Auf Segelkreuzfahrt: Odyssee in der Ägäis
Die Haare im Wind, salzige Luft in der Nase, immer nah am Wasser: Eine Segelkreuzfahrt durch die Inselwelt der Kykladen ist ein großartiges Erlebnis. Doch wenn der Meltemi in Sturmstärke bläst, wird jeder Passagier auf die Probe gestellt. Thira (dpa/tmn) – Schon vor dem Ablegen wird klar, dass dies eine Kreuzfahrt im wörtlichen Sinne ist. […]
Thira (dpa/tmn) – Schon vor dem Ablegen wird klar, dass dies eine Kreuzfahrt im wörtlichen Sinne ist. Der Wind bestimmt zwar nicht die Route, aber er legt die grundlegenden Bedingungen fest. «Er kommt aus Nordwest, wir müssen nach Nordwest», sagt der Kapitän der «Chronos», Niko Göttert. Nicht gerade einfach. «Ich glaube, ich kann die ganze Woche keine verlässliche Zusage über die nächsten zehn Minuten geben.»
Fest steht: Die kleine Segeljacht bringt die 22 zahlenden Gäste an Bord in den nächsten Tagen zum Hafen Porto Rafi bei Athen, es geht durch die Inselwelt der Kykladen. Der Ausgangspunkt der Kreuzfahrt ist schon der erste Höhepunkt: Santorin mit seinen weiß getünchten Häusern und den blauen Kuppeldächern.
Göttert, 53, ist noch am Vortag mit dem letzten Flugzeug auf die Insel geflogen. Er hat das Steuer der «Chronos» spontan von einem Kollegen übernommen und nun das Kommando über die zehnköpfige Crew auf dieser Tour durch die Ägäis. In den vergangenen Jahren war er vor allem auf dem Schwesternschiff «Rhea» auf den Weltmeeren unterwegs.
Cruisen vor vulkanischer Kulisse
Die Anker werden gelichtet, die «Chronos» besitzt davon gleich zwei. Ein einziger würde bei starkem Wind nicht ausreichen, um das 54 Meter lange Schiff an Ort und Stelle zu halten. Unmerklich startet Göttert die Dieselmotoren, langsam nimmt das Schiff Fahrt auf.
Rund um die Uhr laufen auf dem Segelschiff außerdem Generatoren. Sie produzieren Energie für Kühlschränke, Küchengeräte und Klimaanlagen in den Kabinen, entsalzen Meerwasser oder laden die elektronischen Geräte der Gäste.
Den ersten Teil der Tagesetappe absolviert Göttert unter Motor. Es geht ganz dicht an der steilen Küste Santorins entlang. Schon vor zwei Millionen Jahren galt dieses Gebiet als vulkanisch. Hier taucht die afrikanische Platte unter die europäische, so entstanden diverse Vulkane – und einer ist die Inselgruppe Santorin. Der westliche Rand der Caldera ist inzwischen im Meer versunken.
Auf Nimmerwiedersehen, Kappe!
Sobald die «Chronos» die ruhigen Gewässer innerhalb des Kraters verlässt, ändern sich die Bedingungen. Ein starker Nordwestwind bläst den ersten Passagieren die Kappen vom Kopf. Eine verschwindet im Meer.
Der Kapitän beobachtet die Windbedingungen mit sorgenvoller Miene. Die Crew wird aktiv. Der Katalane und Steuermann Joan, Bootsfrau Ellen aus den Niederlanden und Matrose Tom aus Deutschland hieven drei Segel empor. Insgesamt verfügt die «Chronos» über 1000 Quadratmeter Segelfläche. Sobald sie gesetzt sind, ändert sich die Schräglage des Schiffes: Es kippt dramatisch mit dem Wind und bleibt in dieser Stellung.
Die «Chronos» nimmt nun unter Segel Fahrt auf. Sie ist ab diesem Moment mit einer nicht-fossilen Energiequelle und damit ökologischer als gewöhnliche Kreuzfahrtschiffe unterwegs.
Durch den starken Gegenwind kommt den Passagieren die Geschwindigkeit schneller vor, als sie tatsächlich ist. Die «Chronos» bewegt sich eigentlich nur mit sechs bis sieben Knoten, also etwa zwölf Kilometern pro Stunde. Das Tagesziel wird immer unerreichbarer. Göttert steuert daher auf die kleinen Kykladen zu und findet kurz vor Sonnenuntergang einen Liegeplatz vor einem Kieselstrand. Hier liegt die «Chronos» windgeschützt.
