Im Nordosten Italiens liegt die Lagune von Grado mit weißen Stränden und flachem Wasser. Ein perfektes Familienreiseziel – sie bietet noch viel mehr als Meer. Auf dem Weg zur Schule lernen wir Vokabeln. «Barene», sagt unser Bootsführer Mirko und zeigt auf die flachen Landsteifen, die von dichtem Grün bewachsen aus dem Wasser ragen. «Casoni», sagt […]

Im Nordosten Italiens liegt die Lagune von Grado mit weißen Stränden und flachem Wasser. Ein perfektes Familienreiseziel – sie bietet noch viel mehr als Meer.

Auf dem Weg zur Schule lernen wir Vokabeln. «Barene», sagt unser Bootsführer Mirko und zeigt auf die flachen Landsteifen, die von dichtem Grün bewachsen aus dem Wasser ragen. «Casoni», sagt er, als wir an schilfbedeckten Fischerhütten vorbeiziehen. «Und das da», ruft er über das Tuckern des Motors hinweg und nimmt Kurs auf eine Insel, «heißt im Rest Italiens isola. Aber wir sagen dazu mota.»

Davon gibt es hier im äußersten Nordosten Italiens, zwischen Triest und Venedig, reichlich. Rund 100 Eilande säumen und durchbrechen das Wasser der Lagune von Grado, ein Mosaik aus Wasserflächen und Sandbänken, Sümpfen und Kanälen, Land und Meer.

Auf dem Stundenplan: Sonnen und schlemmen

Irgendwo in der Mitte liegt Anfora, eine ganz besondere mota, denn hier steht die Schule der Inselwelt, die wir an diesem Tag aufsuchen wollen. Dass diese Ankündigung mitten in den Ferien nicht für lange Gesichter und Protest bei unseren Töchtern, 9 und 12 Jahre alt, sorgt, hat einen einfachen Grund.

Schulbänke und Tafeln wurden vor einigen Jahren durch Betten und Bäder ersetzt, die ehemaligen Klassenräume dienen als Gästezimmer und auf unserem Stundenplan steht nur: Sonne genießen und gut essen.

Schlemmen ist hier kein Problem, denn neben ein paar Hütten und der Schulherberge gibt es auf der Insel, die man in rund zehn Minuten zu Fuß umrundet hat, die alteingesessene Trattoria «Ai Ciodi»: ein paar Tische unter Bäumen, ein paar dösende Katzen.

Während die Kinder bäuchlings auf dem Hafensteg liegen, um Krebse an den hölzernen Pfeilern und Fische im glasklaren Wasser zu beobachten, unterhalten mein Mann und ich uns mit Cornelia, einer rundlichen Frau mit breitem Lächeln, die riesige Teller mit Fisch, gegrilltem Gemüse und frischer Pasta auf die rot-weiß karierten Tischdecken stellt.

Früher mal österreichische Riviera

«Unsere Insel hat eine lange Geschichte», sagt sie. Zur römischen Kaiserzeit diente Anfora als Zwischenstopp und Lager der nahen Stadt Aquileia. Das brachte ihr den Namen «Insel der Amphoren» ein.

Später hielt sich Kaiserin Maria Theresia häufig in der Region auf und ließ die Inselschule errichten, um den Kindern der Fischer zu mehr Bildung zu verhelfen. «Die ganze Region hier wurde als österreichische Riviera vermarktet», sagt sie.

Vom trubeligem «Riviera»-Charme merkt man heutzutage auf Anfora nichts. Abends, wenn die letzten Tagesgäste abgelegt haben, hat man die «mota» für sich allein. Und kann das Schauspiel genießen, das Himmel und Wasser zu bieten haben, wenn sie sich im Zuge der Dämmerung in immer neuen Rot-Tönen präsentieren.

Eine Renaissance bei deutschen Urlaubern?

Ganz anders geht es in Grado zu, dem lebhaften Zentrum der Lagune, in das wir nach einer Nacht auf Anfora zurückkehren. Auch Grado ist eine Insel, aber durch eine Dammstraße und eine Brücke mit dem Festland verbunden. Zwei frühchristliche Basiliken erheben sich in der Altstadt, Fußbodenmosaike erinnern an die Römer, mittelalterliche Gassen und eine Strandpromenade laden zum Schlendern ein.

