Die Crew hat keine Chance: Technische Ursachen führen zu einem Feuer an Bord der MD-11 von Swissair – die Maschine stürzt ins Meer vor der kanadischen Küste. Es ist bis heute der schwerste Unfall einer Airline aus dem deutschprachigen Raum.

Die ehemalige Schweizer Nationalairline Swissair hatte sich seit ihrer Gründung im Jahre 1931 einen tadellosen Ruf erworben. Die eidgenössischen Fluggeräte mit dem weißen Kreuz besaßen eine makellose technische Reputation. Dies ging einher mit einem ebenso hohen Ansehen des Ausbildungsniveaus der Piloten. Stets wurden die Flugzeuge auf dem neuesten Stand gehalten.

Die neue Langstreckenflotte: Von DC-10 zur MD-11

Anfang der neunziger Jahre wurde die Langstreckenflotte von Swissair erneuert. Von den älteren DC-10 und Boeing 747 wechselte die Airline auf die dreistrahlige MD-11 von McDonnell Douglas. Schnell wuchs die Flotte auf über 20 Exemplare an. Als dann am 2. September 1998 eines davon abstürzte, versetzte das der stolzen Fluglinie einen Schlag, von dem sie sich nie mehr richtig erholen sollte. 

Der verhängnisvolle 2. September 1998

An diesem lauen Mittwochabend startete Swissair-Flug SR 111 um 20.17 Uhr vom New Yorker Flughafen JFK. 215 Passagiere wollten zusammen mit zwölf Flugbegleitern und den beiden Piloten die Nacht an Bord verbringen, um am nächsten Morgen um 9.30 Uhr in Genf zu landen. Die Maschine folgte der US-Ostküste in Richtung Neufundland. Sie trug das Kennzeichen HB-IWF und den Namen „Vaud“, ein Schweizer Kanton nördlich des Genfer Sees. Im August 1991 war die „IWF“ als sechste MD-11 an die Schweizer Nationalairline übergeben worden. Seitdem hatte sie 35 000 Flugstunden und etwa 6400 Starts und Landungen unfallfrei absolviert.

Routine im Cockpit – bis zum ersten Rauchgeruch

Urs Zimmermann, der 49 Jahre alte Kommandant von Flug 111, hätte keine bessere Verkörperung der Schweizer Tugenden sein können. „Gewissenhaft, professionell, zuverlässig“ waren die immer wiederkehrenden Charakterbeschreibungen seiner Person. Seit 28 Jahren flog er – von der Schweizer Luftwaffe kommend – für die Swissair und hatte bis dato 10 800 Flugstunden absolviert. Dabei waren 900 Stunden auf der MD-11, auf der er auch Ausbilder war. Zu seiner Rechten saß der 36-jährige Stefan Löw. Auch er kam von der Luftwaffe und hatte 4800 Stunden Flugerfahrung, davon 230 auf der MD-11. 

Im Cockpit kehrte nun gelassene Routine ein. Jetzt dirigierte der Autopilot den großen Jet entlang der gespeicherten Wegpunkte hinaus auf den Nordatlantik. Flug 111 war in Kontakt mit den Fluglotsen im kanadischen Moncton in der Provinz New Brunswick.

Um 21.10 Uhr bemerkten beide Piloten einen ungewöhnlichen Geruch im Cockpit. Es roch streng nach verschmortem Plastik. Eine Rückfrage beim Kabinenpersonal ergab jedoch keinen derartigen Geruch im Passagierbereich. Beide Piloten vermuteten ein Problem mit der Klimaanlage, die Druckluft von den Triebwerke in den Innenraum leitet. Da der strenge Geruch nicht nachließ, wurde den Piloten klar, dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als den Flug abzubrechen. 

