Wer bis zu hundert Tausend Euro in die Ausbildung investiert, muss von seiner Berufswahl 100-prozentig überzeugt sein. Doch immer wieder kochen medial gerade im Zuge von Streiks vermeintlich strapaziöse Arbeitsbedingungen oder eine dürftige Bezahlung hoch. Wir machen den Realitätscheck.

Es gab Zeiten, das standen Piloten dem Image von Chefärzten in nichts nach. Wie ist es heute um das Berufsbild bestellt? Wir haben Joe Moser, CEO der Frachtfluggesellschaft AeroLogic, danach gefragt.

Joe Moser, Geschäftsführer der AeroLogic, vor dem Triebwerk einer Boeing 777
Joe Moser ist selbst Pilot – zunächst in der Business Aviation, später bei LTU. Ab 2008 hat er die Frachtfluggesellschaft AeroLogic federführend mit aufgebaut. Seit 2018 ist Moser Geschäftsführer. Bild: Dietmar Plath

AERO: Ist der Pilotenberuf ein Traumjob?

JOE MOSER: Das muss man differenziert betrachten, und ein kleines Fragezeichen wäre heute sicher angebracht. Damals, als ich mich für diesen Beruf zu interessieren begann, waren Piloten sehr angesehen in der Öffentlichkeit. Es war die Zeit des weitgehend manuellen Fliegens mit analoger Instrumentierung im Cockpit. An Flight Management Systeme, die dem Flugzeugführer einen großen Teil der Arbeit abnehmen, war noch nicht zu denken.

Fliegen war exklusiv und entsprechend teuer für die Passagiere, von denen übrigens keiner gefragt hat, warum ein Pilot mehr verdient als ein beamteter Staatssekretär. Der „kleine Gott“ da vorn im Cockpit flog das Flugzeug von A nach B, und nach der Landung klatschten alle in der Kabine begeistert. Damals wurde der Pilot von der Gesellschaft, für die er flog, allerdings noch nicht als Kostenfaktor identifiziert, an dem man sparen könnte und sollte.

Haben Institutionen wie die Vereinigung Cockpit (VC) dazu beigetragen, den Pilotenberuf mit all den Streiks und überzogenen Forderungen in Misskredit zu ziehen?

Nein. Verantwortlich für das sinkende Ansehen des Berufsbildes sind Unternehmer und Gesellschaften, die jeder kennt und die ich deshalb nicht beim Namen nennen will und muss. Früher flog ein Pilot beispielsweise von Düsseldorf nach Palma, vertrat sich am Zielort ausgiebig die Beine, steuerte das Flugzeug nach Düsseldorf zurück und konnte abends für seine Familie da sein. Und wie läuft das heute? Von „Faszination Fliegen“ kann, vor allem auf Kurz- und Mittelstrecken, kaum noch die Rede sein. Dafür sorgt schon die preisdrückende Wirklichkeit der Low-Cost-Carrier.

Drei Flüge pro Tag von Zentraleuropa aus ans Mittelmeer und zurück sind inzwischen Normalität. Gelegentlich werden aufgrund extrem verkürzter Abfertigungszeiten an den Destinationen bis zu acht Legs am Tag geflogen. Und was machen viele Piloten, um wenigstens finanziell über die Runden zu kommen? Sie fliegen als Freelancer, als Legionäre mal für diese, mal für jene Airline, die gerade Bedarf hat, nicht selten bei zwei oder drei verschiedenen im Wechsel.

Das hört sich so an, als sollte man jungen Schulabsolventen dringend davon abraten, Pilot zu werden …

Das meine ich nicht. Wer beruflich fliegen will, muss nur wissen, dass Low-Cost-Carrier, die das Kostenmodell auf die Spitze treiben, häufig nur eine begrenzte Perspektive bieten können, sowohl in finanzieller Hinsicht als auch in Bezug auf die Arbeitsbedingungen. Wenn sich im Augenblick keine Alternative anbietet, sollte der Einsatz bei solchen Gesellschaften auf einen möglichst kurzen Zeitraum begrenzt bleiben. Berufsanfänger müssen die ganze Welt im Focus haben und sollten sich darüber im Klaren sein, dass ohne höchste Flexibilität das Leben im Cockpit keinen nachhaltigen Erfolg verspricht.

