Sie koordinieren aus Karlsruhe täglich 4500 Flüge über fast ganz Deutschland – die Lotsen der Flugsicherung haben einen anstrengenden Job. Auch Unglücksflug MH17 war kurzzeitig auf ihrem Radar. Karlsruhe (dpa) – Es war der 17. Juli dieses Jahres, für die Karlsruher Lotsen zunächst ein Tag wie jeder andere. Um 13.04 Uhr flog die malaysische Boeing […]

Sie koordinieren aus Karlsruhe täglich 4500 Flüge über fast ganz Deutschland – die Lotsen der Flugsicherung haben einen anstrengenden Job. Auch Unglücksflug MH17 war kurzzeitig auf ihrem Radar.

Karlsruhe (dpa) – Es war der 17. Juli dieses Jahres, für die Karlsruher Lotsen zunächst ein Tag wie jeder andere. Um 13.04 Uhr flog die malaysische Boeing MH17 in 10,3 Kilometern Höhe in den Havel-Sektor der Deutschen Flugsicherung (DFS). Nach 16 Minuten übergaben die DFS-Kollegen den Flug nach Warschau. 298 Menschen waren da noch am Leben. Kurz darauf – das Karlsruher Radar konnte das nicht mehr erfassen – waren sie tot. Wohl nach Raketenbeschuss stürzte das Flugzeug über der Ukraine ab.

Jeder Absturz ist eine Katastrophe. Und wenn eine Maschine kurz zuvor noch auf dem eigenen Schirm war, nimmt das besonders mit. Dass ein fernes Unglück so nah rückt, ist bei der DFS in Karlsruhe – Europas größter Kontrollzentrale für den oberen Luftraum über 7500 Metern – jedoch die Ausnahme. Rund 4500 Flüge werden an normalen Tagen vom «Rhein Radar» geführt, jährlich sind es 1,6 Millionen Flüge.

Was von hier täglich gemanagt wird, ist eine logistische Höchstleitung. 700 Mitarbeiter, darunter 500 Fluglotsen, überwachen rund um die Uhr den oberen Luftraum von Deutschland, mit Ausnahme der Region im Nordwesten. Dafür ist Eurocontrol in Maastricht zuständig. Das klingt nach Stress. Doch DFS-Sprecher Boris Pfetzing wiegelt ab: «Der normale Arbeitsalltag eines Fluglotsen ist nicht so stressig.»

Ein Blick in den 1800 Quadratmeter großen Kontrollraum scheint dies zu bestätigen. Betritt man den riesigen Saal, überrascht die Stille. Rund 80 Männer und Frauen lehnen in Drehstühlen. Sie beobachten aufmerksam die Radarschirme, auf denen schwarze, blaue, rote und weiße Zeichen Flieger symbolisieren – je nachdem, ob es sich um eine an- oder abfliegende Maschine handelt oder eine, die nicht mehr in die Zuständigkeit des Sektors fällt.

«Whiskey Zulu», «Foxtrot Tango», «Bravo Papa» oder «Romeo Romeo» – man kennt und nennt sich hier nach dem Nato-Alphabet. Auch die Uhren gehen anders. Während es in Karlsruhe bald 11.00 Uhr schlägt, zeigt die Wanduhr im Kontrollraum eine Stunde früher an; hier gilt Greenwich Time, die universale Zeit für den Luftverkehr.

Jeder der 15 Sektoren wird von einem Zweierteam überwacht: Während eine Lotsin den Radarschirm im Sektor «Tango» (Stuttgart) im Auge behält und einem Piloten über Funk Anweisungen gibt, bereitet der Koordinationslotse die Übergabe für den benachbarten Sektor vor. Er stimmt Übergabehöhen für den ein- und ausfliegenden Verkehr ab und unterstützt die Radarlotsin, die sich gerade mit einem lockeren «Tschüss» von der Swiss-Air-Maschine verabschiedet.

Es gilt das Vier-Augen-Prinzip. Nicht erst seit der Katastrophe von Überlingen. Bei dem schlimmsten Unglück im DFS-Gebiet waren am 1. Juli 2002 eine Tupolew-Passagiermaschine und eine DHL-Fracht-Boeing in elf Kilometer Höhe zusammengestoßen. Ein Lotse der Schweizer Flugsicherung Skyguide – sie kontrolliert noch immer für die DFS den Bodenseeraum – hatte die Tupolew aufgefordert, zu sinken. Doch das automatische Warnsystem im Cockpit gab den Befehl zum Steigen. Der Pilot folgte dem Lotsen, die beiden sinkenden Maschinen kollidierten.

Es waren Fehlentscheidungen, in etwas über fünf Minuten getroffen, die 71 Menschen das Leben kosteten. Zwei Jahre später auch das des Lotsen – er wurde von einem Angehörigen der Opfer getötet.

Eine solche Katastrophe soll es nie wieder geben. Ein automatisches Vorwarnsystem erkennt jetzt schon bis zu 20 Minuten vor brenzligen Situationen mögliche Konflikte. «Wenn sich heute trotzdem zwei Flugzeuge so nahe kommen wie damals über dem Bodensee, wird auf das Cockpit-System gehört, nicht mehr auf den Lotsen», sagt DFS-Sprecher Pfetzing. Ein richtiger Weg, findet der Luftverkehrsexperte und Chefredakteur des Fachmagazins «Aero International», Dietmar Plath: «Das bringt ein enormes Stück zusätzlicher Sicherheit.»

Gefährliche Annäherungen mit Kollisionsgefahr gibt es glücklicherweise selten – 2014 gab es keine. Für Stress können aber Wetterkapriolen sorgen oder bestimmte Situationen. «Wenn’s Spitz auf Knopf kommt, muss man eine Entscheidung treffen», sagt Alexander Schwaßmann von der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF).

Auch militärische Übungsräume können Schweißperlen auf die Stirn treiben. Diese werden mit kurzer Vorwarnzeit in den Sektoren aufgebaut, zivile Flugzeuge müssen dann umgeleitet werden. Im Juni soll eine NATO-Übung sogar Radarsignale gestört haben. Einige Maschinen verschwanden plötzlich vom Schirm – zum Glück nur eine halbe Minute. «Es war unkritisch», betont DFS-Sprecher Pfetzing.