Wind von vorne und Sonne von oben
Mit zunehmender Dunkelheit lässt der Wind nach, ein typisches Merkmal des Meltemi, wie der Kapitän beschreibt. Der Meltemi weht in den Sommermonaten von April bis Oktober vom Festland Griechenlands in Richtung Kreta. Dann herrscht stets heiteres Wetter und klare Sicht.
Nikos Gesicht ist nach einem Tag knallrot. Sonnenbrille und Mütze konnten die Sonne zwischen dem grauem Bart und den blonden – mit Salzkristallen behafteten – Haaren nicht zurückhalten.
Auch für den folgenden Tag ist klare Sicht und tiefblauer Himmel gemeldet. Es scheint, als ob der Meltemi in diesem Jahr sein Maximum im September erreichen will. «Normalerweise flaut er zu dieser Jahreszeit ab», erklärt der Kapitän.
Die Sonne geht hinter der Insel Keros auf, als die ersten Passagiere im türkisfarbenen Meer baden. Es ist sieben Uhr. Bei dieser Reise ist das schwimmende Hotel die ganze Woche auf dem Wasser. Vor allem morgens und abends besteht die Möglichkeit zum Baden.
Die Bedingungen werden anspruchsvoller
Erst mit dem Sonnenaufgang wird der Wind heute langsam stärker. «22 Knoten Windgeschwindigkeit hat der Wetterdienst für heute gemeldet», verrät Göttert beim Morgenbriefing. Ihm geht es nach einem kurzen Landgang darum, schnell loszumachen. Von Tag zu Tag ist der Kapitän angespannter und studiert stundenlang die Wetterkarten.
Porto Rafti rechtzeitig zu erreichen, wird wegen des starken Winds immer schwieriger. Und auch die Passagiere an Bord werden angespannter. Sie haben sich für eine Segelkreuzfahrt entschieden, um unter Segeln unterwegs zu sein – aber auch, um diverse Inseln zu besuchen. Stattdessen besteht der längste Teil des Tages wegen der widrigen Bedingungen aus dem Segeln selbst. Je mehr das Schiff im Wind kippt, desto mehr droht auch die Stimmung zu kippen. Daher entschließt sich der Kapitän für einen Badestopp vor der Insel Donousa.
Selbst in der windgeschützten Bucht türmen sich kleine Wellen auf. Jetzt besser dicht beim Schiff bleiben. «Bei solch einem starken Wind wirkt schon der Kopf wie ein Segel, und du treibst ab», warnt Göttert.
Ein unglücklicher Zufall im Wasser
Ein Paar ist mutig genug fürs Schwimmen. Gerade als die beiden die Spitze des Segelschiffes erreichen, verliert der Anker seinen Halt. Das Schiff driftet ab. Die beiden Schwimmer treiben in die entgegengesetzte Richtung. Die Crew erkennt sofort den Ernst der Lage. Die beiden Badegäste sind bereits zweihundert Meter entfernt, als die Aufholjagd beginnt. Nach wenigen Minuten erreichen beide die Badetreppe. Sie kommen an Bord und mit dem Schrecken davon. Schwimmausflüge sind jetzt gestrichen. Die Odyssee in der Ägäis geht weiter.
Die Bordinstrumente melden inzwischen 54 Knoten Wind. Auf dem Oberdeck kann man kaum noch sitzen. Essen gibt es nur noch unter Deck. Der Koch Tyler Scott Read scheint mit dem Geschaukel und der Schräglage kein Problem zu haben. In seiner Kombüse ist er den ganzen Tag zugange. Ganz alleine versorgt der Kanadier Passagiere und Crew.
Weil es draußen immer ungemütlicher wird, statten einige Passagiere Tyler einen Besuch ab. Er bereitet gerade das Abendessen vor und filetiert Lachs. Aus den Resten zaubert er für seine Besucher in der Bordküche ein Lachstatar. Schmeckt fabelhaft. Regionale Speisen kommen in den Tagen auf dem Segelschiff leider kaum auf den Tisch. Es gibt mehrmals Lachs, aber nie griechische Klassiker wie Tsatsiki, Saganaki, Gyros oder Moussaka.
