19.07.2014 Die Suche nach den Schuldigen des wahrscheinlichen Abschusses eines Passagierjets über der Ukraine mit 298 Menschen an Bord läuft auf Hochtouren. Keine der Konfliktparteien will es gewesen sein. Die USA zeigen auf die Separatisten. Moskau/Amsterdam (dpa) – Nach dem mutmaßlichen Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs in der Ostukraine geht die Suche nach den Verantwortlichen weiter. Internationale […]

19.07.2014

Die Suche nach den Schuldigen des wahrscheinlichen Abschusses eines Passagierjets über der Ukraine mit 298 Menschen an Bord läuft auf Hochtouren. Keine der Konfliktparteien will es gewesen sein. Die USA zeigen auf die Separatisten.

Moskau/Amsterdam (dpa) – Nach dem mutmaßlichen Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs in der Ostukraine geht die Suche nach den Verantwortlichen weiter. Internationale Beobachter wollen am Samstag erneut versuchen, das Trümmerfeld zu inspizieren. Bei ihrem ersten Versuch durften sie sich auf Geheiß der prorussischen Separatisten, die in der Gegend das Sagen haben, nicht gänzlich frei an der Absturzstelle bewegen. Nach US-Erkenntnissen ist es sehr wahrscheinlich, dass moskautreue Kräfte die Maschine abgeschossen haben.

Alle 283 Passagiere und 15 Besatzungsmitglieder der Malaysia- Airlines-Boeing waren bei dem Absturz am Donnerstag ums Leben gekommen, unter ihnen auch 189 Niederländer und 4 Deutsche. Alle betroffenen Länder sowie UN-Generalsekretär Ban Ki Moon fordern eine unabhängige Untersuchung.

Wegen des Absturzes von Flug MH017 telefonierte US-Präsident Barack Obama mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Obama sprach am Freitag auch mit dem britischen Premierminister David Cameron, Polens Premierminister Donald Tusk und Australiens Premierminister Tony Abbott, teilte das Weiße Haus mit. Alle fünf Politiker sprachen sich in den Telefonaten demnach für eine schnelle internationale Untersuchung aus, um die Hintergründe des Absturzes der malaysischen Maschine zu klären. Mit Merkel sprach Obama auch über die neuen Sanktionen der USA und der EU gegen Russland.

Eine Sprecherin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sagte, die Beobachter seien am Freitag zwar nahe an die Absturzstelle herangekommen und hätten auch Wrackteile gesehen. Frei bewegen können hätten sie sich aber nicht. Bewaffnete hielten sie demnach auf, ein den Beobachtern angekündigter Anführer sei nicht erschienen. Der OSZE-Forderung, nichts an der Absturzstelle zu verändern, wurde der Sprecherin zufolge nicht gänzlich nachgekommen. Gepäckstücke seien fein säuberlich aufgereiht worden.

Wer hinter dem Absturz steckt, ist noch immer unklar. Laut Obama sind dafür aber sehr wahrscheinlich moskautreue Kräfte verantwortlich. Die Boden-Luft-Rakete, die das Flugzeug abgeschossen habe, sei aus einem von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebiet abgefeuert worden, sagte Obama. «Wir wissen noch nicht genau, was passiert ist», räumte er ein. Es wäre aber nicht das erste Mal, dass ein Flugzeug von den Aufständischen abgeschossen worden sei.

Indirekt wies Obama Russland eine Mitverantwortung zu. «Das war kein Unfall. Das passiert wegen russischer Unterstützung.» Ohne diese sei es den Separatisten nicht möglich, «so zu funktionieren, wie sie funktionieren». Die Regierung in Moskau wies alle Vorwürfe zurück – und machte ihrerseits die ukrainische Führung mitverantwortlich.

