Hawaii nach dem Vulkanausbruch: Neues Leben in der Lava Von Jörg Michel, dpa
Der spektakuläre Ausbruch des Kilauea-Vulkans vor einem Jahr hat auf der Insel Hawaii vieles verändert. Einige Reiseziele sind für immer verschwunden – andere ganz neu entstanden. Hilo (dpa/tmn) – An einem Frühlingstag 2018 zitterten im Büro des Seismologen Brian Shiro die Wände. Bücher fielen aus den Regalen, später splitterten Glasscheiben, und im Zement taten sich […]
Der spektakuläre Ausbruch des Kilauea-Vulkans vor einem Jahr hat auf der Insel Hawaii vieles verändert. Einige Reiseziele sind für immer verschwunden – andere ganz neu entstanden.
Hilo (dpa/tmn) – An einem Frühlingstag 2018 zitterten im Büro des Seismologen Brian Shiro die Wände. Bücher fielen aus den Regalen, später splitterten Glasscheiben, und im Zement taten sich Risse auf. Draußen vor dem Museum am Kilauea-Vulkan auf Hawaii lösten sich Brocken aus den Felsen und rauschten in die Tiefe. Shiro verkroch sich unter seinen Schreibtisch. Sicher ist sicher.
Auf Hawaii ist man Erdbeben gewöhnt, doch dieses war besonders: Mit 6,9 auf der Richterskala war es so stark wie kein anderes, das die Hauptinsel des hawaiianischen Archipels, auch Big Island genannt, in den vergangenen 40 Jahren erschütterte. Dazu kamen viele Nachbeben.
«Es war dramatisch, und doch waren wir erst am Anfang», erinnert sich Shiro, der im Vulkanforschungsinstitut von Hawaii in Hilo arbeitet.
Bis zum vergangenen Jahr hatte Shiro sein Büro direkt am Kraterrand des Kilauea, einem der aktivsten Vulkane der Erde. Doch schon wenige Tage nach den Beben sackte der Krater ab. Der bis dato rot glühende Lavasee erlosch, eine Aschewolke quoll zehn Kilometer in den Himmel. Das Museum wurde für Besucher geschlossen.
«Panik im Paradies» titelten manche Zeitungen vielleicht etwas übertrieben. Tatsächlich aber war der Ausbruch einer der schwersten auf Hawaii seit gut 200 Jahren. Zwischen Mai und August 2018 öffneten sich an den Flanken des Kilauea allerorten Erdspalten. Die daraus hervorquellende Lava begrub 700 Häuser und machte tausende Menschen obdachlos. Für den Tourismus war es ein Einschnitt.
Der Kilauea ist Teil des Hawaii Volcanoes National Park und liegt auf der größten Insel des Archipels, die so heißt wie die gesamte Kette: Hawaii. Mit rund zwei Millionen Besuchern im Jahr gehörte der Park bislang zu den größten Attraktionen der Inselwelt im Pazifik, die aus acht größeren Inseln und kleineren Atollen besteht.
Während der Eruptionen war der Nationalpark für 134 Tage geschlossen, so lange wie noch nie in seiner über hundertjährigen Geschichte. Die Besucherzahlen fielen um knapp die Hälfte.
Seit seiner stufenweisen Wiedereröffnung im Herbst kehren die Touristen zurück. Aber noch nicht so häufig wie vor dem Ausbruch, erzählt Park-Sprecherin Jessica Ferracane. Bis heute sind einige Attraktionen in Park wegen Einsturzgefahr gesperrt, darunter das historische Jaggar-Museum, neben dem Shiro sein Büro hatte.
Geschlossen bleiben vorerst die populäre Lava-Grotte Nahuku, Teile des Wanderwegenetzes und eine Terrasse, auf der Besucher einst den Schimmer des mittlerweile versiegten Lavasees bewundern konnten.
Die Mehrheit der Wege und Aussichtspunkte rund um den spektakulären Halemaumau-Krater aber sind wieder offen. Das «Volcano House», das einzige Hotel im Park, empfängt nach fünf Monaten Zwangspause wieder Gäste. Durch die Fenster des traditionsreichen Hauses können Besucher tief in den Krater blicken und die Veränderungen bestaunen.
«Die Kräfte der Natur haben Spuren hinterlassen», sagt Shiro und zeigt nach draußen. Der Krater ist heute 15 Mal voluminöser als früher, sein Boden ist von 85 auf 500 Meter Tiefe abgesackt. Die Ringstraße, die einst um den Krater führte, ist teilweise abgebrochen. Asphaltstücke hängen wie surreale Kunstwerke auf halber Tiefe auf einem Felsvorsprung.
Beeindruckend ist ein Spaziergang über einen eineinhalb Kilometer langen Abschnitt der alten Ringstraße, der für Fußgänger und Radfahrer geöffnet wurde und am Parkplatz Devestation beginnt. Der enorme Druck des Magma hat den Asphalt nach oben gestülpt und tiefe Risse im Belag hinterlassen, die mit Stahlplatten überdeckt und so passierbar gemacht wurden. Überall kämpft sich die Tier- und Pflanzenwelt zurück. In den Asphaltspalten wachsen rot blühende Sprösslinge von Ohia-Bäumen, die bestens mit den harschen Bedingungen am Vulkan zurechtkommen. Am Himmel kreisen Schwärme von weißen Topik-Vögeln, die vor dem Ausbruch geflüchtet waren und nun in ihre Nistplätze in der Kraterwand zurückkehren.