Der Gott des Windes dreht noch einmal auf
Die Nacht ist wegen der rauen Bedingungen kurz. Der Meltemi pfeift zwischen den Seilen des Segelschiffs ein gruseliges Lied. Die Anker schaffen es am Morgen nicht mehr, das Boot zu halten. Abfahrt. Die Wellen haben weiße Spitzen und versuchen sich aufzutürmen, ehe sie vom Sturm zerrissen werden. Die Gischt peitscht über die Reling. Nur noch zwei Segel sind oben, auf halber Höhe. Sie stehen enorm unter Spannung.
Der Wind pfeift über die Berge der Insel Tinos hinweg und sinkt dann nach unten. Diese sogenannten Fallwinde sorgen für ein bis zwei weitere Windstärken. Windstärke zehn messen die Bordinstrumente. Passenderweise ist Tinos in der griechischen Mythologie der Geburtsort des Windgottes Aioles.
Die Crew ist permanent damit beschäftigt, das Schiff zu sichern. Dann droht eines der Segel aus der Öse zu reißen. Matrose Tom entdeckt das als Erster, die Segel werden eingefahren. Jetzt geht es nur noch mit Maschinenkraft weiter. Teilweise macht die «Chronos» nur einen Kilometer pro Stunde gut. Tinos zieht einfach nicht vorbei. Es ist, als würde Aioles das Segelschiff festhalten. Drei, vier Stunden zieht sich das. Dann ist das nördliche Ende der Insel erreicht, die Fallwinde verschwinden. Und wieder hoch die Segel.
Wenig später ankert das Schiff im Hafen von Andros. Geradezu majestätisch überragt die «Chronos» alle anderen Schiffe im Hafenbecken. Göttert und seine Crew studieren zu diesem Zeitpunkt schon wieder die Wetterkarten für den nächsten Tag. Übermorgen ist Flaute. Aber morgen der wohl härteste Sturmtag dieser Reise.
Wilde Fahrt unter Sternen
Um zwei Uhr nachts weckt die Passagiere ein bekanntes Geräusch. Die Anker werden eingeholt. Langsam setzt die «Chronos» zur Fahrt an. Als sie das windgeschützte Hafenbecken verlässt, beginnt das Schaukeln. Einige Passagiere schleudert es fast aus dem Bett. Die ganze Nacht segelt das Schiff durch, um den Sturm zu umfahren, der sich für den Tag angekündigt hat. Außerdem will der Kapitän den Passagieren vor den Toren Athens einen letzten schönen Landtag bescheren.
Die wilde Fahrt bei Mondschein führt über die Ägäis nach Nordwesten. Die Wellen sind so stark, dass sie die Bullaugen der Kabinen alle paar Minuten mit Wasser benetzen. Schlafen kann kaum jemand. Daher verfolgen einige Passagiere das Treiben an Deck. Pünktlich zum Frühstück werden die Anker gesetzt. Das Ziel ist erreicht.
Mühevoll hat sich die «Chronos» 224 Seemeilen durch die Ägäis gegen den Meltemi gearbeitet – ein Kampf gegen die Naturgewalten. Kaum vorstellbar, wie Segler vor Jahrhunderten so etwas überstanden.
Die Urlauber an Bord der «Chronos» haben das Segelabenteuer trotz aller Widrigkeiten gut verkraftet. «Niemand hat sich in den letzten Tagen übergeben, das hat es noch nie gegeben», sagt Niko Göttert. Bei diesen rauen Bedingungen sei das bemerkenswert.
Der letzte Tag dieser Reise kann für die Passagiere beginnen – Göttert geht ins Bett. Seinen ersten Segeltörn als Kapitän auf der «Chronos» hatte er sich anders vorgestellt.
Info-Kasten: Segelkreuzfahrt in der Ägäis
Anreise: Santorin ist von mehreren deutschen Flughäfen per Nonstopflug erreichbar. Darüber hinaus gibt es viele Verbindungen mit Zwischenstopp in Athen.
Reisezeit: Die Zeit von August bis Mitte Oktober ist am besten für Segelreisen in Griechenland geeignet. Zu dieser Zeit bieten die Anbieter auch ihre Reisen an.
Veranstalter: Bekannte Anbieter von Segelreisen in der Ägäis sind zum Beispiel Sailing-Classics (www.sailing-classics.com), Sea Cloud Cruises (www.seacloud.com) und Star Clippers (www.star-clippers.de).
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