„Strukturelle Veränderungen sind notwendiger denn je“
13.03.2015 Der 1966 in Wanne-Eickel geborene Carsten Spohr ist seit dem 1. Mai 2014 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Lufthansa AG. Als solcher führt er den Lufthansa-Konzern mit den Geschäftsfeldern Passage Airline Group, Logistik, Technik, Catering und IT Services mit rund 117.000 Mitarbeitern weltweit. Aero: Sie sind Lufthanseat seit Jahrzehnten, waren Mitte der 1990er Jahre unter anderem […]
13.03.2015
Der 1966 in Wanne-Eickel geborene Carsten Spohr ist seit dem 1. Mai 2014 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Lufthansa AG. Als solcher führt er den Lufthansa-Konzern mit den Geschäftsfeldern Passage Airline Group, Logistik, Technik, Catering und IT Services mit rund 117.000 Mitarbeitern weltweit.
Aero: Sie sind Lufthanseat seit Jahrzehnten, waren Mitte der 1990er Jahre unter anderem Referent des damaligen Lufthansa-Chefs Jürgen Weber und haben am 1. Mai 2014 die Nachfolge von Christoph Franz als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Lufthansa AG angetreten. Was wird die Ära Spohr von jenen der Vorgänger unterscheiden?
SPOHR: Ich habe doch gerade erst angefangen, da liegen mir Gedanken zu einer „Ära“ noch recht fern. Fakt ist, dass sich die Luftfahrt aktuell gravierender und vor allem schneller als in der Vergangenheit verändert. Deshalb sind auf für uns als größten Aviation-Konzern der Welt strukturelle Veränderungen heute notwendiger denn je. Lufthansa ist es immer wieder erfolgreich gelungen, sich in schwierigen Zeiten zu behaupten und gestärkt aus Veränderungen hervorzugehen. Diesen Wandel einzuleiten und die Mitarbeiter zu überzeugen, dass es der richtige Weg ist: darin sehe ich eine meiner wichtigsten Aufgaben. Jede Zeit hatte andere Herausforderungen und die erforderten jeweils andere Antworten. Ganz oben für mich stehen Sicherheit, Innovation, Effizienz und Qualität.
Aero: Die Süddeutsche Zeitung bemerkte jüngst, dass im Vergleich zur aktuell abzuarbeitenden Agenda das 2012 gestartete, auf zunächst drei Jahre angelegte Effizienzprogramm Score ein „Reförmchen“ gewesen sei. Warum haben die seinerzeit durchgeführten Maßnahmen allein nicht ausgereicht, um Lufthansa zukunftsgerecht aufzustellen?
SPOHR: Score war erfolgreich, denn die rund 6000 Projekte haben einen Ergebnisbeitrag von über 2,5 Milliarden Euro geleistet. Wir sind in vielen Bereichen schneller geworden, haben Kosten gesenkt, Erlöse gesteigert und einen Veränderungsprozess in unserem Unternehmen angestoßen. Den treiben wir auch in den nächsten Jahren konsequent voran. Zur kompletten Analyse gehört aber auch die Erkenntnis, dass wir dringend auch größere strukturelle Veränderungen brauchen, wenn wir unsere weltweite Führungsrolle behaupten wollen. Und daran arbeiten wir derzeit mit Hochdruck.
Aero: Der drastische Konzernumbau beinhaltet unter anderem die Implementierung der neuen Wingsstrategie. Wie sehr hat sich der Schritt der Streckenübertragungen zur Germanwings bis heute bewährt?
SPOHR: Sehr gut, 2015 wird Germanwings schwarze Zahlen schreiben. Unsere Kunden haben den Wechsel gut angenommen. Sie schätzen das Konzept „günstig, aber mit Qualitätsanspruch“. Das war ein guter Schritt in die richtige Richtung. Unser Germanwings-Team leistet hier hervorragende Arbeit. Nach jahrelangen Verlusten in den Verkehren abseits unserer Drehkreuze, werden wir dieses Jahr unser Ziel der schwarzen Zahlen erreichen. Der Erfolg der Germanwings hat uns den Mut zur Erweiterung des Konzeptes in Richtung der neuen Eurowings gegeben.