Direkte Anschuldigungen gegen Kremlchef Wladimir Putin vermied Obama. Man dürfe keine voreiligen Schlüsse ziehen, sagte er. Angesichts der Tragödie riefen Obama und Putin die Konfliktparteien in der Ukraine zu einer sofortigen Waffenruhe auf. Obama bezeichnete den Vorfall auch als «Weckruf» für Europa und die Welt. Er forderte Russland erneut auf, endlich für Frieden in der Ukraine zu sorgen.

Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Samantha Power, hatte eine Verstrickung Russlands in den Abschuss von Flug MH017 angedeutet. «Wir können nicht ausschließen, dass russisches Personal beim Betrieb dieser Systeme geholfen hat», sagte sie bei einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats in New York. Russland wies die Vorwürfe zurück. «Wir verweisen alle Schuld an die Regierung in Kiew», sagte Moskaus UN-Botschafter Vitali Tschurkin.

Auch die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens, Frank-Walter Steinmeier, Laurent Fabius und Radoslaw Sikorski, riefen angesichts des Absturzes zu einer sofortigen und nachhaltigen Waffenruhe auf. Der Vorfalle zeige, wie gefährlich die Lage in der Ostukraine geworden sei, hieß es in einer am Freitagabend vom Auswärtigen Amt verbreiteten Erklärung der drei Außenminister des Weimarer Dreiecks.

Die Außenminister sprachen sich für eine gründliche Untersuchung der Ursache und Umstände des Flugzeugabsturzes aus. Dafür müssten alle Feindseligkeiten sofort beendet und internationalen Teams voller Zugang zu dem Gebiet gewährt werden. Sollte sich bewahrheiten, dass die Maschine der Malaysia Airlines wirklich abgeschossen worden sei, müssten die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Boeing 777-200 kann nach Ansicht von US-Experten nur von einer hoch komplexen Waffe getroffen worden sein. Wie die Zeitung «Wall Street Journal» schrieb, reichten tragbare Raketen, die von der Schulter abgefeuert werden, nicht aus, ein Verkehrsflugzeug in 10 000 Metern Höhe zu treffen.

Das in den 1980er-Jahren entwickelte Lenkwaffen-System «Buk» (Buche) kann Ziele in Höhen bis zu 25 000 Metern treffen. In Medienberichten hieß es, die Separatisten seien im Besitz der Waffe. Die prowestliche Führung der Ukraine wies dies zurück. Aus Sicht Kiews führt die Spur deshalb nach Russland. Aus Moskau kam umgehend das Dementi. Russland habe weder das Flugabwehrsystem noch sonstiges Kriegsgerät in das Nachbarland geschafft, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums.

Deutschland beteiligt sich an einem Einsatz zur Bergung und Identifizierung der Opfer. Das Bundeskriminalamt wird dazu zunächst zwei Experten entsenden. Auch die internationale Polizeiorganisation Interpol schickt nach eigenen Angaben ein Spezialteam.

Nach Angaben des Innenministeriums in Kiew wurden die sterblichen Überreste der Passagiere nach Charkow gebracht. In der etwa 300 Kilometer von der Absturzstelle entfernten Stadt werde ein Labor zur Identifizierung eingerichtet, hieß es. Separatisten wiederum kündigten an, die Leichen würden in Mariupol identifiziert.

An den internationalen Märkten sorgte der Absturz für weitere Nervosität. An den wichtigsten Börsenplätzen ging es am Freitag auf Talfahrt, die Ölpreise stiegen. Die Unsicherheit auch mit Blick auf die Bodenoffensive Israels im Gazastreifen verstärkt nach Ansicht von Marktexperten die Nervosität der Investoren.

Abseits der Entwicklung um den Flugzeugabsturz dauerten die Gefechte in dem Konfliktgebiet an. Bei Kämpfen in Lugansk seien allein am Freitag mehr als 20 Zivilisten getötet worden, teilte die Stadtverwaltung mit. In Lissitschansk bei Lugansk geriet nach Artilleriebeschuss eine Raffinerie in Brand. Nach dem Beschuss eines Umspannwerks in Lugansk sei in 85 Prozent der Großstadt der Strom ausgefallen, hieß es.