Köln, 01. Dezember 2015 „Mich bringt so schnell nichts mehr in ein Flugzeug!“, konnte man in den Tagen nach dem Germanwings-Absturz hören. Doch die Deutschen fliegen so viel wie eh und je. Die Katastrophe ist für die meisten abgehakt – „zum Selbstschutz“. Terroranschläge, Flüchtlingsdrama, Griechenlandkrise… In der Erinnerung der Unbeteiligten liegt der Absturz der Germanwings-Maschine […]

Köln, 01. Dezember 2015

„Mich bringt so schnell nichts mehr in ein Flugzeug!“, konnte man in den Tagen nach dem Germanwings-Absturz hören.

Doch die Deutschen fliegen so viel wie eh und je. Die Katastrophe ist für die meisten abgehakt – „zum Selbstschutz“.

Terroranschläge, Flüchtlingsdrama, Griechenlandkrise… In der Erinnerung der Unbeteiligten liegt der Absturz der Germanwings-Maschine vom 24. März dieses Jahres schon wieder lange zurück. Nicht so für die direkt Betroffenen. „Jeden Morgen ist der gewaltsame Tod unserer Kinder unser erster Gedanke. Jeden Abend unser letzter.“ Das schrieben Angehörige der Opfer im Juli in einem offenen Brief.

Bei dem Absturz war ein Airbus auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf an einem Berg in den französischen Alpen zerschellt. Alle 150 Menschen an Bord starben. Die Staatsanwaltschaft kam zu dem Schluss, dass der Copilot die Maschine absichtlich zum Absturz gebracht hatte. Er war psychisch krank und fluguntauglich, was er seinem Arbeitgeber jedoch verschwieg.

Die Angehörigen sind noch im ersten Trauerjahr, und das ist ganz besonders hart. „Was die meisten mittlerweile hinter sich haben dürften, ist der erste Schock und das Erschrecken darüber, dass der geliebte Mensch nicht mehr da ist“, sagt die Psychologin Prof. Rita Rosner, eine Expertin für Trauerbewältigung.

Das „emotionale Anerkennen“ des Verlustes dauert dagegen deutlich länger. „Viele Trauernde haben auch nach einem Dreivierteljahr noch das Gefühl: Die geliebte Person ist noch da, sie kann jeden Moment um die Ecke kommen, sie schaut mir gerade über die Schulter.“ Vor allem an Weihnachten, Geburtstagen oder am Jahrestag des Unglücks seien diese Gefühle sehr intensiv. Nach einem guten Jahr trete dann für viele eine Besserung ein.

Wer keines der Opfer persönlich gekannt hat, hakt ein solches Unglück dagegen schnell wieder ab. „Das braucht man zum Selbstschutz“, erklärt Rosner. „Deshalb muss man sich nicht schlecht fühlen.“

Viele haben unmittelbar nach dem Absturz gesagt: „Mich bringt so schnell nichts mehr in ein Flugzeug!“ Aber das sagt man eben so. Fakt ist: Es wird nicht weniger geflogen. In keiner Statistik sei ein Knick nachweisbar, bestätigt der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft.

In den Cockpits deutscher Flugzeuge hat sich dagegen durchaus etwas geändert: Dort müssen jetzt immer mindestens zwei Personen anwesend sein, denn der Copilot der Germanwings-Maschine hatte den Toilettengang des Flugkapitäns dafür genutzt, die Tür zu verriegeln. Die Pilotengewerkschaft Cockpit hält die neue Regelung für Unsinn: „Wir wissen alle, dass das nichts bringt“, sagt Sprecher Jörg Handwerg. Um Flugbegleiter zu werden, reiche eine sechswöchige Ausbildung. Wer es also darauf anlege, könne doch recht einfach ins Cockpit gelangen.

Eine von Psychologen oft geäußerte Sorge nach dem Absturz war, dass die Vorbehalte gegenüber psychisch Kranken zunehmen könnten – der Copilot litt schließlich an Depressionen. Die Befürchtung war, dass nun weniger depressive Menschen den Mut finden würden, zum Arzt zu gehen. Eine Untersuchung des Psychologen Georg Schomerus von der Universität Greifswald, die kürzlich im Fachjournal „World Psychiatry“ veröffentlicht wurde, scheint dies allerdings zu widerlegen.

Schomerus kommt zu dem Schluss: Während psychisch Kranke nach den Attentaten auf die Politiker Oskar Lafontaine und Wolfgang Schäuble 1990 in der Bevölkerung deutlich kritischer gesehen wurden, lässt sich nach dem Absturz kein vergleichbarer Effekt feststellen.

Zu erklären sei dies wohl damit, dass die Gesellschaft psychischen Erkrankungen heute differenzierter gegenüberstehe als noch in den 90er Jahren. «Offenbar führt ein einzelnes extremes Ereignis heute nicht mehr dazu, dass sich die Haltung gegenüber der ganzen Gruppe von Menschen mit psychischen Krankheiten verschlechtert», meint Schomerus. „Die Leute verallgemeinern weniger, und das ist in meinen Augen ein großer Fortschritt.“

Christoph Driessen, dpa