„Pan Pan Pan“: Die erste Notfallmeldung

Die Piloten wogen nun geeignete Landeoptionen ab. Um 21.14 Uhr meldete sich Copilot Löw bei der Flugsicherung: 

  • SR111: Swissair Eins Elf erklärt Pan Pan Pan. Wir haben Rauch im Cockpit. Erbitten sofortige Rückkehr zu einem geeigneten Platz, ich schätze mal Boston.
  • Moncton: Swissair Eins Elf, roger, drehen Sie rechts. Sie sagten, Sie wollen nach Boston ?“
  • SR111: Ich schätze mal Boston. Wir brauchen erstmal das Wetter, daher beginnen wir hier mit einer Rechtskurve.
  • Moncton: Swissair Eins Elf in Ordnung, und ein Sinkflug auf Flugfläche 310.

Kaum etwas fürchtet ein Pilot so sehr wie ein Feuer an Bord. Copilot Löw benutzte den Ausdruck  „Pan“  für eine Dringlichkeitsmeldung bei einer abnormalen Situation an Bord. Das liegt noch unterhalb eines „Mayday“, mit dem unmittelbare Gefahr für Leib und Leben signalisiert wird.

Kurs auf Halifax – der Wettlauf gegen die Zeit

Boston lag zu diesem Zeitpunkt bereits etwa 45 Flugminuten entfernt hinter der MD-11. Da sich die Luft im Cockpit zusehends verschlechterte, hatten die Piloten ihre Sauerstoffmasken aufgesetzt. Die Passagiere wurden über die bevorstehende Ausweichlandung informiert, und die Notfallchecklisten durchgegangen. Eine Minute darauf meldete sich erneut Moncton und schlug vor, nach Halifax in Kanada auszuweichen. Nicht einmal 50 Kilometer trennten den dortigen Flughafen von der in Not geratenen MD-11. Angesichts der sich verschärfenden Situation überlegten die Piloten nicht lange: Sie unterbrachen ihre Rechtskurve und steueren das Funkfeuer Halifax an. Das Wetter dort war gut, doch nun musste die Maschine schnell Höhe abbauen. Die MD-11 sank mit etwa 4000 Fuß pro Minute. 

Der Rauch im Cockpit wurde mittlerweile so dicht, dass die Piloten Schwierigkeiten bekamen, ihre Instrumente abzulesen. In dieser Notsituation konnte keiner der Piloten seinen Sitz verlassen, um die Anflugkarten für Halifax aus dem Pilotenkoffer zu holen. Also wurde ein Mitglied der Kabinenbesatzung ins Cockpit gebeten, der den Koffer in Reichweite des Kapitäns stellte.

Dringlichkeit unterschätzt

Die aktuelle Ortszeit betrug nun 22:18 Uhr: Die Uhren in Neuschottland waren denen in Maine um eine Stunde voraus.

Die Kabine wurde für die Notlandung vorbereitet. Der Lotse bot den Piloten die Landebahn 06 in Halifax an, in deren grobe Richtung Flug 111 steuerte. Der kanadische Fluglotse ging zu diesem Zeitpunkt von einem ernsten, aber beherrschbaren Problem an Bord aus und erwartete eine Sicherheitslandung in Halifax. Doch die Dringlichkeit in der Stimme des Schweizer Piloten beunruhigte ihn zunehmend. 

Die Maschine überflog nun die felsige Küste Neuschottlands und sank durch eine Höhe von 19 000 Fuß. Beide Piloten waren durch die Vielzahl an Aufgaben erheblich belastet. Sie baten um die Erlaubnis, Treibstoff abzulassen – Teil des normalen Notverfahrens, um für die bevorstehende Landung das Gewicht zu reduzieren. Da Flug 111 noch nicht lange unterwegs war, waren die Tanks noch voll. Das überschüssige Kerosin sollte durch Ventile an den Tragflächenenden außenbords gepumpt werden. Die Crew beschloss, dazu nochmal zurück aufs Meer zu fliegen, weil dort das für einen Notablass vorgesehene, unbewohnte Gebiet lag. 