Aero: Bald werden unter dem Wings-Dach beziehungsweise unter der Lufthansa-Marke auch Langstreckenverbindungen für besonders kostenbewusste Passagiere zu klassischen Urlaubszielen angeboten. Hat die Lufthansa nach dem 2009 erfolgten vollständigen Verkauf der Condor ein Defizit im touristischen Bereich gespürt?
SPOHR: Ich spreche lieber vom Privatreisesegment, in dem wir unser Angebot weiter ergänzen. Unsere Geschäftsreisende sitzen zum Teil schon so häufig im Flugzeug, dass sich das kaum noch steigern lässt. Die Zuwachsraten sind dadurch eher moderat. Das sieht bei Privatreisenden ganz anders aus. Da gibt es noch eine Menge Potenzial. Schon heute sind 75 Prozent aller Flugreisen privat motiviert – die Tendenz steigt, gerade auch in besonders preissensiblen Märkten und Kundengruppen. Deshalb entwickeln wir im Wings-Konzept auch ein privatreiseorientiertes Angebot für die Langstrecke.
Aero: Wie bringen Sie die von der neuen Strategie betroffenen Mitarbeiter hinter das Wings-Projekt?
SPOHR: Wings ist eine Chance, keine Bedrohung. Ich werbe mit der Erkenntnis, dass wir mit einer „Weiter-so-Strategie“ in einem dynamischen Markt nicht weit kommen werden. Die meisten Mitarbeiter verstehen sehr gut, dass wir mit innovativen Angeboten in wachstumsstarke Segmente gehen müssen, um neben unserem klassischen Premiumsegment auch dort mit Qualität zu überzeugen. Natürlich geht das nur mit einer wettbewerbsfähigen Kostenposition. Es liegt in der Natur der Sache, dass es auf dem Weg dorthin Unsicherheit, Widerstände, Ängste und Sorgen gibt. Es ist unsere Aufgabe, in diesem Prozess mit Kommunikation, Dialog und Transparenz die Mitarbeiter mitzunehmen. Denn das Wings-Konzept bietet spannende Jobperspektiven. Viele Lufthanseaten, die etwa in der Vergangenheit zur Germanwings gewechselt sind, schätzen die flachen Hierarchien. Auch für das fliegende Personal ist etwas drin: zwar auf der einen Seite weniger Besitzstände, dafür aber mehr Karriere-Perspektiven.
Aero: Wie wird die Lufthansa das tariflich organisieren?
SPOHR: Es gibt bereits heute eine Vielzahl unterschiedlicher Tarifverträge innerhalb der Lufthansa-Gruppe: Bei Lufthansa, Lufthansa Cargo, Lufthansa CityLine, Eurowings, Austrian Airlines oder Swiss. Der Umgang mit unterschiedlichen Tarifbedingungen ist also nicht neu für uns. Klar ist aber, dass wir uns mit den Strukturen an relevanten Wettbewerbern orientieren müssen. Wir werden mit der neuen Eurowings keinen Erfolg haben, wenn wir mit unseren Kosten 30 Prozent über dem Wettbewerb liegen.
Aero: Branchenkenner befürchten, dass die Premiumsparte schrumpfen wird, sobald die Billigsparte wächst, denn die hohen Stückkosten im Kerngeschäft unter der Lufthansa-Marke blieben ja erhalten. Stimmen Sie dem zu?
SPOHR: Unser Ziel ist ein anderes. Schrumpfen im Kerngeschäft kann nicht unser Ziel sein. Gerade deshalb müssen wir ja so dringend auch in diesem Bereich unsere Stückkosten senken. Mit wettbewerbsfähigen Kosten soll es auch bei der Lufthansa Passage als unserer Premiummarke wieder Wachstum geben.
