Seit 1967 fliegt der Bestseller 737 von Boeing. Nun ist die aktuelle Variante MAX erneut in Schwierigkeiten – und damit auch der US-amerikanische Hersteller.

Die Nachricht war erst wenige Wochen alt: Der Lufthansa-Konzern plant die Rückkehr der Boeing 737. Das Muster, dass die Airline Mitte der sechziger Jahre initiiert hatte und damals liebevoll „Bobby“ getauft hatte, soll ab 2026 mit 40 Exem- plaren der 737-8 die Konzernflotte ergänzen. Die MAX-Probleme der vergangenen Jahre schienen endgültig der Vergangenheit an- zugehören. Zwei Abstürze mit 346 Toten, Startverbot, wegen Fertigungsmängeln verzögerte Auslieferung, verspätete FAA-Zulassung von zwei Versionen – doch dann der Vertrauensbeweis der in Luftfahrtkreisen hoch angesehenen Lufthansa. Alles schien gut, vom 19. Dezember, dem Zeitpunkt der Lufthansa-Bekanntmachung, bis zum 5. Januar, als Flug AS 1282 von Alaska Airlines mit einer 737-9 beinahe in einer Katastrophe geendet hätte.

Schreckmoment für Passagiere der Boeing

In einer Flughöhe von rund 4900 Metern hatte sich die Abdeckung eines nicht aktiven Notausstiegs aus ihrer Verankerung gerissen und war zu Boden gestürzt. Nur mit viel Glück kamen alle 177 Insassen von Flug AS 1282 mit einem großen Schrecken davon. Von einer Sekunde auf die andere waren die überwunden geglaubten Fragen nach den Qualitätsproblemen in der 737-Fertigung wieder da. Zumal auch andere Airlines bei schnell behördlich angeordneten oder freiwilligen Kontrollen lose Schrauben in den Kabinen ihrer 737 MAX fanden.

 

Zum Glück waren die Sitze direkt neben der herausgebrochenen Türabdeckung nicht besetzt. Bild: NTSB

 

Schuldeingeständnis von Boeing

Die Beweislage war binnen weniger Stunden so erdrückend, dass sich Dave Calhoun, Präsident & CEO von Boeing, bereits am 9. Januar zu einem öffentlichen Schuldeingeständnis gezwungen sah. Und das, obwohl die US-Unfalluntersuchungsbehörde NTSB erst ganz am Anfang ihrer Ursachenforschung steht. Immerhin: Das wichtigste Beweisstück, die Türabdeckung, entdeckte der Physiklehrer Bob Sauer in seinem Garten. Zudem fanden sich zwei Handys wieder, die der Luftsog durch das in der Kabine klaffende Loch mit sich riss. Eines der beiden überstand den Sturz aus großer Höhe sogar unbeschadet.

Ein Unfalluntersucher der Behörde NTSB inspiziert die Aufhängung der verloren gegangenen Türabdeckung. Bild: NTSB

Nach der Freude über den glimpflichen Ausgang stellt sich nun die Frage nach dem „Warum“. Wie kann es sein, dass Boeing, und vor allem der Rumpf-Zulieferer Spirit AeroSystems nach Jahrzehnten der wenig Aufsehen erregenden Fertigung von vier 737-Generationen bei der MAX scheinbar das Einmaleins des Flugzeugbaus verlernt haben?

Liegt der Fehler im System oder ist das System der eigentliche Fehler? Noch im Sommer 2023 erklärte Dave Calhoun gegenüber AERO INTERNATIONAL, dass der 737-Rumpfhersteller Spirit AeroSystems trotz stets wiederkehrender Produktionsmängel langfristig nicht in den Boeing-Konzern und damit unter dessen direkte Kontrolle zurückgeführt werden solle: „Ich habe nicht den Wunsch, dies zu tun“, so damals sein knappes Statement zu diesem Thema. Vielmehr sehe er die Beziehung zu Spirit, die die 737-Rumpfproduktion in Wichita erst 2005 von Boeing übernommen hat, als konstruktiv. „Sind wir enttäuscht? Oh ja wir sind enttäuscht!“, so Calhoun damals.

Vorläufiges Grounding betroffener Maschinen von Boeing

Alarmiert sind nicht nur die 737-MAX-Kunden und ebenso die Passagiere, sondern auch die US-Luftaufsichtsbehörde FAA. Nur einen Tag nach dem Unfall ordnete sie in einer „Emergency Airworthiness Directive“ das vorübergehende Grounding und die sofortige Überprüfung sämtlicher von US-Airlines betriebener oder in den US-Luftraum einfliegender 737-9 an. Dem folgten immer schärfere Anordnungen, bis am 17. Januar sämtliche 171 ausgelieferten 737-9 MAX Startverbot erhielten.

Fällt Boeing noch tiefer?

Die FAA untersucht nun die Herstellungsverfahren und Produktionslinien von Boeing sowie Spirit AeroSystems. Zudem verstärkt sie ihre Aufsicht über Boeing nochmals und prüft mögliche Systemänderungen. Sämtliche Maschinen dieses Musters mit Türabdeckungen bleiben bis zur Überprüfung und endgültigen Genehmigung eines Inspektions- und Wartungsprozesses durch die FAA am Boden. Ferner teilte die Aufsichtsbehörde mit: „Sobald die FAA ein Inspektions- und Wartungsverfahren genehmigt hat, wird es für alle gegroundeten 737-9 MAX vor einem künftigen Betrieb vorgeschrieben. Der Zeitplan für die Wiederinbetriebnahme dieser Flugzeuge richtet sich nach der Sicherheit der Fluggäste und nicht nach der Geschwindigkeit des Verfahrens“

Kirkland Donald Bild: Boeing

Auch Boeing reagierte und berief mit dem im Ruhestand  befindlichen US-Navy-Admiral Kirkland Donald einen internen Ermittler. Sein Aufgabenbereich wächst, denn nun ist auch die ältere -900ER der vorherigen 737-Generation in das Visier der FAA geraten. Sie hat identische Türabdeckungen. Die US-Behörde empfiehlt Betreibern eine visuelle Kontrolle.

So ist das 737-Drama immer noch nicht vorbei – und der tiefe Fall von Boeing offenbar nicht beendet.

Ein bei Boeing beschäftigter Insider meldete sich zudem anonym zu Wort. Schon im September letzten Jahres seien im Boeing-Werk in Renton Mängel bekannt gewesen. Diese seien durch das Qualitätsmanagement nach drei Wochen als erledigt erachtet worden, was sich wohl im Nachhinein als Fehler herausstellen sollte.