Bettenbunker, VIP-Partys, Hippie-Flair: Ibiza ist ein Urlaubsmythos. Langsam läuft der Tourismus wieder an. Wo geht die Reise hin? Ein deutscher Inselkenner schildert seine Eindrücke – und seine Sorgen. Eivissa (dpa/tmn) – Andreas Simon war 16, als er zum ersten Mal nach Ibiza kam und sich gleich in die Insel verliebte. Krachende Partys, stille Buchten, kleine […]

Bettenbunker, VIP-Partys, Hippie-Flair: Ibiza ist ein Urlaubsmythos. Langsam läuft der Tourismus wieder an. Wo geht die Reise hin? Ein deutscher Inselkenner schildert seine Eindrücke – und seine Sorgen.

Andreas Simon war 16, als er zum ersten Mal nach Ibiza kam und sich gleich in die Insel verliebte. Krachende Partys, stille Buchten, kleine Dörfer, grüne Hügel – Ibiza hat viele Facetten. Die Corona-Krise steckt die Insel aber nicht einfach so weg.

«Die meisten Leute leben direkt oder indirekt vom Tourismus», weiß Simon, der 1996 von der Schwäbischen Alb zuwanderte. Er ist Videoproduzent, Grafikdesigner und DJ im «Standby-Modus», wie er sagt. Im Interview mit dem dpa-Themendienst spricht er über die Corona-Lage und wagt einen Ausblick auf die touristische Entwicklung.

Frage: Wer derzeit durch Ibiza reist, sieht widersprüchliche Bilder: Einerseits geschlossene Hotels und Discos, andererseits geöffnete Beach Clubs, in denen der Champagner wieder in Strömen fließt und die Masken fallen. Ist die touristische Krise bald überwunden?

Andreas Simon: Nein, die ist noch lange nicht überwunden. Hätte die Balearen-Regierung aber bessere Maßnahmen ergriffen, wären wir schon wesentlich früher bereit für Touristen gewesen. Da wir als Insel nur zwei Eingangsmöglichkeiten haben, den Hafen und den Flughafen, hätte man alles leicht kontrollieren können.

Frage: Wie hoch wird der Anteil jener sein, die die Krise letztlich überstehen?

Simon: Die großen Hotels und Veranstalter haben bislang überleben können, weil sie genug Rücklagen haben. Alles, was nicht wirklich groß ist – davon überleben maximal 30 Prozent, mehr nicht.

Frage: Wie ist Ihre Prognose für die nächste Zeit?

Simon: Ibiza gilt momentan als sichere Destination, unsere Inzidenz ist niedrig. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Insel allerspätestens Ende August wieder zugeht. Das heißt, dass dann die Inzidenzzahlen wieder steigen und es neue Beschränkungen bei der Einreise geben wird. Wenn Leute aus der ganzen Welt kommen, sind wir ja ein Hotspot für alle Varianten des Virus.

Zuletzt haben wir in einem Monat so viele Vorbuchungen bekommen wie das ganze letzte Jahr zusammen. Hotels, Ferienhäuser, Mietwagen. Gleichzeitig steigen massiv die Preise. Ich weiß von Freunden, die schon länger gebucht hatten, dass ein Mietauto, was vor drei Monaten 24 Euro am Tag kostete, heute 125 Euro kostet. Exakt dasselbe Auto. Die Leute werden alles bezahlen, um hierher zu kommen. Ich habe einige Freunde verzweifelt angefleht und gesagt: Kommt doch einfach ein bisschen später, macht den Wahnsinn nicht mit. Das gibt den Preistreibern ja nur einen Freifahrtschein, so weiterzumachen.

Frage: Ibiza war vor Corona bekannt für Massenevents in den großen Clubs. Wird die Party-Insel in dieser Saison ein Comeback feiern?

Simon: Vor kurzem hätte ich gesagt: Die Clubs werden dieses Jahr garantiert nicht öffnen. Nun gibt es ein Umdenken. Endlich ist auch bei der Regierung angekommen, dass sich die Leute das Feiern nicht verbieten lassen und es viel besser ist, einen begrenzten Raum wie eine Disco zu kontrollieren – statt unkontrollierte Partys in Beach Clubs, Parks, Privathäusern. Fundamental für die Openings sind zwei Generalproben im Frühsommer. Ob und wann letztlich die Clubs öffnen, hängt davon ab, wie schnell die Ergebnisse vorliegen. Eigentlich brauchen große Clubs einige Wochen Vorlaufzeit. Vielleicht geht es jetzt schneller.

Frage: Werden Sie im nächsten Jahr wieder als DJ in Aktion treten?

Simon: Ja, sicher. Aber das Erste, was ich mache, ist, dass ich mich mit Freunden in einen kleinen oder mittleren Club begebe und solange zu lauter Musik tanze, bis ich nicht mehr laufen kann. Zuletzt habe ich zu meiner Stieftochter gesagt, die hier auf Ibiza ihren 18. Geburtstag richtig feiern wollte und wahnsinnig frustriert war, weil das nicht ging: Du wirst dich in zehn Jahren zwar an das Virus erinnern, aber ebenso an die Endlos-Party, die danach losgegangen ist, auch auf Ibiza.

Frage: Wird sich der Tourismus auf Ibiza mittel- und langfristig verändern?

Simon: Ja, es werden viel mehr Qualität und viel mehr lokale Produkte in Restaurants und Landhäusern angeboten werden müssen. Weg von den Siebziger-Jahre-Hotelbunkern, die ihre Abwässer ins Meer leiten.

Frage: Um im Bild zu bleiben: Hat Corona auch reinigende Effekte mit sich gebracht?

Simon: Alles war auf Ibiza so eine Art Selbstläufer. Die Leute kamen sowieso. In Zukunft wird es sicher einen nachhaltigeren, ökologischer geprägten Tourismus geben. Die Insel muss sich neu definieren, so wie auch ich mich durch die Krise als Video-Producer neu erfinden musste. Die Radwege werden stark ausgebaut. Die Bemühungen, um autofreie Stadtkerne in Eivissa und den beiden anderen größeren Städten Sant Antoni de Portmany und Santa Eulària des Riu herbeizuführen, werden immer deutlicher. In der Diskussion ist außerdem, die Saison zu verlängern, Ibiza also in eine Ganzjahresdestination zu verwandeln.

Frage: Wird es bei den Besucherzahlen irgendwann wieder so sein wie vor Corona?

Simon: Ich denke, dass wir in diesem Jahr am Ende bei 30 Prozent landen und im nächsten Jahr bei 70 Prozent. Hoffentlich kommen wir auf Ibiza nicht mehr auf 100 Prozent. Wir müssen unbedingt runterfahren. Das unendliche Wachstum muss beendet werden. Ganz oben und ganz unten muss beschnitten werden: der ganze Billig-Tourismus oder nur VIP, das kann nicht sein. Ibiza ist schon immer eine Mischung von allem gewesen. Das macht den Reiz aus.

dpa/tmn ouv a3 xx xlt pla nhr