10.04.2015 Fünf Jahre nach der Flugzeugkatastrophe von Smolensk wiederholen die Anhänger des verunglückten polnischen Präsidenten Lech Kaczynski ihre Anschlagstheorien. Andere Opferangehörige wollen endlich in Ruhe trauern. Warschau (dpa) – Jaroslaw Kaczynski trägt eine schwarze Krawatte, so wie bei jedem öffentlichen Auftritt seit dem 10. April 2010. Damals starb bei der Flugzeugkatastrophe von Smolensk sein Zwillingsbruder, […]

10.04.2015

Fünf Jahre nach der Flugzeugkatastrophe von Smolensk wiederholen die Anhänger des verunglückten polnischen Präsidenten Lech Kaczynski ihre Anschlagstheorien. Andere Opferangehörige wollen endlich in Ruhe trauern.

Warschau (dpa) – Jaroslaw Kaczynski trägt eine schwarze Krawatte, so wie bei jedem öffentlichen Auftritt seit dem 10. April 2010. Damals starb bei der Flugzeugkatastrophe von Smolensk sein Zwillingsbruder, Staatspräsident Lech Kaczynski. Jaroslaw Kaczynski, Chef der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), verlor nicht nur seinen Bruder, sondern auch seinen engsten politischen Vertrauten. Die Pflege der Erinnerung an den toten Präsidenten wurde für ihn zu einer politischen Mission – und zum Wahlkampfthema.

An diesem Freitag, als vor dem Warschauer Präsidentenpalast Grabkerzen flackern und Hunderte PiS-Anhänger Fahnen in den weiß-roten Nationalfarben Polens schwenken, wird einmal mehr mit der Tragödie, die 96 Menschen das Leben kostete, Politik gemacht. «Sie haben uns unaufhörlich angelogen», sagt Kaczynski über die Ermittlungen der polnischen Behörden. Er wirft der Regierung schwere Versäumnisse vor: «Es wurde nichts getan, was internationaler Standard ist – die Exterritorialität des Unglücksorts wurde nicht gesichert, polnisches Eigentum wurde nicht sichergestellt.» Schmählich sei es, dass den Piloten die Schuld an dem Absturz mit 96 Toten gegeben wurde. Die meisten waren Vertreter der politischen und militärischen Elite Polens.

Die PiS-Anhänger vor dem Präsidentenpalast skandieren: «Wir wollen die Wahrheit über Smolensk!» Einige halten das Bild eines brennenden Flugzeuges hoch: «Es war ein Anschlag!» 

Vor fünf Jahren hatte das Unglück die Polen erschüttert und geeint. Seit dem Tod von Johannes Paul II. im Jahr 2005 hatte das Land nicht eine solche öffentliche Massentrauer erlebt. Heute dagegen ist die Smolensker Katastrophe ein Thema, das die Gesellschaft spaltet – besonders in einem Wahljahr.

Am Vormittag blieb die Menschenmenge vor dem Präsidentenpalast recht überschaubar: Getragene Klaviermusik, aus Lautsprechern, eine ältere Frau, die sich Tränen aus den Augen wischt, während andere für ein «Selfie» posieren.

Die Medaillons mit dem Bild des toten Präsidentenpaares finden zahlreiche Käufer, ebenso weiß-rote polnische Fahnen. Ein etwa 60-jähriger Mann, der extra aus dem oberschlesischen Sosnowice angereist ist, ist irritiert. «Warum sind hier so wenige Menschen? Haben sie schon vergessen? Das tut im Herzen weh.»

Die großen Gefühle, die tränenüberströmten Gesichter von 2010 bleiben fünf Jahre später aus. Vor dem Warschauer Präsidentenpalast ist vor allem von Kaczynski die Rede, dem nationalkonservativen Präsidenten, der die Republik gründlich umkrempeln wollte.

Nach der offiziellen Gedenkfeier auf dem Warschauer Militärfriedhof Powazki wird wieder getrennt der Toten gedacht. Die Politiker der Linkspartei SLD legen Blumen und Kränzen an den Gräbern ihrer Toten ab, die Angehörigen der nationalkonservativen PiS oder die Vertreter der liberalkonservativen «Bürgerplattform» (PO) würdigen ihre verunglückten Parteifreunde.

Der PiS-Abgeordnete Antoni Macierewicz stellte am Freitag einen weiteren Bericht seines Untersuchungsausschusses vor. Darin ist von «mehreren Explosionen» an Bord der Unglücksmaschine die Rede. Macierewicz nannte die Absturzopfer «Märtyrer» und sagte: «Die Tragödie von Smolensk war die erste Salve auf den Frieden in der Welt und in Europa».

Einmal mehr warf Macierewicz der polnischen Regierung Versagen im Umgang mit den russischen Behörden vor. Die Thesen von Macierewicz sind nicht neu – die Mehrheit der Pis-Anhänger ist überzeugt, dass der Absturz ein Anschlag auf Kaczynski war. Beweise blieb Macierewicz bis heute schuldig, in den Trümmern der Tupolew TU-154 wurde kein Sprengstoff nachgewiesen.

Ein Teil der Opferfamilien ist die politische Instrumentalisierung der Tragödie leid. «Jeder Jahrestag reißt die Wunden wieder auf», sagte Marek Karpiniuk am Freitag dem polnischen Nachrichtensender TVN 24. Sein Sohn, ein Abgeordneter der PO, war an Bord der Unglücksmaschine. Er wünsche sich Ruhe an den Gräbern, sagte Karpiniuk. «Aber es muss wohl eine ganze Generation vergehen, bis wir aufhören, in die Anhänger dieser oder jener Theorie geteilt zu sein.»

Eva Krafczyk, dpa