Aero: Akbar Al Baker, CEO der Qatar Airways, sagte, nicht die Airlines aus dem Nahen Osten seien Lufthansas Problem, sondern die Gewerkschaften. Sehen Sie das ähnlich?
SPOHR: Ich schätze Herrn Al Baker, aber als mein personalpolitischer Berater sind seine Karrierechancen limitiert.
Gewerkschaften sind ein wichtiger Teil des deutschen Erfolgsmodells, und wer wie wir nicht nur hoch motivierte, sondern auch selbstbewusste Mitarbeiter sucht und findet, muss auch mit selbstbewussten Gewerkschaften umgehen können. Ich möchte jedenfalls nicht in einem Staat oder bei einer Airline arbeiten, wo Mitarbeiter keine Rechte haben. Allerdings haben wir im Vergleich zu Qatar und anderen Airlines aus dem Nahen Osten eine Vielzahl von anderen Belastungen, die uns im Wettbewerb benachteiligen: Nachtflugverbote, Luftverkehrsteuer, Emissionshandel, hohe Kosten für Airports und Flugsicherung. Jeder einzelne Punkt aus dieser Liste ist ärgerlich. Die Summe aller Belastungen verzerrt die Chancengleichheit.
Aero: Wie sehr schaden die Piloten-Streiks, allein im Jahr 2014 waren es zehn, dem Bilanzergebnis 2014 und nicht zuletzt dem Image Ihres Konzerns?
SPOHR: Natürlich schadet es uns, unsere Kunden enttäuschen zu müssen. Denn gerade Lufthansa ist für viele Menschen ein Synonym für Zuverlässigkeit. Allerdings werden diese Streikwellen nicht das Vertrauen aus 60 Jahren Zuverlässigkeit nachhaltig erschüttern. Das sehe ich auch aus den Rückmeldungen unserer Kunden in den vergangenen Monaten.
Aero: Wie hart ist der Wettbewerb zu Emirates, Etihad und Co. tatsächlich?
SPOHR: So hart, dass wir als Lufthansa in dem dynamischen Markt Südostasien gerade mal noch drei Strecken anbieten … Allein Dubai ist mit der A380 nach Frankfurt, München und künftig auch nach Düsseldorf angebunden. Da müssen eine Menge Sitze zusätzlich verkauft werden und das geht dann meistens nur über den Preis. Die Golfairlines profitieren davon, dass ihre staatlichen Eigner den Luftverkehr als strategische Chance für ihre Volkswirtschaften sehen. Deshalb tun sie alles dafür, diesen Sektor auszubauen. Ein wenig von dieser Einsicht wünsche ich mir auch in Deutschland.
Aero: Für die einen ist sie ein Segen, so zumindest die Aussage von Thai Airways, für andere wiederum ein Fluch: Wie sehr profitiert die Lufthansa von der Mitgliedschaft in der Star Alliance beziehungsweise ist die Mitgliedschaft in einer Allianz heute noch genauso bedeutend wir noch vor Jahren?
SPOHR: Keine Airline kann ohne Partner ein globales Netz anbieten. Als Netzwerk-Carrier profitieren wir von unseren Star-Partnern, genauso, wie unsere Partner von uns. Am meisten gewinnen unsere Gäste: abgestimmte Flugpläne mit nahtlosen Anschlussverbindungen, durchgängige Vielfliegerprogramme, Lounges weltweit. Oder ganz neue Angebote, wie eine Weltreise mit nur einem Ticket. Das alles kann nur eine starke Allianz bieten, deshalb bleibt die Star Alliance auch für die Lufthansa-Gruppe wichtig.
Aero: Lufthansa investiert kräftig ins Produkt. Die Umrüstung ihrer Langstreckenflugzeuge auf die neue First Class wird gerade abgeschlossen. Im zweiten Quartal wird der Einbau der neuen Business Class vollendet sein, und im dritten Quartal steht die neue Premium Economy auf allen Interkontinentalflugzeugen zur Verfügung. Wo sehen Sie Ihr Unternehmen dann im Vergleich zu seinen direkten Wettbewerbern?
