Schifffahrt und Flugverkehr brauchen dringend «grüne» Treibstoffe
Statt Kerosin und Diesel heißt es künftig: PtX oder PtL. Diese noch wenig geläufigen Abkürzungen stehen für Kraftstoffe, die mit Hilfe «grünen» Stroms gewonnen werden. Damit die Klimawende gelingt, dürfen sie nicht länger Zukunftsmusik bleiben. Berlin/Hamburg (dpa) – Luftfahrt und Schiffsverkehr stehen unter besonderem klimapolitischen Druck: Sie müssen schnellstmöglich auf fossile Brennstoffe wie Kerosin, Schiffsdiesel […]
Berlin/Hamburg (dpa) – Luftfahrt und Schiffsverkehr stehen unter besonderem klimapolitischen Druck: Sie müssen schnellstmöglich auf fossile Brennstoffe wie Kerosin, Schiffsdiesel und Flüssiggas verzichten, um die absehbar noch verschärften Klimaziele der EU zu erreichen. Das Problem dabei: Weder Flugzeuge noch Containerschiffe können – anders als Autos – lange Strecken mit Batteriekraft bewältigen. Sie brauchen klimaneutrale Flüssigtreibstoffe, die derzeit allerdings weder im großen Maßstab marktreif, noch in riesigen Mengen verfügbar sind.
Das will die Bundesregierung schleunigst ändern, wie Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) am Mittwoch bei einer Konferenz über den Einsatz so genannter PtL-Kraftstoffe im Luft- und Seeverkehr ankündigte. Mit «Power to Liquid» (PtL) sind Flüssigkraftstoffe wie Kerosin oder Methanol gemeint, die in mehrstufigen Verfahren auf der Basis «grünen» Wasserstoffs produziert werden. Bei der Verbrennung solcher Kraftstoffe wird zwar Kohlendioxid freigesetzt, das aber zuvor während der Herstellung chemisch gebunden wurde, so dass die Kraftstoffe als klimaneutral gelten.
Schulze will diesen dringend benötigten Kraftstoffen mit einem Förderprogramm zum Durchbruch verhelfen. «Die entsprechende Förderrichtlinie wird derzeit noch mit Hochdruck erarbeitet», sagte sie. «Klar ist, dass der Verkehrsbereich einen größeren Beitrag zum Klimaschutz leisten muss, so auch der Luft- und der Seeverkehr. Power-to-Liquid-Kraftstoffe sind dafür ein ganz zentraler Baustein.» Für Schulze steht eindeutig fest, dass «sehr schnell und im großen Maßstab Kapazitäten» für deren Produktion aufgebaut werden müssen.
In der EU sollen nach den jüngsten klimapolitischen Vorschlägen der Kommission («Fit for 55») die Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 bis 2030 um mindestens 55 Prozent sinken. Bis 2050 sollen in der Union dann netto keine klimaschädlichen Treibhausgase mehr ausgestoßen werden.
Die Förderung alternativer Kraftstoffe ist daher auch eine zentrale Forderung betroffener Branchen. Ohne alternative Treibstoffe könne «die Schifffahrt ihr Ziel, schnellstmöglich CO2-frei zu werden, nicht umsetzen», hatte beispielsweise der Präsident des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Alfred Hartmann, gemahnt.
Auch im Flugzeugbau wird an Maschinen mit klimaneutralen Antrieben gearbeitet. Airbus will zum Beispiel 2035 das erste emissionsfreie, mit Wasserstoff betriebene Passagierflugzeug marktreif haben, doch auch zu diesem Zeitpunkt werden noch herkömmliche Flugzeuge mit 30 Jahren Betriebsdauer neu in den Dienst gestellt werden. Bis auf Weiteres versprechen daher lediglich alternative, mit viel Grünstrom produzierte synthetische Kraftstoffe Abhilfe.
Das Know-how zur Produktion ist in Deutschland mit seinem in vielen Sektoren weltweit führenden Maschinenbau vorhanden – und kann aus Sicht der Wirtschaft ein Exportschlager werden. «Die Herausforderung ist jetzt, die Technologie in industrielle Maßstäbe zu übersetzen», sagte Schulze.
Politischen Gegenwind für die Entwicklung solcher Kraftstoffe sieht die Ministerin nirgends. «Aber der industrielle Hochlauf findet nicht so statt, wie wir uns den eigentlich wünschen.» Eine Erklärung dafür sei, dass herkömmliche Treibstoffe wie Kerosin im Moment noch relativ günstig und die Alternativen in der Herstellung derzeit noch deutlich teurer seien. Außerdem schreite der Ausbau der Erneuerbaren Energien noch nicht so voran, «wie wir das brauchen, um wirklich nachhaltige, also grüne Kraftstoffe herzustellen». Mit anderen Worten: Es müssen schnell deutlich mehr Windräder gebaut werden.
Klar ist aber auch, dass die Deutschen – wie bei Benzin und Erdgas bisher auch – «nicht alle Kraftstoffe, die wir selber brauchen, in Deutschland herstellen können», wie Schulze sagte. Kurt Rohrig vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik schätzt, dass vom Strombedarf von 1780 Terawattstunden 2050 etwa die Hälfte hierzulande gedeckt werden kann, der Rest muss importiert werden. Nach Berechnungen seines Instituts haben aber viele Weltregionen große Potenziale für die Herstellung neuer «grüner» Energieträger.
Welche Mengen außerhalb Europas wo zu welchen Bedingungen produziert werden könnten, hat das Institut in einem «Potenzialatlas» zusammengetragen. Demnach gibt es langfristig weltweit Potenziale für 69 100 Terawattstunden Wasserstoff beziehungsweise 57 000 Terawattstunden strombasierte flüssige Kraftstoffe. «Zum Vergleich: Für die globale Luftfahrt werden 2050 insgesamt mindestens 6700 Terawattstunden, für den weltweiten Schiffsverkehr 4500 Terawattstunden strombasierte Kraftstoffe benötigt.»
Für Deutschland kann der Atlas quasi ein Fahrplan für internationale Kooperationen sein. Schulze kündigte an, die Bundesregierung werde gemeinsam mit der deutschen Wirtschaft Kooperationen mit «Hochpotenzialländern» stärken, vor Ort beim Aufbau entsprechender Fertigungskompetenz helfen und Lieferketten «partnerschaftlich etablieren».
dpa kf yyno z2 a3 hgo