Im Interview erklärt EU-Parlamentarier Jan-Christoph Oetjen (FDP), wie die EU den Hochlauf der SAF-Produktion unterstützen möchte, warum er für die Fluggastrechte kämpft und nicht jeder Forderung der Lufthansa nachkommen kann.

Regulieren hier, neue Gesetzgebungen dort: Selten zeigen sich Lufthansa und Co. zufrieden mit dem, was aus Brüssel kommt. Doch die Europäische Union hat sich einem Binnenmarkt verschrieben, in dem nicht nur hohe Sicherheits-, sondern auch Umweltstandards gelten und in dem Fluggastrechte weiterhin Priorität haben sollen. AERO-Redakteurin Astrid Röben hat sich darüber mit dem EU-Parlamentarier Jan-Christoph Oetjen unterhalten. Der Deutsche ist unter anderem Koordinator der Liberalen Fraktion im Ausschuss für Verkehr und Tourismus.

AERO INTERNATIONAL: Wie wichtig ist dem Europäischen Parlament die Luftverkehrspolitik?

JAN-CHRISTOPH OETJEN: Die Luftfahrt hat einen hohen Stellenwert. In der aktuellen Legislaturperiode sogar einen höheren als in der vorherigen, was unter anderem am Krieg in der Ukraine liegt. Die gesamte Industrie wird nicht nur als Ökosystem, sondern auch als strategisch bedeutend für Europa wahrgenommen.

Insbesondere die Airlines zweifeln dies an. Vor etwa einem Jahr wurde der Draghi-Report publik. Darin wird der Zustand der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Luftfahrt als „alarmierend“ beschrieben. Stimmen Sie dem zu?

Nun, die Luftfahrt kann für die EU einen hohen Stellenwert haben, deswegen müssen wir aber nicht all das umsetzen, was die Airlines fordern. Ich stehe mit den Fluggesellschaften in einem guten Austausch. Und sie haben auch mit ihrer Kritik in einigen Punkten recht. Insbesondere was die Wettbewerbssituation mit Drittstaaten-Carriern anbelangt, kann ich die Sorgen der Lufthansa, KLM oder Air France nachvollziehen. Doch wir können nun einmal unsere Regeln nicht auf Länder ausweiten, in denen wir keinen Einfluss auf die Gesetzgebung haben. Und natürlich versuchen wir aus dem Europäischen Parlament heraus Themen zu adressieren, beispielsweise das Air Traffic Management, das Auswirkungen auf die Kapazitäten im Allgemeinen und die der Airlines im Besonderen hat. Doch Politik muss weiterdenken. Politik ist eine Abwägung von vielen Interessen.

Airlines wirtschaftlich zu schwächen, kann in niemandes Interesse sein …

Natürlich sehe ich, dass in der EU bestimmte Regeln gelten, die dafür sorgen, dass unsere europäischen Fluggesellschaften im internationalen Wettbewerb schlechter gestellt sind als die Konkurrenz aus der Türkei oder vom Golf. Diesem Problem nehmen wir uns parlamentarisch an, und wir bitten auch die Kommission, tätig zu werden. Uns beschäftigt dabei eine ganze Palette an Themen: Da sind beispielsweise die Kosten für alternative Kraftstoffe und den Emissionshandel, die Kosten an Flughäfen oder für Air Traffic Management.

Seit Anfang des Jahres ist die verbindliche Beimischungsquote von zwei Prozent Sustainable Aviation Fuel (SAF) in Kraft. Diese Quote soll sukzessive steigen. Nur wird bei weitem noch nicht ausreichend SAF produziert. Ist EU-seitig Unterstützung beim Markthochlauf geplant?

