Haben sie schon einmal von der amerikanischen Schweiz gehört? Sie befindet sich in Colorado – und bietet mit Ouray und Silverton zwei schmucke Städtchen mit Wildwest-Nostalgie. Ouray (dpa/tmn) – Lag es an der Ähnlichkeit zu den Alpen oder am Heimweh? Europäische Siedler tauften die Bergwelt rund um Ouray die amerikanische Schweiz. Sie benannten außerdem ein […]

Haben sie schon einmal von der amerikanischen Schweiz gehört? Sie befindet sich in Colorado – und bietet mit Ouray und Silverton zwei schmucke Städtchen mit Wildwest-Nostalgie.

Lag es an der Ähnlichkeit zu den Alpen oder am Heimweh? Europäische Siedler tauften die Bergwelt rund um Ouray die amerikanische Schweiz. Sie benannten außerdem ein zweites Wetterhorn. Der Namensbruder in Colorado ist mindestens so markant wie das Original im Berner Oberland. Und sogar ein Matterhorn gibt es.

Die Rocky Mountains sehen hier in der Tat außergewöhnlich harsch und schroff aus. Das Gebirge ist geologisch sogar noch viel älter als die zackigen Alpen. Das Bergdörfchen Ouray wird auf drei Seiten von Gipfelriesen eng umschlungen, auf fast 3000 Metern liegt es eingepfercht in einer Trichterschlucht, die der mineraliengelb gurgelnde Uncompahgre River aus dem harten Stein gegraben hat.

Landschaftlich macht Ouray stark auf Doppelgänger. Doch die Menschen beleben das Bilderbuchtal mit einer ureigenen Wildwest-Version von Helvetia. Im Sommer blühen Geranien auf den geschnitzten Holzbalkonen der «Box Canyon Lodge», aber jetzt im Winter wird deutlich: Dies ist kein verpflanzter Alpengasthof, sondern ein waschechtes US-Motel mit vom Matsch verschmierten Offroad-Jeeps auf dem Parkplatz.

Goldrausch und Vertreibung

Colorado war schon immer ein Magnet für Glücksritter und Abenteurer. Ouray wurde zuerst von raubeinigen Bergleuten bevölkert, nicht von Bergbauern. Mit Planwagen rumpelten die ersten Goldgräber 1861 in das abgeschiedene Sackgassental. In Tausenden kleiner und großer Gruben sollten sie bald reiche Bodenschätze finden, allein 120 Tonnen Gold.

Die Region war allerdings seit Jahrhunderten das Zuhause der Tabeguache Ute. Im Sommer jagte das indigene Volk hier Maultierhirsche und Dickhornschafe, im Winter kurierten sie ihren Schnupfen in den vielen heißen Quellen. Chief Ouray (1833-1880) bemühte sich um Frieden, doch letztlich wurde das angestammte Volk vertrieben. Warum sich das Minen-Camp wenig später nach dem groβen einheimischen Häuptling benannte, ist nicht überliefert.

Auf dem Gelände des «Wiesbaden Hot Springs Motel» fanden Archäologen historische Überreste von Ourays Winterquartier: eine Lehmhütte mit zwei Zimmern und Erdkeller, unweit der Heilquelle, die heute den Hotelpool speist. Die natürliche Dampfhöhle unter der Lodge nutzen die Ute noch immer für Zeremonien, erklärt Geschäftsführerin Delinda Austin und legt dann den Finger auf die Lippen. Leise soll man sein. Kondenswasser tropft von Stalaktiten, gleichmäßig wie der Puls. Organisch, dunkel und warm fühlt es sich an.

Mit Cowboyhut ins Thermalbad

Das städtische Thermalquellen-Freibad von 1927 ist geruchlos, weil schwefelfrei. Damals glaubte man noch an den gesundheitlichen Nutzen, anfangs wurde es gar als «radioaktivster Pool» der USA beworben. Typisch amerikanisch war das zum Glück maßlos übertrieben. Andernfalls würde hier heute kaum jemand planschen.