Sie müssen also bereit sein, ihren Lebensmittelpunkt, den wechselnden Marktgegebenheiten folgend, von Fall zu Fall zu verlegen – wohin auch immer: nach Ostasien, Nord- oder Sudamerika oder Australien. Es gibt unzählige, nach wie vor renommierte Fluggesellschaften in der Welt. Der Luftverkehr gilt durchaus als Wachstumsmarkt, allerdings vornehmlich in Asien. In den kommenden zehn Jahren werden, wie errechnet wurde, etwa 300.000 zusätzliche Piloten gebraucht.

Sollten künftige Piloten dennoch einen Plan B haben?

Ich rate jedem Berufsanfänger dringend, sich um ein zweites Standbein zu bemühen. Manche Fluggesellschaften ermöglichen es den jungen Flugschülern, neben der Ausbildung zum ATPL parallel ein Studium zu absolvieren oder zu beginnen, das dann während der ersten Berufsjahre abgeschlossen werden kann. Zu empfehlen wären da beispielsweise Aviation Management oder Luftfahrttechnik. Solche und vergleichbare Universitätsabschlüsse können bei späteren Bewerbungen um attraktive Positionen in der Welt der Luftfahrt durchaus von Vorteil sein. Sollte eine Pilotenkarriere, etwa aus medizinischen Gründen, nicht fortgeführt werden können, ist ein zweiter Berufsabschluss die beste Absicherung.

Von Vorteil ist doch aber auch, dass der Pilot heute nicht mehr manuell fliegen muss. Seine Flight Management Systeme erlauben es ihm, das Fliegen in vollen Zügen zu genießen, Wolkenformationen und Landschaften auf sich wirken zu lassen. Momente, für die der normale Weltreisende tief in die Tasche greifen müsste …

Es stimmt natürlich, dass kaum ein Pilot seine Entscheidung, sein Geld mit der Luftfahrt zu verdienen, bereut hat. So wie ich werden es auch meine Nachfolger genießen, an einem trüben Novembertag die Wolkendecke zu durchstoßen und dann die gleißende Sonne im Cockpit zu erleben. Und natürlich ist die Zeit vorbei, als der Pilot noch jede Menge Zahlen im Kopf oder mit Rechenschiebern bewältigen musste. Die technische Bedienung eines Flugzeugs war kompliziert und erforderte oft noch einen Flugingenieur, die Wettervorhersagen waren nicht zuverlässig. In den vergangenen 30 Jahren hielten die Computer Einzug ins Cockpit. Es gab mehr und mehr Assistenzsysteme wie Autopiloten und sich selbst überwachende redundante Elektronik. Die Navigation wurde viel einfacher und der Pilot mutierte zum Bediener und Überwacher von Computern.

Heute fliegen wir nur noch die ersten und die letzten zehn Minuten mit der Hand. Den großen Rest leistet der Autopilot, dessen fehlerfreie Funktion jedoch kontinuierlich aufmerksam überwacht werden muss. Der Pilot eines Verkehrsflugzeugs hat aber inzwischen neue Aufgaben zu bewältigen. Er muss in kurzer Zeit eine zunehmende Anzahl abstrakter Informationen aufnehmen, bewerten und verarbeiten. Zudem muss er über den Flug hinaus planen, muss mitdenken, wenn etwa Verspätungen aufgeholt werden müssen, den Treibstoff und Ressourcen wirtschaftlich verwalten.

