Der Flug fällt aus oder verspätet sich stark: Passagiere in der EU können dann oft auf Entschädigung hoffen – bis zu 600 Euro sind drin. Was kaum einer weiß: So eine Regelung gibt es auch in der Türkei. Ankara/Hannover (dpa/tmn) – Die Situation ist mehr als ärgerlich: Am Flughafen von Bischkek in Kirgistan informiert Turkish […]

Der Flug fällt aus oder verspätet sich stark: Passagiere in der EU können dann oft auf Entschädigung hoffen – bis zu 600 Euro sind drin. Was kaum einer weiß: So eine Regelung gibt es auch in der Türkei.

Die Situation ist mehr als ärgerlich: Am Flughafen von Bischkek in Kirgistan informiert Turkish Airlines die Passagiere, dass das Flugzeug nach Istanbul leider nicht pünktlich abfliegen könne. Von der Türkei aus soll es weiter nach Berlin gehen. Doch offenbar gibt es Probleme mit der Maschine, die aus der Mongolei kommt. Das Flugzeug werde voraussichtlich mit zehn Stunden Verspätung starten, heißt es. So geschehen im August 2019.

Statt noch am Abend werden die deutschen Passagiere, die über Istanbul nach Hause fliegen, erst am nächsten Morgen in der Heimat sein. Bis zum Abflug geht es wieder ins Hotel. Steht den Fluggästen für dieses Ärgernis eine Entschädigung zu? Zunächst könnte man denken, die Chancen stehen schlecht. Denn Turkish Airlines hat ihren Sitz nicht in der EU.

Zudem startet der verspätete Flieger in diesem Fall außerhalb der EU. Damit greift die EU-Fluggastrechteverordnung nicht. Sie gilt zwar für alle Airlines mit Sitz in der EU. Kommt die Fluggesellschaft jedoch nicht aus der Union, greift sie nur für Flüge, die in der EU abheben. Wer also mit einem türkischen Carrier zum Beispiel von Antalya zurück nach Frankfurt oder Hamburg fliegt, hat scheinbar Pech.

Fluggastrechte in der Türkei

Trotzdem wird Turkish Airlines am Ende 600 Euro Entschädigung zahlen. Das Zauberwort heißt: Shy-Abkommen. Die staatliche Verordnung regelt seit 2012 die Fluggastrechte in der Türkei – nur weiß kaum ein deutscher Urlauber davon. «Die haben im Prinzip die EU-Fluggastrechte abgeschrieben», erklärt Rechtsanwalt Paul Degott aus Hannover. Das Abkommen gelte für alle türkischen Fluggesellschaften, nicht nur Turkish Airlines. Auch Pegasus und Sunexpress sind zum Beispiel eingeschlossen.

Geld zurück bei Annullierungen

Die EU-Fluggastrechteverordnung räumt Passagieren umfangreiche Rechte bei Annullierungen und Verspätungen ein. Sofern ein Flugausfall oder eine deutliche Verzögerung von der Fluggesellschaft zu verantworten ist, gibt es Geld zurück – je nach Flugstrecke in der Regel 250, 400 oder 600 Euro. Zwar drücken sich einige Airlines auch bei berechtigten Ansprüchen um die Zahlung. Trotzdem bekommen gestrandete und verspätete Kunden häufig ihre Entschädigung.

Das Shy-Abkommen ist in weiten Teilen ans EU-Recht angelehnt. Wer als deutscher Reisender mit einer türkischen Airline über die Türkei fliegt, kann auf jeden Fall bei Flugausfällen auf Geld hoffen. Turkish Airlines verweist in seinen Passagierrechten auf das Abkommen – und nennt ebenfalls die Summen 250, 400 und 600 Euro.

Rechtsdurchsetzung schwierig

Ganz so einfach wie in der EU ist es aber nicht. Reiserechtsexperte Degott weist darauf hin, dass Deutsche bei Streitfällen wohl meist schlechte Karten haben. «Da muss man sich einen türkischen Anwalt nehmen und in der Türkei vor Gericht gehen. Ob das für 400 Euro Sinn macht, ist die Frage.» Den Aufwand scheuen die meisten wohl.

Und längst nicht jeder Fall ist eindeutig. Auch in der EU berufen sich die Fluggesellschaften oft auf außergewöhnliche Umstände – zum Beispiel Sicherheitspannen an Flughäfen oder Gewitter. Hier müssen die Airlines in der Tat keine Ausgleichszahlung leisten.

Doch oft reden sie sich heraus, etwa bei technischen Pannen, die sie nicht von der Zahlung befreien. Der Verbraucher muss sich dann Hilfe durch eine Schlichtungsstelle, ein Inkasso-Portal oder einen Anwalt suchen. Streitfälle landen nicht selten vor Gericht.

Geht es um Ansprüche aus dem Shy-Abkommen, sieht es mit dem rechtlichen Beistand kompliziert aus. Deutsche Gerichte halten das Abkommen hierzulande für nicht anwendbar. Fluggastrecht-Portale in Deutschland nehmen solche Fälle meist nicht an.

Wie sieht es bei Verspätungen aus?

In der Rechtsprechung in den EU-Ländern hat sich durchgesetzt, dass die Verschiebung eines Fluges um mehr als drei Stunden einer Annullierung gleichkommt – mit entsprechenden Ansprüchen. «Das gilt in der Türkei so nicht», erläutert Degott. Allerdings scheinen türkische Airlines deutliche Verspätungen in der Praxis ebenfalls als Flugausfälle zu werten. Zumindest gibt es entsprechende Berichte im Internet. Und auch im eingangs beschriebenen Beispielfall war es so.

Ein glückliches Ende

Der Kunde muss bei Turkish Airlines ein Online-Formular zu dem strittigen Flug ausfüllen und entsprechende Belege anhängen. Daraufhin wird der Fall von der Fluggesellschaft geprüft. Nach einigen Tagen meldet sich tatsächlich das Customer Relations Center mit einer E-Mail auf Englisch.

Darin bestätigt die Fluggesellschaft eine Verspätung von 10 Stunden und 20 Minuten, wodurch der Fluggast leider seinen Anschluss in Istanbul verpasst habe. Der Kunde erhält ein sogenanntes Electronic Travel Voucher (EMD) in Höhe von 600 Euro. Das EMD könne benutzt werden für den Kauf neuer Flugtickets oder sonstiger Leistungen. Auch eine Erstattung sei möglich.

Der Kunde wird in der E-Mail gebeten, seinen Reisepass zu scannen und zusammen mit den Bankdaten an das zuständige Sales Office zu schicken – in diesem Fall am Flughafen Berlin-Tegel. Dort verspricht man, alles weiterzuleiten. Die Bearbeitung könne bis zu 14 Werktage dauern. Noch einige Tage Geduld.

Am Ende kommt tatsächlich eine Überweisung von 600 Euro. Zumindest in diesem Fall hat die Entschädigung problemlos funktioniert. Und so hat der Verspätungsärger letztlich auch etwas Gutes: Die Reise nach Kirgistan hat sich unverhofft vergünstigt.

dpa/tmn pla a3 yyzz neb sw