Heimkehr in Särgen – Chapecó weint um Fußballteam
04.12.2016 Die Fußballer von Chapecoense, die erstmals den begehrten Titel des Südamerika-Cups gewinnen wollten, werden in Särgen auf das Spielfeld ihres Stadions getragen. Ehefrauen, Kinder und Fans nehmen Abschied. Chapecó (dpa) – Auf solchen Lastwagen fahren normalerweise jubelnde Fußballer und recken den Fans einen gewonnenen Pokal entgegen. Jetzt fahren zu allen Seiten offene Lastwagen mit […]
04.12.2016
Die Fußballer von Chapecoense, die erstmals den begehrten Titel des Südamerika-Cups gewinnen wollten, werden in Särgen auf das Spielfeld ihres Stadions getragen. Ehefrauen, Kinder und Fans nehmen Abschied.
Chapecó (dpa) – Auf solchen Lastwagen fahren normalerweise jubelnde Fußballer und recken den Fans einen gewonnenen Pokal entgegen. Jetzt fahren zu allen Seiten offene Lastwagen mit 50 Särgen durch die Straßen der brasilianischen Stadt Chapecó. Es regnet in Strömen, den ganzen Tag. Die Leute weinen, stehen Spalier und winken mit Tüchern.
Die Leichen ihrer Idole kehren heim, zum letzten Geleit im Stadion. Sie starben, weil ihr Flugzeug zu wenig Sprit hatte. Auf dem Weg zum bisher größten Spiel ihres Vereins, AF Chapecoense, gegen Atlético Nacional Medellín in Kolumbien. Dort sollte das Finalhinspiel um die Copa Sudamericana stattfinden. Es ist nur ein kleiner Trost: Aber der Verein soll nun den Titel bekommen (Preisgeld: 2 Millionen Dollar).
Nach der Lastwagen-Fahrt tragen Soldaten die Särge auf das Spielfeld der Arena Condá, es rollen überall Tränen. Aber es gibt auch «Chape, Chape»-Rufe der rund 20 000 Trauernden. Die Särge mit den Leichen von Spielern, Trainern und Betreuern waren zuvor von Brasiliens Luftwaffe in Kolumbien abgeholt worden. Viele Menschen in Regen-Capes nehmen sich in die Arme. In der von europäischen Einwanderern geprägten Stadt kennt man sich, der Club ist für viele wie eine zweite Familie.
Brasiliens Staatspräsident Michel Temer ist da, die Familien bekommen eine Ehrenmedaille. Salutschüsse. Auch Fifa-Chef Gianni Infantino ist im Stadion. Die Namen der Toten werden vorgelesen, für jedes Opfer steigt ein weißer Ballon in den Himmel. Bilder der Spieler stehen vor den Särgen, kleine Kinder liegen schluchzend auf ihnen, können nicht fassen, dass darin der tote Vater liegt. Das grüne Wappen des Clubs liegt im Mittelkreis, eingerahmt von einem weißen Blumenmeer.
Einer der Helden war Torwart Marcos Danilo Padilha. Er wurde nur 31 Jahre alt. «Danilo, Danilo»-Sprechhöre erschallen, als seine Mutter das Stadion betritt. Wie unwirklich wirken die Bilder, die erst zehn Tage alt sind: Danilo wehrt in der 95. Minute per Fuß mit einem sensationellen Reflex einen Schuss aus kurzer Distanz ab und sichert Chapecoense gegen San Lorenzo aus Buenos Aires den Einzug ins Finale.
Er kniet jubelnd auf dem Rasen – und danach grölen und tanzen sie in der Kabine. Es sollte das letzte Mal sein. «Danilo war mein geliebter Sohn, mein Engel, mein Held», sagt seine Mutter. Sie fragte vor ein paar Tagen in einem Interview plötzlich einen Reporter, wie er sich denn fühle – schließlich starben auch 20 Journalisten, die das Team begleiteten. Er fing an zu weinen, sie umarmten sich. Parallel zur Feier in Chapecó werden in Rio de Janeiro Journalisten beerdigt.
Was es noch schwerer für alle macht, sind die Details der Tragödie. «Señorita, LaMia 2933 hat einen Totalausfall, Totalausfall der Elektronik, ohne Treibstoff», meldete der Pilot, kurz bevor das Flugzeug vom Radar verschwand. Und keine 15 Kilometer vom Flughafen Medellín entfernt ohne Treibstoff an Bord an einem Berg zerschellte. Der Miteigentümer der kleinen Chartergesellschaft LaMia war mit an Bord. Gleich zwei Dinge sprechen für einen Absturz aus Spargründen.
Zum einen wurde nicht direkt ein Notfall gemeldet, erst, als es nicht mehr anders ging. Dadurch wurde vom Tower noch ein anderes Flugzeug vorgelassen. Eine Notlandung wegen Spritmangels kann mit einer hohen Geldstrafe belegt werden. LaMia 2933 musste in eine Warteschleife. Und es gab zuvor die Option, einen Tankstopp in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá einzulegen. Der hätte aber 10 000 Reais (2660 Euro) gekostet.
Einen bewegenden Auftritt hat der Bürgermeister, Luciano Buligon, er war eigentlich auf der Passagierliste des Unglücksflugs – dann hatte er aber einen wichtigen Termin. Dieser rettete ihm das Leben. «Wir lebten einen Traum», sagte er nach dem Unglück mit Blick auf den märchenhaften Aufstieg aus der 4. Liga in Brasiliens Serie A. Und in das Finale des Südamerika-Cups. Nun spendet er bei der Trauerfeier Trost. Und er trägt das Trikot des Final-Gegners Atlético Nacional.
Sie sind hier überwältigt von der Anteilnahme. 50 000 Menschen waren in Medellín in Weiß und mit Kerzen im Stadion, zu der Zeit, als am Mittwoch das Finale hätte stattfinden sollen. Der Hashtag #ForçaChape wurde zum weltweiten Zeichen der Solidarität, überall wurde das grüne Wappen des erst 1973 gegründeten, oft als Provinzclub belächelten Vereins schwarz eingefärbt. Bei Fußballspielen weltweit gab es eine Schweigeminute. In einer Woche stünde eigentlich das letzte Saisonspiel an, gegen Atlético Mineiro aus Belo Horizonte. Auf dem Spielfeld, wo jetzt die Särge standen. Einige der Spielerfrauen, plötzlich Witwen, überlegen nun, erst einmal zusammenzuziehen.
Georg Ismar, dpa