«Der Ort war schon Ende des 19. Jahrhunderts ein beliebtes Urlaubsziel», sagt Thomas Soyer, Hotelbesitzer und Chef des Tourismusverbands Grado. Während österreichische Urlauber aufgrund der geografischen Nähe stets an die Lagune gekommen sind, erlebt die norditalienische Küstenregion in seinen Augen bei Deutschen zurzeit eine Art Renaissance.

Nachdem es deutsche Urlauber seit den Wirtschaftswunderjahren in Scharen an die Adria gezogen hatte, hätten ab Ende der 1980er Jahre fernere Ziele gelockt. «Aufgrund von Corona, aber manchmal auch aus wachsendem Klimabewusstsein verzichten viele bewusst auf Flugreisen», glaubt er. Stattdessen besinnen sie sich an die Orte, die sie vielleicht noch aus ihrer Kindheit kennen.

Idyllische und mondäne Ziele in Reichweite

Von Häfen und goldgelben Stränden gerahmt lockt Grado vor allem Familien an. Am Ufer wehen die blaue und die grüne Fahne, die für gute Wasserqualität und kinderfreundliche Strände stehen. «Aber Grado ist mehr als Meer», sagt Soyer. «Die wenigsten Urlauber wollen heutzutage 14 Tage lang nur am Strand liegen.»

Die idyllische Stadt Udine und das mondäne Triest an der Grenze zu Slowenien liegen nur einen Katzensprung entfernt, in der Grenzstadt Gorizia (Görz) kann man friaulische Weingüter besuchen. Und neben den klassischen Wassersportarten wie Stand-Up-Paddling oder Kanufahrten, sei in den letzten Jahren in die Fahrradinfrastruktur investiert worden, so Soyer.

Gut ausgebaute Wege führen die Küste entlang, etwa in die Unesco-geschützte Römerstadt Aquileia, wo frühchristliche Kirchen, riesige Mosaike, Fresken und Ausgrabungsstätten römischer Villen besichtigt werden können. Oder in die Naturschutzgebiete Valle Cavanata und Foce dell’Isonzo ganz im Osten der Lagune, wo wir den Biologen Matteo de Luca treffen.

Artenvielfalt im Osten der Lagune

«Früher hat man Naturschutz immer abgekoppelt vom Tourismus betrachtet», sagt er. «Heute ist beides miteinander verzahnt.» Wie in Grado befindet sich vor dem Nationalparkzentrum in Valle Cavanata ein Stand mit Leihfahrrädern, hölzerne Stege führen zu Aussichtstürmen. Fluss-Seeschwalben rascheln im Schilf, Graugänse ziehen durch die Luft, und im Wasser suchen Flamingos nach kleinen Fischen.

«Die Artenvielfalt ist enorm», sagt der Biologe. «Bei einer Vogelzählung wurden im Osten der Lagune rund 340 verschiedene Tiere gezählt, dreiviertel der in Italien vorkommenden Vogelarten.» Und wer dem Fahrradweg weiter zur Flussmündung des Isonzo folgt, wird mit dem Anblick weißer Camargue-Pferde belohnt, die auf der Halbinsel Isola della Cona grasen.

«Cavallo», raunt de Luca unseren Töchtern zu und zeigt auf die Tiere. Wieder eine neue Vokabel.

Info-Kasten: Lagune von Grado

Anreise: Grado ist leicht mit dem Auto über die Autobahnen A4 oder A23 zu erreichen. Der nächste Flughafen liegt in Triest, der nächste Bahnhof «Cervignagno-Aquileia-Grado» in Cervignano del Friuli – von Bahnhof und Airport fahren Busse nach Grado.

Einreise: Alle Corona-bedingten Einreisebeschränkungen für Italien sind aufgehoben. (Stand: 29.06.2022)

Reisezeit: Für einen Badeurlaub mit angenehmen Temperaturen und kaum bis wenig Niederschlag am besten Ende Mai bis September reisen. Frühling und Herbst bieten sich für Wander- oder Radreisen an.

Informationen: Consorzio Grado Turismo, Viale Dante Alighieri 72, 34073 Grado (Tel.: 0039 0431 80383; E-Mail: info@gradoturismo.org; Internet: https://grado.it/de/)

dpa