Unter der Ägide des ehrgeizigen Kronprinzen Mohammed bin Salman treibt Saudi-Arabien seine gesellschaftlichen Reformen voran. Doch auf dem konservativen Land liegt weiter ein dunkler Schatten. Der Zeitpunkt dürfte kein Zufall gewesen sein. Weniger als ein Woche vor dem ersten Jahrestag des brutalen Mordes an dem saudischen Regierungskritiker Jamal Khashoggi öffnet sich das Königreich für ausländische […]

Unter der Ägide des ehrgeizigen Kronprinzen Mohammed bin Salman treibt Saudi-Arabien seine gesellschaftlichen Reformen voran. Doch auf dem konservativen Land liegt weiter ein dunkler Schatten.

Der Zeitpunkt dürfte kein Zufall gewesen sein. Weniger als ein Woche vor dem ersten Jahrestag des brutalen Mordes an dem saudischen Regierungskritiker Jamal Khashoggi öffnet sich das Königreich für ausländische Touristen. Gäste aus vielen Staaten, darunter aus Deutschland, brauchen künftig vorab kein Visum mehr, um in das erzkonservative Land zu reisen – positive Schlagzeilen sind da den Herrschern in Riad sicher. «Ziemlich verdächtig» sei dieser zeitliche Ablauf, sagt die saudische Journalistin Safa al-Ahmed, die im Exil lebt. «Sie versuchen alles, um das Narrativ zu verändern.»

Das Narrativ – die große Erzählung – hatte sich spätestens mit dem Tod Khashoggis gegen Riad gewendet. Vor allem seit dem Mord im saudischen Konsulat in Istanbul steht das Land international am Pranger, auch weil die Spuren der Bluttat in das direkte Umfeld des Kronprinzen Mohammed bin Salman führen – des Mannes also, der als eigentlicher Herrscher des Landes gilt und die Reformen vorantreibt.

Mit der Öffnung für ausländische Touristen setzt Saudi-Arabien die gesellschaftliche Öffnung fort, die vor einigen Jahren begonnen hat. Mohammed bin Salman, kurz MbS genannt, ließ das Verbot von Kinos aufheben, auch Konzerte sind mittlerweile erlaubt. Internationale Stars wie Janet Jackson und Rapper 50 Cent traten in Riad auf.

Viel Applaus erhielt auch das Ende des international oft kritisierten Frauenfahrverbots. Seit dem vergangenen Jahr dürfen saudische Frauen in ihrem Heimatland ans Steuer, was viele von ihnen feierten. In diesem Sommer dann verkündete das Königshaus, auch die strikten Reiseregeln für Frauen würden aufgehoben. Sie bräuchten nicht mehr das grüne Licht eines männlichen Vormunds, um ins Ausland zu reisen. Vor allem in der jüngeren Generation gewann MbS damit viele Anhänger.

Und jetzt die Touristen. Bislang vergab Saudi-Arabien Visa vor allem an Pilger, die zu den für Muslime heiligen Stätten Mekka und Medina wollten, und an Geschäftsleute. Touristen wurde vor einigen Jahren nur erlaubt, im Rahmen organisierter Reisegruppen ins Land zu kommen. Jetzt erhalten Besucher aus 49 Ländern, die meisten aus Europa, ihr Visum künftig gegen eine Gebühr von umgerechnet fast 110 Euro direkt bei der Ankunft etwa am Flughafen, wie es von Seiten der saudischen Behörden heißt. Sie dürfen drei Monate am Stück im Land bleiben.

Für das Königreich ist das in der Tat ein großer Schritt: «Die Öffnung Saudi-Arabiens für internationale Touristen ist ein historischer Augenblick für unser Land», schwärmte der Chef der Tourismuskommission, Ahmed al-Chatib sogar.

Die Reformen zählen zu einem Paket von Maßnahmen, mit dem die Herrscher im Königshaus die Wirtschaft des Landes umbauen wollen und müssen. Die «Vision 2030», die MbS verkündet hat, verfolgt das Ziel, die große Abhängigkeit Saudi-Arabiens vom Öl zu verringern. Vor allem der Tourismus spielt dabei eine zentrale Rolle. Die Ziele sind ambitioniert. Bis 2030 will das Königreich die Zahl der internationalen und einheimischen Besucher auf 100 Millionen pro Jahr steigern, teilte die Tourismuskommission in Riad mit.

Doch zu einem Ziel ausländischen Massentourismus‘ dürfte das Land trotzdem nicht werden, vor allem nicht für Gäste aus dem Westen. Anders als im benachbarten Katar oder im Emirat Dubai bleibt etwa Alkohol in Saudi-Arabien, wo der Islam einst entstand, strengstens verboten. Cocktails am Strand müssen woanders getrunken werden. Gesperrt bleiben für Nicht-Muslime auch Mekka und Medina, die für Kulturinteressierte attraktive Reiseziele wären.

Zumindest gelten für ausländische Besucherinnen nicht die strikten Kleidungsvorschriften, an die sich Einheimische halten müssen. Touristinnen müssten weder ein langes Gewand, die Abaja, noch ein Kopftuch tragen, erklärte die saudische Tourismuskommission. «Unanständige» Kleidung sei allerdings untersagt, hieß es gleichzeitig von den Behörden in Riad. So sind enge Hemden und Hosen genauso untersagt wie für Frauen freie Schultern oder Knie.

Gäste dürften auch die dunklen Schatten der Politik abhalten, die nicht erst seit dem Mord an Khashoggi über dem Land liegen. Während sich Saudi-Arabien gesellschaftlich öffnet, regiert das Königshaus mit harter Hand. Zahlreiche Kritiker – darunter mehrere Frauenrechtlerinnen – sitzen in Haft. Widerworte duldet MbS nicht.

So bleibt auch die Journalistin Safa al-Ahmed skeptisch. Die Menschen würden von den Veränderungen profitieren, wirtschaftliche Reformen seien wichtig, sagt sie: «Aber das lässt die Schreckensbilanz der saudischen Regierung nicht verschwinden.»

dpa