SPOHR: Ziemlich weit vorne. Es gibt nur fünf Airlines weltweit, die durchgängig Fünf-Sterne-Qualität bieten können. Lufthansa wird schon sehr bald die erste westliche und private Fluggesellschaft sein, die diesen Top-Standard hat. Ab diesem Jahr können wir unseren Kunden versprechen, dass sie in jedem Lufthansa-Flugzeug die neueste und beste Kabinenausstattung vorfinden. Doch nicht nur das: Wir bieten in der Business Class künftig auf der Langstrecke ein neues Restaurantkonzept. Wir werden Internet an Bord auf der Kurzstrecke einführen. 2015 ist das Jahr der neuen Lufthansa-Qualität.
Aero: Warum hat die First Class Ihrer Meinung nach eine Zukunft?
SPOHR: Ganz einfach: Weil es Kunden gibt, die erstklassig reisen möchten und die bereit sind, dafür zu zahlen. Nachfrage gibt es zwar nicht überall, aber es gibt eine Reihe von Strecken, auf denen wir unsere First Class sehr gut verkaufen. Das Luxussegment wächst in vielen Branchen. Daher glaube ich fest daran, dass die First Class auch bei uns eine erfolgreiche Zukunft hat.
Aero: Die Langstreckenflugzeuge, die in diesem Jahr ausgeliefert werden, haben die neuen Interieurs bereits ab Werk an Bord. Wie sieht der Ein- und Ausflottungsplan im Bereich Langstrecke im Jubiläumsjahr 2015 konkret aus?
SPOHR: In diesem Jahr ergänzen vier Boeing 747-8 sowie zwei Airbus A380 die Flotte der Lufthansa Passage. Diese werden ältere Boeing 747-400 ersetzen. Die Cargo hat in diesem Jahr ihre fünfte Boeing 777-F in Dienst gestellt. Und ab 2016 kommt dann die neue Airbus 350, zunächst in München.
Aero: Der Kerosinpreis sinkt seit September 2014 kontinuierlich. Wie hinderlich sind im Moment Ihre Hedging-Verträge bzw. ab wann kann Ihr Konzern von der aktuell günstigen Marktsituation profitieren?
SPOHR: Hedging ist kein Instrument, um kurzfristige Preisvorteile zu nutzen, sondern wir tun das, um langfristige Verlässlichkeit und Planbarkeit bei den Kosten zu gewinnen. Dadurch profitieren wir zwar weniger von kurzfristigen Schwankungen, aber langfristig hilft uns die Absicherung der Treibstoffpreise sehr.
Aero: Wie werden Ihrer Meinung nach der nationale und internationale Luftverkehr in 15 Jahren, also zum 75. Jubiläum, im Allgemeinen und die Lufthansa im Besonderen aussehen?
SPOHR: Natürlich bleibt die Entwicklung nicht stehen. Die Welt wird in 15 Jahren eine andere sein. Es wird immer mehr Mega-Citys geben, Mobilität nimmt weiter zu, immer mehr Menschen wollen die Welt bereisen. Digitalisierung wird alle Branchen weiter verändern, das Tempo dieser Entwicklungen wird noch zunehmen. Dafür wird auch unsere Branche immer neue Antworten finden müssen. Unsere Märkte werden sich weiter konsolidieren. Insbesondere die Unternehmen und Airlines mit der Fähigkeit zu Innovation und Wandel werden in diesem Kontext besonders erfolgreich sein – daher sehe ich eine gute Zukunft für die Lufthansa Group.
Die Fragen stellte Astrid Röben.
Dieses Interview ist Teil unseres zwölfseitigen Extras zum 60. Geburtstag der Lufthansa. Dieses ist in der aktuellen Ausgabe der Aero International zu finden, die am Freitag, 13. März 2015, im Handel erhältlich ist.