Zu einem gewissen Teil stehen Piloten heute für ihr Unternehmen in Verantwortung als Manager einer Transportkette. Außerdem kann man nicht leugnen, dass in diesen Zeiten einer zunehmenden Verbreitung von Low-Cost-Carriern Piloten einen signifikanten Kostenfaktor darstellen, auch und gerade bei konventionellen Airlines. Deshalb haben sie es mit knapperen Gehältern und optimierten Dienstplänen zu tun. Ein Trend, der sich in den kommenden Jahrzehnten sicher weiter verschärfen dürfte.

Haben sich Piloten zu sehr an die Automatisierung im Cockpit gewöhnt und deshalb das Gefühl für manuelles Fliegen verloren?

Die Piloten werden heute nach ihrer Ausbildung auf mechanisch ausgelegten Kleinflugzeugen vom Handwerklichen wegtrainiert, hin zum Automatismus. Etwas überspitzt gesagt: Alles, was sie können, ist das Nachfliegen des Flight Directors. Nach dem Take-off werden Fahrwerk und Klappen eingefahren, und dann übernimmt der Autopilot. Nach Stunden des „Geflogenwerdens“ machen sie im Endanflug „klickklick“, nehmen noch nicht mal den Autothrottle raus, setzen den Vogel auf die Piste, das war‘s. Dadurch verkümmern ein Stück weit die handwerklich-fliegerischen Fähigkeiten.

Muss etwa an der grundsätzlichen Flugfähigkeit der Piloten gezweifelt werden?

Ich meine das ja nicht so, dass da vorn im Cockpit Leute sitzen, vor deren fliegerischen Defiziten sich die Passagiere fürchten müssen. Das Gegenteil ist der Fall. Solide Ausbildung, Erfahrung und regelmäßiges Training im Simulator sorgen für sichere Abläufe auch in kritischen Situationen wie Ausfall eines Triebwerks oder dramatischer Wetterlage. Die weltweite Unfallbilanz beweist es: Noch nie war Fliegen so sicher wie heute. Andererseits ist Fliegen ein Handwerk und sollte nach meiner Meinung im Wesentlichen ein Handwerk bleiben. Die automatisierte Routine der überaus zuverlässigen redundanten Flugsteuerungssysteme ist aber zugleich verantwortlich dafür, dass einigen Piloten das Gefühl für kritische Fluglagen und deren Beherrschung im Fall eines Totalausfalls der Flight Management Computer abhanden kommen könnte.

Sind Ihnen Fälle bekannt, die Ihre These stutzen?

Da haben Piloten beim Go Around kein Gas gegeben, weil sie irrtümlich davon ausgingen, dass die Autothrottle das übernimmt, und waren dann davon überrascht, dass die Strömung abriss. Deshalb sage ich meinem jeweiligen First Officer auch hin und wieder: „Mach’ mal eine Landung per Hand, sie darf auch etwas fester sein.“ Wir bei AeroLogic ermuntern unsere Pilotinnen und Piloten, in ihrer Freizeit regelmäßig ein paar Runden manuell auf Kleinflugzeugen zu fliegen, um das Gefühl für das manuelle Fliegen nicht zu verlieren.

Die Befähigung, ein Flugzeug auch nach Ausfall aller automatischen Systeme zu landen, hatte jedenfalls bis vor 20 oder 30 Jahren noch jeder Pilot einer Verkehrsmaschine. Damit das auch in Zukunft garantiert werden kann, bedarf es einiger Anpassungen des Pilotentrainings. Nicht nur wir bei AeroLogic, auch andere Gesellschaften wie beispielsweise Emirates und Air France begegnen den Defiziten und lassen ihre Piloten im Simulator regelmäßig Anflüge und Platzrunden per Hand steuern. Zudem ist das sogenannte Upset Recovery Training bei den meisten Airlines üblich.

Empfehlen Sie jungen Schulabsolventen heute noch guten Gewissens, die Ausbildung zum Berufspiloten anzustreben?