Mit mondänen Schweizer Kurorten kann Ourays Vorzeigepool nicht mithalten. Aber wo sonst tragen exzentrische Badegäste breitkrempige Cowboyhüte und die Rettungsschwimmer im Winter Pudelmützen? Früher waren Gummihauben die bevorzugte Kopfbedeckung, wie die alten Fotos von strahlenden Badenixen im Schnee in der Umkleide zeigen.

Historische Marker prangen an den vielen viktorianischen Gebäuden im Städtchen. Am Outlaw Restaurant ist zu lesen, dass John Wayne hier 1969 in den Drehpausen zu «Der Marshal» Billard spielte und sein Hut noch immer hinter der Bar hängt. Das Geschichtsmuseum verteilt Broschüren für den Rundgang auf eigene Faust.

Die Fassade kam per Eisenbahn

Ouray ist nur neun Blöcke lang, maximal zehn breit, hat eine geteerte Straße, die Main Street, und keine Ampel. Heute wohnen hier noch rund eintausend Menschen. Während des Bergbaubooms um 1890 waren es doppelt so viele. Das prachtvoll entworfene «Beaumont Hotel» mit Schieferdach-Mansarde, Eckturm und goldener Wetterfahne stammt aus dieser Zeit. Wer sich damals keinen Architekten leisten konnte, bestellte per Katalog einen Fassadenbausatz aus Gusseisen-Formteilen bei den Mesker Brothers in St. Louis. Diesen lieferte die Eisenbahn, die 1887 endlich bis Ouray fuhr.

Das Wright Opera House – heute Theater, Kino und Konzertsaal – ist ein hübsches Zeugnis für das einstige Instant-Design. Seine Geschichte hat Ouray erfolgreich bewahrt.

Western-Nostalgie und Tiefschnee-Freuden

Inzwischen sind die meisten Minen ausgebeutet, unrentabel und geschlossen. Geisterstädte und Bergwerksskelette säumen den Million Dollar Highway, 40 haarsträubende Kilometer zwischen Ouray und Silverton. Leitplanken gibt es immer noch nicht, aber immerhin Asphaltbelag. Die erste Version der Passstraße, die ab 1883 an Abgründen entlang gebaute wurde, war gerade mal einen Pferdekarren schmal und steinig. An den Endpunkten warteten damals Güterzüge, um die im Red Mountain District gefundenen Bodenschätze zu verfrachten.

Heute hat Ouray keinen Bahnhof mehr. Aber die Schmalspurstrecke nach Silverton ist weiter aktiv. Historische Dampfloks bringen Ausflügler im Hochsommer bis zu dreimal täglich in das 600-Seelen-Nest mit den bunten Westernhäuschen. Dann erkunden auch Scharen von Mountainbikern und Wanderern die alten Bergbaupfade.

Im Winter pilgern Tiefschneefanatiker zum Silverton Mountain, dem höchsten und steilsten Extrem-Skigebiet Nordamerikas mit nur einem Sessellift, aber vergünstigter Sechserkarte für den Helikopter-Trip zum 2554 Meter hohen Gipfel. Goldmedaillen-Snowboarder Shaun White hat hier schon für Olympia trainiert. Skihasen fahren ihre Bogen besser auf dem sanften Babyhang am Dorfrand.

Ein Hoch auf die Beschaulichkeit

Ouray könnte derweil von der Schweiz lernen. Davos war auch erst kleines Bergdorf, dann ein schickes Heilbad. Inzwischen ist es ein Nobel-Skiort. Aber: «Für so ein Riesen-Resort haben wir zum Glück keinen Platz», sagt Celestino «Bombie» Martinez. Der 66-Jährige ist in Ouray geboren und aufgewachsen, ein Urgestein. Seine Mutter Maria Viola hat im Outlaw schon für John Wayne Huevos Rancheros gebrutzelt. Chefkoch Bombie serviert im gleichnamigen Restaurant die auf Tortillas gebettete Rühreier mit roter Salsa nach Originalrezept.