Autopilot fällt aus – die Lage eskaliert

In tiefschwarzer Nacht setzte die Maschine zu einer weiten Linkskurve an, während man im Cockpit die Notfallcheckliste durchzugehen versuchte. Ein Mix aus Schwyzerdütsch und Flugenglisch füllte das Cockpit. Während einer die Notfallcheckliste versuchte abzuarbeiten, fütterte der andere den Navigationscomputer mit den Landedaten für Halifax. 

Um 22.23 Uhr – nur 13 Minuten nach dem ersten Rauchgeruch – versagte der Autopilot den Dienst. Eine Minute später meldete der Copilot eine Luftnotlage:

  • SWR111: Swissair Eins Elf Heavy erklärt eine Luftnotlage. Wir sind zwischen zwölf und fünftausend Fuss. Wir erklären eine Luftnotlage um 0 1 2 4 UTC.
  • ATC: Roger.
  • SWR111: Eleven Heavy, wir starten jetzt das Ablassen, wir müssen unverzüglich landen. 
  • ATC: Swissair Eins Elf, Sie können auf diesem Kurs mit ihrem Treibstoffablassen beginnen und melden Sie, wenn Sie damit fertig sind.

Es folgte kein weiteres Lebenszeichen mehr von Flug 111. Auf dem  Radar des Fluglotsen verschwand seine  Höhenanzeige – Zeichen für einen Elektrikausfall. Um 23.31 Uhr erlosch schließlich das letzte Radarsignal. Swissair-Flug 111 war zirka fünf Meilen vor der Küste in den Atlantiks gestürzt, in Sichtweite des malerischen Fischerorts Peggy’s Cove. 

Sofort wurden alle zur Verfügung stehenden Schiffe, Flugzeuge und Hubschrauber mobilisiert, um die Suche nach möglichen Überlebenden aufzunehmen. Doch alle 229 Insassen waren ums Leben gekommen.

Für Swissair bedeutete der Absturz den schlimmsten Unglücksfall in der 67-jährigen Unternehmensgeschichte. Im Bauch der MD-11 befanden sich unter anderem auch einzigartige Kostbarkeiten: ein Picasso-Gemälde aus dem Jahr 1963 mit dem Titel „Le Peintre“ im Wert von mindestens 1,5 Millionen US-Dollar; dazu zwei Kilogramm Diamanten, 4,5 Kilogramm andere Juwelen und 49 Kilogramm Bargeld. Von all dem wurde nicht einmal ein Krümel gefunden. 

Feuer in der Decke

Wochenlang herrschte Rätselraten, was Flug 111 ins Verderben gerissen haben könnte. Der Meeresgrund an der Unglücksstelle war nur 70 Meter tief. Deshalb gelang es mithilfe eines U-Boots, einige Teile des geborstenen Rumpfs, den Flugdatenschreiber sowie den Cockpit Voice Recorder zu heben. Alle Überreste wurden auf der Luftwaffenbasis in Shearwater, Neuschottland gesammelt, um die Ursache für den Absturz von SR 111 zu klären. Nach einem guten Jahr hatte man tausende Trümmerteile und zirka 98 Prozent  des Großraumjets zusammengetragen. 

Für die kanadische Transportsicherheitsbehörde TSB begann die wohl aufwendigste Unfalluntersuchung ihrer Geschichte. Aus den geborgenen Wrackteilen ließ sich bereits früh erkennen, dass es im vorderen Rumpfbereich über der Cockpit-Deckenverkleidung zu einem verheerenden Brand gekommen sein musste. 

Swiss Absturz
Das verschmorte Kabel zeigt Spuren eines Lichtbogens, der den Brand verursacht haben kann.

