Die Queen und der Dalai Lama waren bereits da: Camp Reinsehlen ist ein Sandmagerrasen, wie es ihn kein zweites Mal in Norddeutschland gibt. Hier zeigt die Lüneburger Heide ein ganz anderes Gesicht. Schneverdingen (dpa/tmn) – Steffen Schmidt stützt sich auf seinen Stock. Ohne den würde er nicht durchhalten, sagt der Schäfer. Er ist den ganzen […]

Die Queen und der Dalai Lama waren bereits da: Camp Reinsehlen ist ein Sandmagerrasen, wie es ihn kein zweites Mal in Norddeutschland gibt. Hier zeigt die Lüneburger Heide ein ganz anderes Gesicht.

Steffen Schmidt stützt sich auf seinen Stock. Ohne den würde er nicht durchhalten, sagt der Schäfer. Er ist den ganzen Tag auf den Beinen. Brauner Filzhut, winddichte Weste, ein leicht ergrauter Bart: So steht er da, meist ein wenig nach vorne gebeugt, und beobachtet seine Heidschnucken.

Die Schafe nähern sich gerade dem «Hotelcamp Reinsehlen» bei Schneverdingen, die Gäste können die Tiere ganz aus der Nähe studieren. «Ich kenne kein Hotel, wo die Schnucken so dicht ran kommen», sagt Schmidt. «Sie dürfen auch die Terrasse vollkötteln.» So weit lässt Schmidt es aber nicht kommen. Ein schriller Pfiff, und Fiene, sein altdeutscher Hütehund, setzt dem Treiben ein Ende.

Die Schafe schützen die Landschaft

Typisch Lüneburger Heide, könnte man jetzt sagen. Nur dass weit und breit keine Heide zu sehen ist. Sondern nur eine weite, karge, fast baumfreie Ebene: Camp Reinsehlen ist eine Sandmagerrasenfläche, mit rund 180 Hektar die größte in Norddeutschland.

Auf den ersten Blick ist hier – fast nichts. Wer allerdings genauer hinschaut, entdeckt viele kleine Farbtupfer. So haben sich etwa Labkraut (gelb), Gemeine Schafgarbe (weiß), Berg-Sandglöckchen (blau) und Heide-Nelke (karminrot) mit dem nährstoffarmen Boden arrangiert.

Jeden Tag zieht Steffen Schmidt mit seinen Heidschnucken durch das Camp. Kein Touristenvergnügen, sondern Landschaftsschutz. Ohne seine Herde würde die Fläche relativ schnell wieder zuwachsen, sagt der 45-Jährige. Vor allem mit Birken und Kiefern.

In der Luft zwitschert eine Feldlerche, typisch für offene Landschaften wie diese, die nicht intensiv bewirtschaftet werden. Der Bodenbrüter ist einer der Gründe, warum man den Sandmagerrasen von Anfang April bis Ende August nicht betreten darf. Es gibt nur eine Ausnahme: «Ein Tag mit dem Schäfer» heißt ein Angebot, das über Schneverdingen Touristik gebucht werden kann.

«Mit uns kommt man in die Fläche rein», sagt Schmidt. Sechs bis sieben Stunden ist man gemeinsam unterwegs. «Und guckt den Schafen beim Fressen zu.» In diesem Jahr gibt es zum ersten Mal auch die «Schnucken-Auszeit», eine kürzere Variante von zweieinhalb Stunden.

Die Geschichte von Camp Reinsehlen

Bis 1938 unterschied sich das Gelände kaum vom Rest der Lüneburger Heide. Dann wurde es beim Bau eines Militärflughafens eingeebnet. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand ein Lager für Flüchtlinge, das «Dorf der tausend Sorgen» – so überschrieb eine 15-Jährige im Jahr 1952 ihren Schulaufsatz.

Kurz darauf kamen Kanadier und Briten und errichteten ein Militärcamp. Die Briten blieben bis 1994. Vom Camp aus starteten ihre Panzer zu Übungsfahrten durch die Lüneburger Heide und kurvten durch sogenannte Rote Flächen. Kein Heidestrauch blieb stehen.

Zweimal nahm der Rest der Republik Notiz von diesem Fleckchen Erde. Im Juli 1967 besuchte Queen Elizabeth II. ihr Royal Tank Regiment und nahm im offenen Jeep eine Parade ab.

Und im Oktober 1998, vier Jahre nach dem Abzug der Briten, weilte der Dalai Lama gleich eine ganze Woche lang im Camp. In einem beheizbaren Riesenzelt wies das geistliche Oberhaupt der Tibeter rund 9000 Interessierten aus aller Welt Buddhas Weg zum Glück. Draußen flatterte die tibetische Fahne heftig im steifen Herbstwind, das Wetter war deutlich ungemütlicher als beim Besuch der Queen.

Die Heide-Touristiker rieben sich die Hände. Für sie war der Besuch des Dalai Lama eine «optimale Saisonverlängerung». Die Pensionen waren voller als bei der Inthronisierung der Heidekönigin im August.

Klettern statt Panzer waschen

Seit 2015 informiert ein Rundweg mit Info-Tafeln über die Geschichte und Gegenwart des Camps. Auf dem ehemaligen Flugfeld wuchs Magerrasen, der heute unter Naturschutz steht. Die ehemalige Panzerwaschanlage der Briten ist jetzt ein Kletterpark. Und in der Panzerreparaturhalle finden heute Tagungen und manchmal auch Hochzeiten statt.

Die Halle gehört zum «Hotelcamp Reinsehlen», das gemeinsam mit der Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz mehrere der ehemaligen militärischen Verwaltungsgebäude nutzt. Hinzugekommen sind Lodges in ökologischer Bauweise.

Hotelchef Helko Riedinger legt großen Wert auf Naturverträglichkeit, vom Gründach bis zur E-Tankstelle vor dem Haus. Das größte Plus sei jedoch die Ruhe, sagt der 42-Jährige, der das Haus seit zehn Jahren leitet. Eine Ruhe, an die sich manche Gäste vor allem aus größeren Städten erst gewöhnen müssen. Manche hindert die Stille sogar am Einschlafen. Mitunter stellt die Natur auch noch den Wecker, wenn sich frühmorgens ganz in der Nähe ein Kuckuck meldet.

Info-Kasten: Camp Reinsehlen

Anreise: Mit dem Auto über die A1 (Abfahrt Rade oder Stuckenborstel) oder A7 (Abfahrt Schneverdingen). Mit dem Zug über Hamburg und Buchholz oder über Hannover und Soltau bis Schneverdingen. Schneverdingen ist an den Hamburger Verkehrsverbund angebunden.

Informationen: Schneverdingen Touristik, Rathauspassage 18, 29640 Schneverdingen (Tel.: 05193/93800, E-Mail: touristik@schneverdingen.de, www.schneverdingen-touristik.de).

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