Der Verbandschef nennt den Tourismus eine Friedensindustrie, weil er Grenzen überwindet. Kritiker sehen hingegen die Grenzen des Wachstums erreicht. Berlin (dpa) – Völkerverbindend sei der Tourismus, ein großer Wirtschaftsfaktor, auch und gerade für Entwicklungsländer. Zehn Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung werde von der Reisebranche geschaffen, sagt der Berliner Messechef Christian Göke, und die Bundeskanzlerin Angela Merkel […]

Der Verbandschef nennt den Tourismus eine Friedensindustrie, weil er Grenzen überwindet. Kritiker sehen hingegen die Grenzen des Wachstums erreicht.

Berlin (dpa) – Völkerverbindend sei der Tourismus, ein großer Wirtschaftsfaktor, auch und gerade für Entwicklungsländer. Zehn Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung werde von der Reisebranche geschaffen, sagt der Berliner Messechef Christian Göke, und die Bundeskanzlerin Angela Merkel erwähnt das auch.

Zum Auftakt der Internationalen Tourismus-Börse (ITB) in Berlin sind sich Politiker und Branchenfürsten einig: Wenn Menschen viel reisen, ist das eine gute Sache. «Der Tourismus ist eine Friedensindustrie», meint sogar der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Tourismuswirtschaft, Michael Frenzel – angesichts einer Welt, die von Kriegen und Unruhen erschüttert werde.

Auf der anderen Seite soll der Tourismus immer «nachhaltiger» werden. Dieses Credo fehlt auf der ITB in keiner Rede. Den Widerspruch drückt etwa Manuela Schwesig aus, die Ministerpräsidentin aus Mecklenburg-Vorpommern. «Unser Ziel ist, international bekannter zu werden», sagt sie über die Urlaubsregion im Nordosten Deutschlands. Aber auch: «Wir wollen nicht die Übernachtungszahlen nach oben schrauben.» Eine Abkehr vom «sanften Tourismus» dürfe es nicht geben. Anders als es der Werbeslogan «Endlich Ruhe» für Mecklenburg-Vorpommern verspricht, ist es mit dem sanften Erholen in manch überlaufenem Ostseebad im Sommer aber nicht weit her.

Die jüngste Studie zu weltweiten Reisetrends hat ergeben, dass 24 Prozent aller Auslandsreisenden den Eindruck hatten, dass der besuchte Ort von Touristen überfüllt war. Aber lediglich 9 Prozent seien deshalb genervt gewesen. Die Zahlen sagen freilich nichts darüber aus, wie die Einheimischen den Touristenandrang wahrnehmen. Lärm auf den Straßen, Schmutz, mehr Verkehr sind nur die offensichtlichsten Folgen.

Das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt stellt fest, der stetig wachsende Tourismus führe zu Engpässen bei der Wasserversorgung und zu Konflikten um Landrechte. Oft dienten neue Infrastrukturprojekte nur dem Tourismus und gingen an den Bedürfnissen der Bewohner vorbei, sagt die Expertein Antje Monshausen.

Umweltorganisationen beklagen schon lange den Effekt des Reiseverkehrs auf den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid. Besonders am Pranger stehen Flugreisen. Auf der ITB ist dazu kaum etwas zu hören. Die Naturfreunde Deutschlands werfen der Branche vor, auf ungebremstes Wachstum zu setzen. «Klimaschutz und Massentourismus vertragen sich nicht», sagt der Bundesgeschäftsführer Hans-Gerd Marian. Und: «Nichts ist klimaschädlicher im Verkehrssektor als Interkontinentalflüge.»

Die Touristiker freuen sich dagegen über ein Plus von fünf Prozent mehr Flugreisende in Deutschland im vorigen Jahr auf nun 235 Millionen. Die jüngste Reiseanalyse der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) zeigt zudem, dass Flugreisen bei den Deutschen auch relativ zunehmen. Ihr Anteil an allen Reisen von mindestens fünf Tagen Dauer stieg von 39 Prozent (2016) auf 40 Prozent (2017). Im Jahr 2010 waren es 37 Prozent. Reisen mit dem Auto und Wohnmobil liegen bei sinkender Tendenz mit 46 Prozent noch vorn. Bus (7 Prozent) und Bahn (5 Prozent) sind abgeschlagen.

Selbst die Pleite von Air Berlin, mit der etliche Nonstop-Verbindungen von deutschen Städten zu Zielen im europäischen Ausland erst einmal wegfielen, hat diesen Trend kaum gebremst. Der Knick bei der Passagierzahlen in Berlin-Tegel und Düsseldorf dürfte schon in diesem Sommer ausgebügelt sein. Eurowings, Ryanair und Easyjet bauen ihre Angebote von deutschen Flughäfen kräftig aus. Fast alle Lücken im Flugplan werden dann wieder geschlossen sein.