Tatsächlich haben wir ein von mir entwickeltes Instrument, das sich SAF Allowances nennt und das über den Emissionshandel läuft. Dort gleichen wir die Mehrkosten für alternative Kraftstoffe gegenüber denen für herkömmlichen Treibstoff aus. Das ist ein nachlaufendes System, der Ausgleich erfolgt nach dem Tanken, ist zeitlich begrenzt, hilft aber erst einmal, die Mehrkosten abzufedern. Denn ich hoffe darauf, dass die Kommission in Kürze Vorschläge ins Parlament einbringt, die helfen, das Risiko für Investitionen in alternative Kraftstoffe abzufedern. Wenn nicht schnell in Produktionskapazitäten für alternative Kraftstoffe investiert wird, dann wird auch nicht genügend Treibstoff für die geplanten steigenden Beimischungsquoten produziert.

Wie können Investitionsanreize geschaffen werden?

Da könnte zum einen die Europäische Investitionsbank unterstützen, zum anderen könnten wir als EU wie bereits beim Wasserstoff eine Mittlerrolle einnehmen. Das heißt, dass wir denjenigen, die in alternative Kraftstoffe investieren, eine langfristige Abnahmegarantie geben, ohne dass sich die Airlines langfristig an einen Hersteller binden müssen. Mir persönlich ist außerdem ein dritter Punkt wichtig, den allerdings die Kommission bislang ablehnt: Und zwar, dass Airlines an einem Standort mehr SAF tanken können als gefordert und am anderen dann vergleichsweise weniger. So müssen nicht an jedem Airport alternative Kraftstoffe in großen Mengen vorgehalten werden. Das würde auch den Wettbewerb fördern.

Warum will die Kommission das nicht?

Es heißt, dass es zu kompliziert sei.

Kompliziert mutet dagegen das Tanking-Verbot an, sprich die Unterbindung des Tankens von mehr Treibstoff als benötigt, in Ländern, in denen das Kerosin billiger als in der EU ist. Die Überprüfungs- und Dokumentationspflicht schafft weitere Bürokratie. Warum nimmt die EU, die immer wieder für die ausufernde Bürokratie kritisiert wird, das in Kauf?

Diese Bürokratie entsteht ja nicht aus der Gesetzgebung selbst, sondern nachgeordnet. Doch ich bin der Meinung, dass es nicht das Ziel sein kann, die SAF-Beimischungsquote zu umgehen, indem in Drittstaaten vollgetankt wird.

Ein Airbus A320 mit der Kennung D-AIUC der Lufthansa.
Lufthansa hatte ihrer A320 mit der Kennung D-AIUC zur Europawahl die Sticker „Yes to Europe“ verpasst, ist aber dennoch nicht immer einverstanden mit dem, was aus Brüssel an Verordnungen kommt. Bild: Oliver Roesler/Lufthansa Group

Die Lufthansa hat berechnet, dass sich die Kosten bei Einhaltung der EU-Gesetzgebung in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht haben und bis 2030 noch einmal verdoppeln werden. Ist das nicht eine Größenordnung, die eigentlich nicht mehr hinzunehmen ist?

Das ist natürlich im Wesentlichen verbunden mit den alternativen Kraftstoffen. Die Reduktion von CO2 kostet Geld. Regulierung führt zu Kosten. Diese sind aber innerhalb der EU für alle Airlines einheitlich. Natürlich sehe ich, dass sich das auf den Flugpreis niederschlägt. Dass die Lufthansa ein Thema adressiert, bedeutet nicht, dass es ein gesamteuropäisches Problem ist und dass es im EU-Parlament für die Lösung eine politische Mehrheit gibt.

Deutschland ist nicht Europa. Deutschland hat ganz eigene Themen. Die Luftverkehrsteuer beispielsweise, die es in dieser Höhe nirgendwo anders gibt und die aufgrund der wettbewerbsverzerrenden Wirkung abgeschafft werden sollte. Die Abgabe sorgt dafür, dass die Konnektivität in Deutschland schlechter ist als in anderen europäischen Ländern. Sie sorgt dafür, dass die Erholung nach der Corona-Pandemie langsamer erfolgt als in den meisten übrigen Staaten.