Zwischen Cockpitdecke und Außenhaut befindet sich ein Hohlraum, der vollgestopft ist mit Kabelbündeln, die allesamt von dort in den hinteren Cockpitbereich und ins gesamte Flugzeug führen. Zugleich sind dort dämmende Matten verbaut, die sowohl für Temperatur- als auch Schalldämmung sorgen sollen. Sie waren mit einem metallisierten Kunststoff namens MPET beschichtet, der für Feuerfestigkeit sorgen sollte. Doch das MPET erwies sich im Laufe der Unfalluntersuchung als unzureichend feuerfest. Am 27. März 2003 legte die TSB in Halifax ihren Abschlussbericht vor. In den Trümmern konnten Reste eines Kabels des Bordunterhaltungssystems gefunden werden, die entscheidende Hinweise gaben. Offenbar war die Isolierung des stromführenden Kupferkabels über der oberen Cockpitverkleidung beschädigt. Das führt zu einem Lichtbogen, der das benachbarte Dämmmaterial entzündete und so einen Schwelbrand verursachte. Der breitete sich immer weiter aus und zerstörte schließlich die Zuleitungen wichtiger Cockpitinstrumente. Die elektrischen Sicherungen wurden durch den Lichtbogen nicht ausgelöst, sodass der Strom nicht unterbrochen wurde.  

Swiss Absturz
Vic Gerden leitete die Untersuchung des kanadischen Transport Safety Board.

Brandschutzmängel und ein überlastetes Unterhaltungssystem

In seinem Untersuchungsbericht gibt das TSB elf Unfallursachen und beitragende Faktoren an. Der wichtigste und für Laien sicher überraschendste: Die Zulassungsvorschriften für Flugzeuge erlaubten die Verwendung von Material, das entzündbar ist, in Brand bleibt und Feuer weiter verbreitet. Gemeint war die MPET-Dämmung in der Deckenverkleidung der MD-11. Die TSB gab neun Empfehlungen bezüglich der Materialien, die in Flugzeugen verbaut werden, zum elektrischen System und zur Aufzeichnung der Flugdatenschreiber, die ebenfalls vom Elektrikausfall betroffen waren. Dies hatte die Unfalluntersuchung erheblich erschwert. In den Jahren nach dem Unfall wurden die Zulassungsvorschriften erheblich verschärft, was Feuerfestigkeit und elektrische Sicherheit angeht. 

Die Unfalluntersucher fanden ebenfalls heraus, dass das nachträglich eingebaute Bordunterhaltungssystem übereilt und unter Missachtung etlicher Vorschriften installiert wurde. Es führte zu einer erheblichen Belastung des elektrischen Systems an Bord. 

Swiss Absturz
Die Unfalluntersucher setzten Wrackteile wie ein Puzzle wieder zusammen.

Schlussendlich konnte die TSB nicht sicher sagen, ob der Lichtbogen am Kabel des Bordunterhaltungssystem Auslöser des Brands war oder ein sekundäres Ereignis. Dennoch stellte die Behörde fest, dass das Feuer an Bord durch einen elektrischen Lichtbogen an einem der Kabel in diesem Bereich entstanden sein musste. 

Folgen für die Luftfahrt weltweit

Die erschreckenden Untersuchungsergebnisse des Swissair-Unglücks alarmierten auch viele andere Airlines und Luftfahrtbehörden. So wurde vielfach der Austausch von nicht ausreichend feuerhemmenden Materialien angeordnet. Fluglinien gaben an ihre Piloten die Anweisung, bei jedem noch so kleinen Verdacht auf einen Brand unverzüglich den nächstgelegenen Flughafen aufzusuchen. Die Zahl von Ausweichlandungen aufgrund von „merkwürdigen Gerüchen“, „Rauchschwaden in der Kabine“ und ähnlichem stieg in Folge der Unfalluntersuchung sprunghaft an. 

Swissair deaktivierte das Bordunterhaltungssystem in allen Flugzeugen der MD-11- und Boeing-747-Flotte gleich nach Erscheinen des Unfallberichts und baute die Geräte später aus.