Wie ein Flugzeug ohne Pilot: Filmbranche sucht händeringend Nachwuchs
Arbeiten in der glamourösen Welt des Films: Das war lange eine Traumkarriere. Jetzt sucht die Branche händeringend Leute, vor allem hinter der Kamera. Warum ist das so? Berlin (dpa) – Schauspieler im Auto von A nach B bringen, den Regisseur am Set unterstützen oder dafür sorgen, dass das Kamerabild immer scharf ist. Produktionsfahrer, Regie- und […]
Berlin (dpa) – Schauspieler im Auto von A nach B bringen, den Regisseur am Set unterstützen oder dafür sorgen, dass das Kamerabild immer scharf ist. Produktionsfahrer, Regie- und Kameraassistenten sind wichtige Jobs, wenn ein Film oder eine Serie gedreht wird. Nur: Die Leute dafür sind rar. Während es der Filmbranche an Schauspielern und Regisseuren nicht mangelt, sucht sie händeringend nach Menschen für Jobs hinter der Kamera.
Durch die steigende Nachfrage nach Filmen, Serien oder Shows und den Erfolg von Streaming-Anbietern wie Netflix und Amazon hat sich das Problem in den vergangenen Jahren verschärft, wie Produktionsfirmen berichten. Allein in der Region Berlin-Brandenburg, einem der wichtigsten Drehorte für die Filmbranche, gab es 2021 6000 Drehtage. 2012 waren es laut dem Medienboard Berlin-Brandenburg noch rund 1370 Tage.
«Die Nachfrage nach Content ist sehr groß. Das ist für uns als Branche natürlich sehr erfreulich. Weniger erfreulich ist, wenn diese Nachfrage dann ein Stück weit gar nicht bedient werden kann, weil die Ressourcen fehlen», sagt Juliane Müller, Geschäftsführerin der Produzentenallianz Initiative für Qualifikation (PAIQ). Die Allianz vertritt die Interessen von Hunderten Produktionsfirmen in Deutschland.
Die Lage sei angespannt. Es gebe Projekte, die verschoben werden müssten oder nicht stattfinden könnten. «Die Produktionsunternehmen sind in großer Personalnot, sodass beispielsweise Fachkräfte lange Zeit im Voraus gesichert werden, ohne zu wissen, ob der Folgeauftrag überhaupt kommt. Das birgt ein großes wirtschaftliches Risiko für die Unternehmen», erklärt Müller. An der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin wird laut Angaben einer Sprecherin etwa der Nachwuchs teils schon im Studium für Assistenzen extern angefragt.
Auch große Produktionsunternehmen wie Constantin Film oder Bavaria Film in Bayern kennen das Personalproblem. «Bei Drehs kommt es vor allem dann zu Schwierigkeiten, wenn Personal etwa im Krankheitsfall kurzfristig ausfällt, oder wenn es sich um kurzfristig zu realisierende Projekte handelt. Dann ist es schwer, schnell Ersatz zu finden», teilt ein Bavaria-Sprecher mit. Oft müsse deutschlandweit gesucht werden.
Doch woran liegt das? Ist die Arbeit am Set mit nationalen und internationalen Schauspielern nicht eine Art Traumkarriere? «Ich würde sagen, es ist eigentlich immer noch die Traumkarriere. Die Zugänge sind nicht so klar», sagt Müller dazu. Ein Grund seien die fehlenden Ausbildungsberufe im Filmbereich. Vielen Menschen sei zudem nicht so bewusst, dass sie auch beim Film arbeiten könnten.
Der Berliner Produzent Fabian Gasmia («Sonne und Beton») sieht das ähnlich. «Man hat wie wild produziert, die Chance hat man genutzt. Man hat dann aber nicht vorausschauend geschaut und darauf hingewiesen: Hey Leute, kommt zum Film, dann könnt ihr überdurchschnittlich verdienen.» Bei internationalen Projekten könnten etwa Filmfahrer laut Gasmia rund 55 000 Euro im Jahr verdienen. Früher hätten die Bewerber Schlange gestanden. «Auf jede freie Stelle standen abends 50 bis 100 Leute Schlange, die unbezahlte Praktika absolviert haben, um vielleicht irgendwann einmal die Chance auf einen der ganz raren Filmjobs zu haben.»
Das war demnach in der Zeit vor 2016 und 2018 der Fall, bevor die Streaming-Anbieter breit in den Markt eingestiegen sind. Einen weiteren Grund für den fehlenden Nachwuchs sieht Gasmia auch in der harten Arbeit während eines Filmdrehs: Oft seien die Arbeitszeiten lang, man sei viel auf Reisen, was nicht familienfreundlich sei. «Man wird in der Tat voll absorbiert für die Drehzeit.» Das vertrage sich etwa nicht mit einem Bedürfnis nach einer ausgewogenen Work-Life-Balance.
Wenn Stellen wie Produktionsleitung oder die Regieassistenz fehlten, sei das fatal, erklärt der Produzent: «Das ist wie bei einer Passagiermaschine, beide Piloten werden schwer krank und der Hobbypilot und der Steward versuchen das noch ein bisschen zu übernehmen.» Besonders gefragt sei auch die sogenannte Filmgeschäftsführung. Sie kümmert sich um die Buchhaltung des Projekts, verbucht etwa jeden einzelnen Beleg, der anfällt.
Viele Jahre ist der Nachwuchs laut Müller über Praktika in die Film- und Fernsehbranche gekommen. Doch mittlerweile seien Praktika wegen steigender Kosten in den Firmen nicht mehr kalkulierbar, etwa wegen des Mindestlohns. Daher brauche es neue Ideen, wie zum Beispiel eine Art Ausbildungsplatzbörse im Internet.
In diesem Jahr soll eine Plattform an den Start gehen, die zwischen den Betrieben und dem Nachwuchs vermittelt, erklärt Müller: «Wir sind damit befasst, eine Anlaufplattform für in erster Linie junge Menschen zu schaffen, die sich über Film und Fernsehen erst mal grundlegend informieren, aber auch ganz niedrigschwellig den Einstieg finden wollen.»
Dazu soll es auch eine große Imagekampagne geben. Das wünscht sich auch Fabian Gasmia. Denn beim Film zu arbeiten, sei für viele eine Bereicherung: «Man muss Lust haben, in Teams von 40 bis 50 Leuten jeden Tag neue Herausforderungen zu lösen. Das ist so eine Art Familiengefühl, wie ein Zirkus, der von Ort zu Ort zieht.»
dpa sza yybb a3 sm