EU-gemacht ist wiederum die Fluggastrechte-Verordnung. Lufthansa sagt, dass sie 2024 mehr als 500 Millionen Euro an Entschädigungszahlungen bei verspäteten beziehungsweise ausgefallenen Flügen leisten musste. Der Kranich fordert eine praxistaugliche, ausgewogene Lösung. Wie ist Ihr Standpunkt dazu?

Ja: Fluggastrechte kosten die Airlines Geld. Aber die Airlines kalkulieren ja auch mit diesen Kosten. Mir ist es wichtig, dass Passagiere abgesichert sind, wenn ihr Flug ausfällt.

Zuweilen ist aber die Entschädigungszahlung weit höher als der eigentliche Ticketpreis. Ist das nicht paradox?

Wir arbeiten ja bereits an einer Novelle der Verordnung, und ich hoffe, dass wir einen fairen Kompromiss bekommen zwischen den Bedürfnissen der Airlines und denen der Passagiere.

Aber warum stehen die Rechte der Fluggäste bei der EU höher im Kurs als die der Bahnfahrer?

Das ist eine spannende Frage, die ich tatsächlich nicht beantworten kann. Vielleicht ist es historisch bedingt. Tatsächlich gilt beim Schienenverkehr ein anderes System. Da gibt es eine prozentuale Erstattung.

Ihre Position ist, ich zitiere: „Wir werden mit einer breiten Mehrheit die Fluggastrechte verteidigen.“

Der springende Punkt ist die Drei-Stunden-Regel bei Verspätungen. Da wollen die Mitgliedstaaten, dass die Entschädigungen erst ab vier Stunden fällig werden. Dafür gibt es aber im Europäischen Parlament keine Mehrheit. Und das quer durch alle Fraktionen. Die Mitgliedstaaten verschlechtern mit ihrem Vorschlag die Entschädigungen für alle Passagiere, das ist völlig inakzeptabel. Dieser schlechte Kompromiss nach zwölf Jahren Diskussionen wird einer so wichtigen Sache wie den Fluggastrechten nicht gerecht.

Und wie sieht es beim Rahmen aus? Was können die Airlines beispielsweise für streikbedingte Flugausfälle?

Die Definition der „außergewöhnlichen Umstände“ müssen wir uns noch einmal genauer anschauen: Wann ist die Airline verantwortlich und wann nicht? Ich hoffe, dass wir mit der Novelle mehr Klarheit und weniger Streitfälle bekommen. Im Parlament gibt es zurzeit keine einheitliche Position. Ich würde eine Verantwortung der Airlines bei Streiks der Flugsicherung verneinen. Wenn hingegen die Crews der Airlines streiken, muss man sich fragen, wie lange im Voraus die Unternehmen davon wussten. Der künftige Rahmen darf die Airlines nicht überfordern, wenn sie nichts für einen Streik können, sie aber auch fordert, wenn sie rechtzeitig hätten aktiv werden können.

Streiks ist eine gute Überleitung zum seit langem geplanten Single European Sky (SES), also eines einheitlichen europäischen Luftraums ohne nationale Flugsicherungs-Alleingänge. Mit einem SES versprechen sich die Befürworter mehr Kapazitäten, kürzere Flugzeiten, weniger Flugausfälle und Verspätungen. Wie ist da der Stand der Dinge?

Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode den rechtlichen Rahmen beschlossen. Es ist allerdings kein Meisterwerk geworden. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind gegen jede Einmischung eines europäischen Netzwerkmanagers. Das ist schlecht, denn wir sehen gerade in der sommerlichen Hochreisezeit, dass es mit europäisch gesteuerter Koordinierung besser läuft. Dennoch gibt es Fortschritte im Bereich der Flugsicherung, Digitalisierung und neue Technologien, die helfen, die Kapazitäten auszubauen. Das gilt es jetzt voranzutreiben.