Unbedingt! Der Beruf ist und bleibt eine spannende Herausforderung, vom Beginn der Ausbildung bis zum letzten Flug im Pensionsalter. Natürlich sind die Gehälter nicht mehr so üppig wie früher. Durchschnittlich kann heute ein Berufsanfänger als Second Officer mit 45.000 Euro pro Jahr rechnen, nach knapp zwei Jahren verdient er als First Officer 60.000 bis 62.000 Euro, im Normalfall drei Jahre darauf als Senior First Officer zwischen 70.000 und 75.000 Euro. Und jeder, der qualifiziert ist und es will, kann als Kapitän mit Jahresgehältern zwischen 115.000 und 180.000 Euro rechnen.

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Das sind Gehälter, von denen die meisten höheren Angestellten am Boden nur träumen können …

Wer als Pilot klagt, der jammert auf hohem Niveau! Übrigens ist jeder, der bei AeroLogic in Pension geht, grundsätzlich seit Jahren Kapitän. Außerdem werden weltweit immer mehr Piloten gesucht. Bei einigen Airlines, beispielsweise in den USA, stehen ungenutzte Flugzeuge herum, weil Piloten fehlen. Um unnötigen Stress zu vermeiden, rate ich übrigens den Cockpitcrews, eine Wohnung in unmittelbarer Nähe der jeweiligen Basis zu beziehen. Wenn man sich also extrem zeitraubendes Pendeln zwischen Wohnung und Arbeitsplatz erspart, kommen Freizeitgestaltung und Erholung nicht zu kurz.

Wer ist grundsätzlich geeignet für den Pilotenberuf?

Was wir bei AeroLogic suchen und gefunden haben, sind solide Handwerker mit Bodenhaftung. Wir brauchen für diesen Beruf, was übrigens von den meisten Airlines in aller Welt ähnlich gesehen wird: keine Überflieger, vor allem keine Alphatiere. Zu den wichtigsten Voraussetzungen zählen Teamfähigkeit, Flexibilität und die Bereitschaft, ein Leben lang dazu zu lernen.

Wie wählen Sie aus, wie wird ausgebildet?

Bei der Rekrutierung unserer zukünftigen Piloten verfahren wir zweigleisig. Einerseits übernehmen wir bereits ausgebildete Piloten mit mindestens 1500 Flugstunden Erfahrung, vorzugsweise auf Boeing 737NG, weil das Cockpit dem unserer Boeing 777F ähnelt. Nach psychologischen und psychomotorischen Tests sowie Überprüfung im Simulator entscheiden wir uns dann durchschnittlich für drei bis vier von insgesamt zehn Kandidaten, die jeweils an unserem Screening teilnehmen. Unser erfolgreicher zweiter Weg ist das Second Officer Program, das wir gemeinsam mit der Flugschule TFC Käufer in Essen entwickelt haben.

Die Flugschüler absolvieren dort ihre Ausbildung zum CPL und ATPL auf Kleinflugzeugen wie Aquila A210, Piper PA 28 und PA 44 inklusive Simulatorausbildung auf A320 und Boeing 737. Die Kosten für diese Basisausbildung liegen bei etwa 100.000 Euro. Zugleich werden die Kandidaten bereits früh an uns gebunden und fliegen gelegentlich bei AeroLogic in Kadettenuniform mit im Cockpit unserer Triple Seven. Nach den jeweiligen Prüfungen kommen sie als Second Officer zu uns und werden im Simulator und im regulären weltweiten Einsatz zum First Officer mit Musterberechtigung für die Boeing 777F ausgebildet. Die meisten von ihnen identifizieren sich zu diesem Zeitpunkt längst mit „ihrer Airline“, fühlen sich als Teil einer großen Familie. Und das ist genau das, was wir uns wünschen.

Das Interview führten Gunter Hartung und Dietmar Plath im Rahmen ihrer Recherche für das im GeraMond-Verlag erschienene Buch „Die Lust am Fliegen – Piloten und ihr Weg ins Cockpit“.  Sie lesen hier die aktualisierte Fassung.