Polizisten nehmen Demonstranten fest, lilafarbener Rauch zieht durch die Straße: Bei der Räumung einer Berliner Kiezkneipe kommt es zu Auseinandersetzungen. Es geht dabei um weit mehr als einen Tresen mit günstigem Bier. Berlin (dpa) – Es ist ein kleiner Berliner Ort, der viel Protest auslöst. Die 35 Jahre alte Kiezkneipe «Syndikat» im Berliner Bezirk Neukölln […]

Polizisten nehmen Demonstranten fest, lilafarbener Rauch zieht durch die Straße: Bei der Räumung einer Berliner Kiezkneipe kommt es zu Auseinandersetzungen. Es geht dabei um weit mehr als einen Tresen mit günstigem Bier.

Es ist ein kleiner Berliner Ort, der viel Protest auslöst. Die 35 Jahre alte Kiezkneipe «Syndikat» im Berliner Bezirk Neukölln wird von einem Kollektiv geführt, das trotz fehlenden Mietvertrags nicht ausziehen wollte. Bei der Räumung am Freitag und den heftigen Protesten drängen große Themen in den Vordergrund – Themen, die auch andere Großstädte in Deutschland kennen.

Es geht um die Veränderung von Innenstädten durch Zuzug, Aufkäufe durch Investmentfirmen, steigende Mieten. Aufgeheizt und zum Teil aggressiv ist die Stimmung vieler Demonstranten, von den Balkonen machen Anwohner mit Töpfen und Deckeln Krach, auf der Straße werfen einzelne Demonstranten Steine auf Polizisten.

Die Polizei hatte das Gebiet um das «Syndikat» im Schillerkiez in Nord-Neukölln bereits am Donnerstag mit Gittern abgesperrt. So verhinderte sie eine Sitzblockade vor dem Kneipeneingang. Trotzdem versammeln sich in der warmen Augustnacht mehr als 1000 Demonstranten, die mit Sprechchören und Bierflaschen unterwegs sind.

Immer wieder gibt es Rangeleien mit Polizisten an den Absperrungen, die Protestierer beschweren sich über Behinderungen. Dazu übliche Sprechchöre der linksextremen Szene: «Ganz Berlin hasst die Polizei.» Laute Musik hallt durch die Straßen, einige zünden Feuerwerkskörper und bauen Barrikaden. In einem Tweet unter den Namen «Syndikat» wird die Polizei kritisiert: «Besatzen, Drangsalieren, Einschüchtern.»

Die Polizei beobachtet die Szenerie von einem Hubschrauber aus. Im Laufe der Nacht zum Freitag nimmt sie nach ersten Zahlen 44 Menschen vorläufig fest, 6 Polizisten werden verletzt, wie ein Sprecher sagt. Spät nachts beruhigt sich die Lage, morgens wird es dann wieder lauter. Ein Mann kommt aus dem Haus und setzt sich in ein leeres Planschbecken. Polizisten tragen ihn weg.

Gegen 9.00 Uhr erscheint der Gerichtsvollzieher, begleitet von zahlreichen Polizisten und einer heftigen Lärmkulisse hinter den Absperrungen. Die Kneipentür wird geöffnet, später ein neues Schloss eingebaut. Damit ist das «Syndikat» geräumt.

Früher gehörte der Schillerkiez im Norden des Großbezirks Neukölln mal zu den Ecken, die einen schwierigen Ruf hatten: hohe Arbeitslosigkeit und viel Kriminalität. Damals landeten direkt nebenan noch Flugzeuge. Doch seit der Schließung des Tempelhofer Flughafens hat sich der Kiez verändert.

Auf der ehemaligen Landebahn sind jetzt Jogger, Skater und Biertrinker unterwegs. Die Mieten sind gestiegen, die Touristen mehr geworden. In Cafés gibt es Eggs Benedict und Avocado Toast statt Schrippen. Viele junge Menschen sprechen auf der Straße Englisch statt Deutsch und Türkisch. Neben Eckkneipen öffneten Weinbars.

Der Widerstand gegen die Räumung der Kneipe steht daher beispielhaft für die Angst vieler Berliner vor hohen Mieten und Verdrängung aus der vertrauten Umgebung. Die Debatten beschäftigen auch die Politik. Der Senat aus SPD, Linken und Grünen versucht mit unterschiedlichen Strategien und staatlichen Eingriffen, günstige Wohnungen und billige Räume für alternative Projekte zu erhalten.

Bundesweit bekannt wie umstritten ist der seit Februar geltende Mietendeckel, durch den die Mieten von 1,5 Millionen Wohnungen für fünf Jahre eingefroren wurden. Ob er auf Dauer Bestand hat und wie er wirkt, ist noch völlig offen.

Überhaupt gelingen die Interventionen der Politik nur begrenzt. Zu groß ist der Druck der wachsenden Hauptstadt – in den vergangenen Jahren sind Zehntausende gut verdienende Menschen aus Deutschland, halb Europa und weiteren Ländern zugezogen. Dazu kommen die internationalen Wohngemeinschaften von Studenten, die höhere Mieten zahlen können als eine größere Neuköllner Arbeiter- oder Angestelltenfamilie.

Der Streit um die Zukunft des «Syndikats» macht deutlich, was sich an vielen Ecken Berlins entlädt: Wem gehört die Stadt eigentlich? Wie verändern Geld und Investoren eine Gegend? Das «Syndikat» war nicht die erste Kneipe in Neukölln, die Probleme mit dem Vermieter bekam. Einige Anwohner fanden, jetzt verschwinde ein weiterer linker Ort in Berlin. Es dürfte nicht der Letzte sein.

dpa rab/kil/kru yybb a3 mjm