noch nachhaltig wachsen wird. Doch offensichtlich vergessen die Politiker diese wirtschaftliche Bedeutung“, sagt Kotil.

Astrid Röben

 

 

 

INTERVIEW

Michael Garvens, Vorsitzender der Geschäftsführung der Flughafen Köln/Bonn Gmbh

„Ein Nachtflugverbot wäre existenzgefährdend“

AERO: Wie sehr profitiert Ihr Airport davon, dass er einer der wenigen Flughäfen in Deutschland ist, an dem noch nachts geflogen werden darf?

GARVENS: Derzeit profitieren wir nur bedingt. Momentan ist das Luftfrachtwachstum in Europa generell etwas verhalten, das beweisen die Verkehrszahlen an nahezu allen wichtigen Standorten; allerdings stehen wir mit unserem kleinen Plus im vergangenen Jahr noch ganz gut da. Andere Luftfrachtstandorte haben da in den vergangenen zwei Jahren größere Einbußen verdauen müssen. Die Finanzkrise in Europa wirft nach wie vor ihre Schatten, und auch das Wachstum in Asien, insbesondere China, ist ins Stocken geraten. Dazu kommt, dass der Gesundungsprozess hier bei uns leider nicht in großen Schüben verläuft. Auch in den kommenden zwei, drei Jahren werden wir nur mit marginalem Wachstum rechnen können. Langfristig gesehen, bis Ende des Jahrzehnts, bin ich hingegen sehr, sehr optimistisch, dass das Frachtwachstum wieder kräftig anziehen wird.

AERO: Ist ein nachts offener Flughafen für die Fracht wichtiger als für die Passage?

GARVENS: Für das Frachtgeschäft ist es natürlich existenziell, aber auch für die Passage ist es für uns sehr wichtig, vor allem, weil wir für zahlreiche Flughäfen in der Umgebung, beispielsweise Frankfurt oder Düsseldorf, als Ausweichflughafen gelistet sind. Sollte bei uns ebenfalls ein Nachtflugverbot in Kraft treten, wäre das für unsere Nachbarn eine harte Nuss.

Michael Garvens - Vorsitzender der GF Köln/Bonn Airport

Michael Garvens: „Ein Nachtflugverbot wäre existenzgefährdend“ (Bild: Flughafen Köln/Bonn)

AERO: Mit welchen Argumenten begegnen Sie jenen, die aktuell und auch künftig ein Nachtflugverbot für den Köln/Bonner Flughafen fordern?

GARVENS: Schon das Nachtflugverbot für Frankfurt hat bedenkliche Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Käme nun auch noch Köln/Bonn dazu, würden sich die Negativeffekte potenzieren. Betrachten wir allein unseren Flughafen, so wäre ein komplettes Nachtflugverbot absolut existenzgefährdend, weil dann unser Geschäftsmodell zerstört wäre. Keine Landesregierung dürfte es sich erlauben können, 14 000 Jobs zu riskieren. Und was ein Nachtflugverbot allein für die Passage bedeutet, haben wir einmal von Gutachtern durchrechnen lassen: Es würde uns rund eine Million Passagiere, einen Umsatzverlust von zehn Millionen Euro pro Jahr und einen Arbeitsplatzverlust für etwa 1000 Beschäftigte kosten.

AERO: Dabei unternehmen Sie einiges, um in guter Nachbarschaft zu leben …

GARVENS: Insbesondere über unser Schallschutzprogramm. Wir waren der erste Flughafen Deutschlands, der ein solches vor mehr als 20 Jahren aufgelegt hat. Bislang wurden zum Schutz der Anwohner rund 85 Millionen Euro bereitgestellt. Dann waren wir deutschlandweit einer der ersten Flughäfen, die während der Nacht spezielle Anflugverfahren umgesetzt haben, den sogenannten CDA-Anflug, der wegen größerer Überflughöhen und reduzierter Triebwerksleistungen den Lärm mindert. Wegweisend ist auch unsere neue Gebührenordnung, die den Ersatz älteren Fluggeräts durch moderne, leise Flugzeuge massiv belohnt. Eine Frachtfluggesellschaft kann so beispielsweise bezogen auf drei Jahre aufgrund des Austauschs einer MD-11F durch eine 777F bis zu eine Million Euro an Gebühren sparen.

AERO: Wie wichtig ist ein nationales Verkehrskonzept für Deutschland?

GARVENS: Ich denke, das ist absolut zwingend. Wir brauchen sicherlich nicht an allen Flughäfen die Möglichkeit, nachts fliegen zu können, doch angesichts der Entwicklungen in der jüngeren Vergangenheit, beispielsweise in Frankfurt, ist es umso wichtiger, die aktuell nur noch für wenige Airports geltenden bestehenden Nachtflug-Regelungen unangetastet zu lassen, mehr noch: sie auf Dauer verbindlich festzuschreiben, um Planungssicherheit herzustellen.

AERO: Welche Rolle sollte Köln/Bonn innerhalb des Konzeptes spielen?

GARVENS: Eine ganz wesentliche, zumal es in Deutschland letztlich nur noch zwei bedeutende Frachtzentren – eben Köln und Leipzig – gibt. Alle anderen noch nachtoffenen deutschen Flughäfen spielen auf diesem Gebiet eine untergeordnete Rolle.