Auch außerhalb des Parks hat sich vieles verändert. Auf der Puna-Halbinsel, einer beliebten Urlaubsregion im Südosten der Insel Hawaii, hatte die Lava Landstraßen überrollt und Orte von der Außenwelt abgeschnitten. Sie hat Feriensiedlungen, einen Süßwassersee und Schnorchelstrände wie den beliebten Champagner Pond von Kapoho unter sich begraben.
Was für Besucher zunächst nach Verwüstung aussieht, hat für Hawaiianer eine tiefergehende Bedeutung. Viele Einheimische, deren Vorfahren zum Beispiel aus Polynesien oder Asien auf den Archipel gekommen waren, sehen spirituelle Kräfte am Werk.
«Während der Eruption hatte ich das Gefühl, die Insel erwacht zum Leben. Es fühlte sich sehr göttlich an», sagt Michael Newman, der als Ranger im Nationalpark arbeitet. Newman steht am Kraterrand des Kilauea und zeigt nach oben. Aus einer Erdspalte neben ihm steigen Dampfwolken auf. In der Luft liegt der Geruch von Schwefel, das hier aus dem Erdreich geblasen wird.
Newman wurde auf dem Archipel geboren, und die mündlichen Überlieferungen der Gemeindeältesten haben auch sein Verständnis geprägt. Wie viele Hawaiianer glaubt er an die Macht von Pele: Die Göttin des Feuers ist den Legenden nach für die Erschaffung der Inseln verantwortlich, die geologisch aus Gipfeln pazifischer Unterwasservulkane bestehen.
Pele soll direkt im Halemaumau-Krater des Kilauea wohnen und die Eruption 2018 angestoßen haben. «Viele Menschen sehen in dem Vulkan etwas Furchterregendes. Dabei übersehen sie, dass Pele mit jedem Ausbruch neues Land und damit neues Leben schafft», sagt Newman. Hawaiianer sprechen von Mana, spiritueller oder göttlicher Fügung.
An kaum einem anderen Ort bekommt man dafür besser ein Gefühl als in Pohoiki, einem idyllischen Küstenabschnitt im Süden von Puna, an dem der Lavafluss im letzten Jahr nach gut drei Monaten Ausbruch zum Stillstand gekommen war. Seitdem hat sich Pele zur Ruhe gelegt. Nirgendwo auf Hawaii ist derzeit glühende Lava zu sehen.
Die Fahrt nach Pohoiki führt über eine unbefestigte Straße, die erst kürzlich durch drei frische Lavaströme geschlagen wurde. Entlang der Strecke hat der Vulkan zwei Kilometer neue Küstenlinie geschaffen, Land so groß wie 500 Fußballfelder. Es sind Flächen, auf denen einmal Kaffeepflanzen wachsen werden, Papaya- oder Mangobäume.
An dem Ende der Piste dann das Werk Peles: An einer Bucht mit grünen Kokospalmen ist durch den Ausbruch ein sagenhafter Badestrand aus feinem schwarzen Sand entstanden, ein neuer Favorit für Einheimische und Touristen. In der Luft liegt der Duft von frischem Grillfleisch, Kinder plantschen in flachen Pools, Surfer reiten meterhohe Wellen.
Wie Pele dieses neue Paradies geschaffen hat? Rick Hazlett, ein Vulkanologe und Geologe aus Hilo, erklärt: «Als die kochende Lava unweit von hier zischend in den Pazifik strömte, wurde sie vom entstehenden Wasserdampf sogleich in feine Sandpartikel zersetzt.» Die Meeresströmung hat den schwarzen Sand dann binnen weniger Tage an Land gespült, wo er sich seitdem auftürmt.
Wie lange der Strand existieren wird, weiß niemand. Vielleicht Jahre, vielleicht Jahrtausende. Alles hängt davon ab, wann und wo Pele wieder aktiv wird. Zuletzt haben Forscher nach Monaten der Ruhe wieder leichten Druck in den Magmakammern des Kilauea gemessen. Was das genau zur Folge hat, ist noch offen. Oder wie man auf Hawaii sagen würde: Es ist Mana.
Info-Kasten: Hawaii
Reisezeit: Hawaii lässt sich zu allen Jahreszeiten erkunden. Die Temperaturen schwanken nur wenig und liegen an den Küsten das ganze Jahr über in der Regel zwischen 20 und 35 Grad.
Anreise: Über Seattle, San Francisco oder Los Angeles zum Flughafen Kailua-Kona auf der Insel Hawaii. Von dort sind es rund zwei Stunden Autofahrt in den Hawaii Volcanoes National Park.
Einreise: Deutsche USA-Urlauber brauchen einen Reisepass und müssen sich online eine elektronische Einreiseerlaubnis (Esta) besorgen. Sie kostet 14 US-Dollar und gilt zwei Jahre lang.
Informationen: Hawaii Tourism Europe, c/o Lieb Management, Bavariaring 38, 80336 München (Tel.: 089/689 06 38 55, https://www.gohawaii.com/de).