«Herz, Leib und Seele»: Aktionäre fühlen Air-Berlin-Chef auf den Zahn

23.06.2015 Wenn die Aktionäre von Air Berlin zusammenkommen, ist das ein ganz besonderes Ritual. Nur ein paar Handvoll nehmen extra die Reise nach London auf sich, um dem Chef Fragen zu stellen und ihr Herz auszuschütten. Und der stellt ihnen schon mal ein Glas Wasser hin. London (dpa) – Aktionäre von Air Berlin haben viele […]
23.06.2015
Wenn die Aktionäre von Air Berlin zusammenkommen, ist das ein ganz besonderes Ritual. Nur ein paar Handvoll nehmen extra die Reise nach London auf sich, um dem Chef Fragen zu stellen und ihr Herz auszuschütten. Und der stellt ihnen schon mal ein Glas Wasser hin.
London (dpa) – Aktionäre von Air Berlin haben viele Gründe, unzufrieden mit ihrer Fluggesellschaft zu sein. Etwa der Rekordverlust vom vergangenen Jahr, oder die Verluste aus den Jahren davor, oder dass die Aktie nur noch etwas über einen Euro wert ist. Darüber beschweren sich die wenigen Kleinaktionäre auch, die extra an den Londoner Flughafen Heathrow gereist sind, um Unternehmenschef Stefan Pichler mal auf den Zahn zu fühlen. Die Anteilseigner beschäftigen aber auch ganz andere Probleme.
Da ist zum Beispiel Norbert Westphal aus Berlin, er ist Aktionär der ersten Stunde. 40 Prozent im Minus seien seine Anteile, sagt er. «Gott sei Dank habe ich nicht zu viele davon.» Offenbar noch ärgerlicher ist für ihn aber, dass die Airline es immer wieder nicht schafft, ihm und seiner Frau zweimal jährlich beim Lanzarote-Urlaub die – früh gebuchten – Plätze mit viel Beinfreiheit am Gang zuzuteilen. Oder Bernd Schuh, der findet, Air Berlin solle an Bord «einen Apfel oder einen Banane» anbieten, «Veggie ist doch in».
Pichler, erst seit Februar an der Air-Berlin-Spitze, hört zu und nickt. Er hat ein Mammutprojekt vor sich. Man müsse in der Lage sein, die Gesellschaft profitabel zu führen, sagte er den rund zwei Dutzend Kleinaktionären, darunter eine Studentengruppe aus Berlin. Wie er es schaffen will, dass die nach der Lufthansa zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft wieder Gewinn einfliegt, hat er vor der Fragerunde dargelegt. Neuigkeiten waren nicht dabei: Auf profitable Strecken konzentrieren, Kosten senken, Linienflüge mit Partnergesellschaften teilen (das sogenannte Codesharing), Langstreckenziele ausbauen.
Dass Pichler auch an der Preisschraube drehen will, wertet Michael Kunert von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) als gutes Zeichen: «Es ist endlich etwas mehr Realitätssinn bei der Gesellschaft eingekehrt», sagt der Aktionärsschützer. «Es ist erkannt worden, dass man nicht nur auf der Kostenseite ran muss.»
Schon nächstes Jahr soll Air Berlin wenigstens operativ wieder Gewinn einfliegen. Von mehreren Kleinaktionären gibt es Lob, etwa von Manfred Klein aus Saarbrücken. Pichler habe bisher mehr bewegt als seine Vorgänger – Joachim Hunold, Hartmut Mehdorn und Wolfgang Prock-Schauer – in Jahren, befindet Klein, nachdem der Chef persönlich ihm ein Glas Wasser auf Rednerpult gestellt hat.
Doch ganz überzeugt, dass die Air Berlin wieder zu einer «schlagkräftigen Truppe» wird, wie er es nennt, scheint auch Klein nicht. Es seien doch «nur die nervenstärksten Aktionäre» noch gekommen, die «mit Herz, Leib und Seele» zum Unternehmen stünden. Später stellt Klein die eigentlich entscheidende Frage: «Steht Etihad noch hinter Air Berlin?»
Ohne die staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, das ist allen klar, ginge nichts bei den Berlinern. Sie hält Air Berlin seit 2012 mit Kapitalspritzen und Krediten im Geschäft, damit das deutsche Unternehmen Fluggäste zum Etihad-Drehkreuz Abu Dhabi bringt. Medienberichten zufolge ist eine neue Anleihe geplant. Der frühere Air-Berlin-Finanzchef Ulf Hüttmeyer ist jetzt bei Etihad.
Auf Kleins Frage nach Rückendeckung antwortet Verwaltungsrats-Chef Hans-Joachim Körber denn auch mit einem klaren «Ja». Etihad-Chef James Hogan stimmt zu. Die treuen Kleinaktionäre können also wohl auch im kommenden Jahr wieder Flüge nach London buchen. «Deutschland braucht Air Berlin», sagt Pichler markig. Drei Männer im Publikum applaudieren.
Teresa Dapp, dpa