Tradition, Heimatliebe und die geografische Lage hätten Ouray vor dem Ausverkauf bewahrt, sagt Martinez. Das enge Tal reiche gerade mal für eine öffentliche Schlittenbahn an der 5th Avenue und den Lee’s Ski Hill zwei Straßen weiter, wo sich Ourays Kinderschar seit 1946 nachmittags von einem antiken Schlepplift hochziehen lässt.

Vertikal im gefrorenen Wasserfall

Wilder geht es in der Uncompahgre-Schlucht zu. Dort vereisten jeden Winter die natürlichen Wasserfälle, seit Anfang der 1990er Jahre helfen selbst ernannte Extrem-Klempner mit Leitungswasser und 140 Rasensprengern nach und formen flächendeckend Frostwände für einen «Ice Park». Im Januar treffen sich hier internationale Kletterprofis zu Meisterschaften. Neulinge können Einsteiger-Kurse belegen.

Als Eiskletterer falle man nicht herunter, hat Jesse Selwyn vor der Kletterstunde fest beteuert. Der Kletterlehrer hat gut reden. Haushoch an einem gefrorenen Wasserfall hängend, die Frontalzacken tief eingebohrt und die Eisäxte fest umklammert, hat man als Anfänger so seine Zweifel. Weißblaues Licht schimmert aus der Kaskade bizarrer Eiszapfen, unwirklich schön und grausam kalt. Die Knie zittern.

Das am Hüftgurt eingeknotete Kletterseil zieht fester. Durch eine an der höchsten Stelle verankerte Umlenkung läuft es zurück zum Guide, der vom Boden sichert. Und Bombie will hier als Kind nur in Gummihandschuhen und Turnschuhen gekraxelt sein?

Celestino Martinez lächelt. So eine Ausrüstung hätte er damals auch gerne gehabt. «Wandel ist gut», sagt er. Aber verändern bedeutet nicht vermarkten. «Wir müssen unsere Nische bewahren.» Und meint damit wohl beides – dieses Tal und seine Einmaligkeit.

Info-Kasten: Ouray und Silverton

Reiseziel: Die Kleinstädte Ouray und Silverton liegen im Südwesten des US-Bundesstaates Colorado und sind durch die spektakuläre Höhenstraβe Million Dollar Highway verbunden.

Klima und Reisezeit: Sommer und Herbst sind Hauptsaison für Wanderer, Mountain Biker und Offroad-Fahrer. Im Winter kommen Eiskletterer und Backcountry-Skifahrer. Dann liegen die Temperaturen im Schnitt drei Grad unter dem Gefrierpunkt, es fallen bis zu vier Meter Schnee.

Anreise: Denver ist Colorados internationales Drehkreuz und wurde vor Corona auch von Lufthansa nonstop von Frankfurt aus angeflogen. Dort gibt es Anschlussflüge zu kleineren Regionalflughäfen. Preiswerter und praktischer ist die Buchung eines Mietwagens in Denver.

Einreise und Corona-Lage: Deutsche Urlauber brauchen kein Visum für die USA, müssen unter https://esta.cbp.dhs.gov aber eine elektronische Einreiseerlaubnis einholen. Sie kostet 14 US-Dollar und gilt zwei Jahre. Derzeit sind touristische Einreisen in die USA aufgrund der Pandemie nicht möglich.

Übernachtung: Anonyme Kettenhotels gibt es in beiden Orten nicht, dafür individuelle Unterkünfte in vielen Preisklassen. Ourays schick renoviertes viktorianisches «Beaumont Hotel» ist eine Institution seit 1886. Das rustikale «Box Canyon Motel» hat seine eigenen heißen Quellen. Das Gasthaus «Avon» in Silverton war einmal Saloon.

Informationen: Colorado Tourism Office c/o Get It Across Marketing, Neumarkt 33, 50667 Köln (Tel.: 0221/47 67 12 0, E-Mail: colorado@getitacross.de, https://colorado.visittheusa.com/de-de).

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